Mülheim. . Nach den Anschlägen von Paris und der Absage des Länderspiels in Hannover gehen die Bürger in Mülheim sehr unterschiedlich mit der latenten Gefahrenlage um. Das zeigte ein Umfrage im Rhein-Ruhr Zentrum.
Nach dem Schrecken kam die Verunsicherung: Seit den Terroranschlägen in Paris mit 130 Toten und 352 Verletzten sind die Sicherheitskräfte in europäischen Ballungszentren in erhöhter Alarmbereitschaft. In Brüssel wurde die höchste Terror-Warnstufe ausgerufen, in Rom und Oslo gab es Einsätze wegen Terrordrohungen – und nach der Absage des Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden in Hannover war die Polizei vergangene Woche auch im Umkreis von Mülheim verstärkt im Einsatz.
In Essen hat die Bundespolizei am Donnerstag nach einem Hinweis auf eine Schusswaffe einen ICE räumen lassen, fand aber nur einen Schlagstock und Pfefferspray. In Dortmund wurde die gesamte S-Bahn-Station an der Universität abgeriegelt, weil ein verdächtiger Gegenstand beobachtet wurde – nach wenigen Stunden gab es aber auch hier Entwarnung.
„Die Gefährdungslage ist wirklich hoch“
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Bundesinnenminister Thomas de Maizière warnt: „Die Gefährdungslage ist wirklich hoch.“ Passiert ist auf deutschem Boden bis jetzt nichts. Aber zeigen die jüngsten Einsätze, dass es auch hier nur eine Frage der Zeit ist, bis der Islamische Staat zuschlägt? Oder sind die vielen Einsätze lediglich der erhöhten Vorsicht nach dem Horror in Paris geschuldet?
Tatsache ist: Der Terror beschäftigt jeden, aber die Menschen in Mülheim gehen ganz unterschiedlich mit der aktuellen Gefährdungslage um. Das zeigt eine Umfrage am Rhein-Ruhr Zentrum. Während der eine bereits mit einem unguten Gefühl aus der Haustür geht und in diesem Jahr keinen Weihnachtsmarkt besuchen möchte, findet der andere, dass das Thema Terror medial dramatisiert wird und denkt gar nicht daran, sich im Alltag einzuschränken.
Besorgtheit trifft auf Entspanntheit: Die Terrorgefahr spaltet die Meinungen.
Stephanie Kamps-Detscher (45):
"Ich war am Freitag auf einem Konzert in der Lichtburg in Essen. Wir wurden am Eingang abgetastet, das war sehr beklemmend. Ich kann solche Maßnahmen nachvollziehen, aber muss mich daran erst gewöhnen. Was momentan passiert, das betrifft wirklich jeden! In den Schulen sollte mehr darüber gesprochen werden. Was soll eine Schweigeminute, wenn man dann etwa im Bio-Unterricht direkt mit dem Alltag weitermacht?“
Jennifer Kneifel (45):
"Mein Bruder war von der Bombendrohung an der Uni Dortmund betroffen. Ich habe mir Sorgen gemacht. Auf den Weihnachtsmarkt werde ich bestimmt nicht gehen, auch ein Fußballstadion werde ich nicht betreten. Ich habe schon Tickets für ein großes Konzert in ein paar Wochen. Ich glaube, dass ich die Karten nicht verkaufe, aber ich werde mit einem mulmigen Gefühl in die Konzerthalle treten. Der Terror ist jetzt einfach nicht mehr weit weg.“
Jessica Kubitzka (22):
"Ich bin auf jeden Fall behutsamer unterwegs. Die Terrorgefahr bedrückt mich durchaus. In der Nähe sind ja viele Orte mit großem Massenaufkommen, die ein geeignetes Ziel für Terroristen sein könnten – ob die Oase im Centro Oberhausen, der Limbecker Platz in Essen oder die zahlreichen Sportarenen. Man geht schon überall mit einem unguten Gefühl hin. Deswegen ist es gut, dass jetzt an vielen Orten ein höherer Sicherheitsstandard gilt.“
Isabell Reidick (21):
"Ich mache mir noch nicht so viele Sorgen, aber ich denke viel darüber nach, welche politischen Lösungen es geben könnte. Ich glaube, dass eine Entscheidung wieder viel zu lange hinausgezögert wird. Grundsätzlich stellt sich die Frage: Sollen wir militärisch eingreifen oder nicht? Ich habe darauf noch keine Antwort gefunden, aber wenn gar nichts passiert, befürchte ich, dass es auch in Deutschland bald soweit ist.“
