Mülheim. Der Autor und Journalist Thomas Kahl hat für sein Buch mit Zeitzeugen über ihre Kindheit und Jugend im Mülheim der 40er und 50er Jahre gesprochen. Mit Fotos und Texten beleuchtet er die Jahre von Krieg, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder und hat ein lebendiges Geschichte(n)-Buch geschaffen. Absolut lesenswert.

„Sagt mal. Wie war das damals, als ihr jung wart?“ Wenn Enkel ihren Großeltern diese Frage stellen, könnte das Buch „Mülheim - aufgewachsen in den 40er und 50er Jahren“ ihr Gespräch anregen. Denn mit seinen historischen Fotos und seinem kompakten, gut verständlichen und aus anschaulichen Zeitzeugenberichten gespeisten Texten wirft es ein bezeichnendes Licht auf den Alltag im Nachkriegsjahrzehnt zwischen Wiederaufbau und Wirtschaftswunder.

Als Opa und Oma noch jung waren

Als Thomas Kahl im vergangenen Herbst von einem Verlag das Angebot bekam, ein Buch über die Mülheimer Jugend der 40er und 50er Jahre zu schreiben, zögerte er zunächst. „Ich bin ja kein gebürtiger Mülheimer, sondern ein Zugezogener“, sagt er. Doch dann wurde ihm klar: „Auf diesem Weg könnte ich meine Wahlheimat besser kennen lernen.“ Gesagt. Getan. Schnell merkte er, dass die Großstadt Mülheim eigentlich ein großes Dorf ist, in dem jeder jeden kennt oder jemanden, der wieder jemanden kennt, der zum Beispiel über seine Kindheit und Jugend nach dem Krieg erzählen kann und will.

Heimatforscher Heinz Hohensee gehörte ebenso zu Kahls Gesprächspartnern, wie der ehemalige Kulturdezernent Hans-Theo Horn, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, Willi Bruckhoff oder Heinz Auberg vom Styrumer Geschichtsgesprächskreis.

„Ich habe bei den Gesprächen gelernt, dass die Mülheimer gerne über ihre Stadt schimpfen, aber trotzdem nichts auf Mülheim kommen lassen, weil sie sich mit der grünen Stadt an der Ruhr eng verbunden fühlen“, erzählt der 51-Jährige.

Zeitzeugen klagen nicht über ihr Schicksal

Die Mülheimer Zeitzeugen erzählten dem zugewanderten Chronisten nicht nur manche Anekdote, sondern steuerten, ebenso, wie das Stadtarchiv manch sehenswertes Foto aus ihrem Fundus bei.

Da wurde zum Beispiel von einem Knirps berichtet, der mit einem Holzgewehr versuchte, die britische Armee aufzuhalten oder von den Jahren, in denen ganze Familien in den Kellern ihrer von Bomben zerstörten und noch nicht wieder aufgebauten Häusern überleben mussten. Die Nachgeborenen können zum Beispiel etwas über eine Schulspeisung erfahren, an der sich die Geschmacksnerven der Schüler schieden oder über den unermüdlichen Einsatz der tapferen und fleißigen Mütter, die zum Beispiel mit ihren schweren Nähmaschinen in überfüllten Zügen (bis nach Niedersachsen) aufs Land fuhren, um sich für die in Mülheim fehelenden Lebensmittel die Finger wund zu nähen.

„Obwohl der Krieg in den Erinnerungen übermächtig ist und auch die Not nach dem Krieg nicht vergessen worden ist, hat niemand der Zeitzeugen über sein Schicksal geklagt“, staunt Kahl. „Arbeiten, vorankommen und mit der Familie einen bescheidenen Wohlstand genießen“, beschreibt er den Zeitgeist der 50er Jahre.