Jörg Inden (51):
"Wenn ich mit der Familie unterwegs bin, achte ich sehr auf meine Umgebung und frage mich: Was ist, wenn es tatsächlich zu einem Anschlag kommt? Allerdings habe ich das schon vor Paris getan. Seit 9/11 hat es andere Züge angekommen. In der Jugend habe ich noch die RAF mitbekommen, das war kein Vergleich zu heute. Trotzdem: Man sollte keine Angst haben, außer Haus zu gehen – aber Großveranstaltungen versuche ich zu meiden.“
Richard Jesmann (59):
"Ich fühle mich bisher nicht beeinträchtigt und habe auch kein ungutes Gefühl. Klar, ich bin etwas aufmerksamer geworden. Leute mit einem bestimmten Erscheinungsbild mustere ich genauer. Erst, als ich heute eine Familie gesehen habe, habe ich mir gedacht: In diesem Kinderwagen könnte man auch gut eine Bombe verstecken. Vielleicht kommen solche Gedanken durch die Medien – ich halte es nämlich größtenteils für Panikmache.“
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Peter Geldermann (51):
"Ich denke mehr über den Terror nach, aber im Endeffekt lässt sich eh nichts beeinflussen. Selbst wenn man den kompletten Islamischen Staat zerstören würde: Ein paar Leute überleben immer. Und eine Person reicht ja schon für einen Terroranschlag aus. Ich mache mich nicht verrückt. Wenn ich wegen der Terrorangst nicht mehr aus dem Haus gehen könnte, dürfte ich jetzt schon kein Auto mehr fahren. Da kann auch immer etwas passieren.“
Cornelia Jesmann (56):
"Bis nicht wirklich etwas passiert ist, mache ich mir nicht allzu viele Gedanken. Ich habe nur Angst, wenn ich an Großveranstaltungen teilnehme. Im Juli bin ich mit meinem Mann nach Jerusalem geflogen. Dort habe ich mich sicherer gefühlt, weil es überall eine enorme Polizeipräsenz gab. Wenn auch in Deutschland mehr Sicherheitskräfte im Einsatz wären, etwa auf den Weihnachtsmärkten, dann würde ich mich hier auch wohler fühlen.“
Bettina Hahn (53):
"Meine Tochter hat ihren Freund angerufen, der im Fußballstadion war, weil sie sich große Sorgen gemacht hat. Auch ich hätte ein mulmiges Gefühl bei Großveranstaltungen. Diese Angst sollte man aber nicht durch das Hintertürchen bei der Flüchtlingsfrage eintreten lassen. Klar, auch unter den Flüchtlingen wird es gewaltbereite Idioten geben. Aber man sollte immer bedenken: Die Flüchtlinge wollen keinen Terror, sie fliehen vor dem Terror.“
Bülent Ergintan (38):
"Ein Terroranschlag kann jederzeit und überall passieren. Ich denke deswegen nicht darüber nach. Die Medien puschen gerade sehr stark hoch, was in Paris geschehen ist. Natürlich weil so ein Anschlag in Europa eine Seltenheit ist, aber unsere Gedanken sollten auch den Menschen in Ländern gelten, die jeden Tag so etwas Schlimmes durchmachen. Der Terror ist auf der ganzen Welt verbreitet – und leider hat Amerika dieses Spiel angefangen.“
Kadeir Alaca (47):
"Ich komme aus der Türkei, ich kenne es, mit erhöhter Terrorgefahr zu leben. Dort kann es passieren, dass sich dein Nachbar – jemand, mit dem du dein Leben lang friedlich zusammengelebt hast – nach Jahren als Terrorist outet. Deutschland kennt so etwas nicht. Deswegen wird das Thema jetzt ein bisschen überzogen. Meine Einstellung ist: Wenn du morgens mit einem ängstlichen Gefühl aus dem Bett steigst, lohnt sich das Leben nicht.“
Christina Behringhoff (20):
"Die Terrorgefahr hat keine Auswirkungen auf meinen Alltag. Ich finde es schwachsinnig, wenn man betrachtet, wie viel über Paris berichtet wurde und wie wenig beispielsweise die Anschläge in Ankara im Oktober im Mittelpunkt standen. Aber man kann gar nicht anders, als sich seine Gedanken über den Terror zu machen. Aber es stört mich extrem, dass man so tut, als gäbe es derzeit auf der ganzen Welt kein anderes Thema.“