Mülheim. An dem Early-Excellence Prinzip, nach dem in den 39 städtischen Kitas die Kinder ihren Tag selbst gestalten können, wird Kritik von Eltern und Erziehern laut
Kinderärztin Bärbel Kröner-Beglau ist überzeugt: „Kinder brauchen feste Strukturen, Regeln und emotionale Sicherheit, um sich gut entwickeln zu können“, sagt sie. In den städtischen Kitas gehen die Erzieher einen anderen Weg. Die Kinder gestalten ihren Kita-Alltag relativ selbstbestimmt, so wie es das Konzept von Early-Excellence vorsieht. 2007 wurde es in den ersten Mülheimer Kitas eingeführt, heute in allen 39 angewandt. Jetzt wird Kritik an dem System laut.
Bärbel Kröner-Beglau äußert sie öffentlich. Weitere Eltern, Erzieherinnen und Kinderärzte wollen namentlich nicht erwähnt werden. Ihre Meinung ist drastisch: „Early Excellence kann man nicht reformieren, sondern nur abschaffen, weil es an Körperverletzung grenzt.“ Die Eltern sind verzweifelt. Sie berichten von überdrehten, schlaflosen, unkonzentrierten und aggressiven Kindern, die Probleme damit haben, Regeln einzuhalten, Kontakte zu knüpfen und sich in Gruppen zu integrieren. „In der Kita darf ich auch machen, was ich will, hören wir“, erzählen sie. Sie stellen fest, dass sich ihre Kinder auch im Vorschulalter schwer tun, Stifte richtig zu benutzen und zu malen. Auch von Kinderärzten oder Grundschullehrern würden sie die Rückmeldung bekommen, ihre Kinder hätten soziale und motorische Entwicklungsdefizite.
Einzelfälle?
„Wir haben unser Kind aus der städtischen Kita genommen und in einer konfessionellen Kita angemeldet, wo die Probleme schon nach wenigen Wochen kein Thema mehr waren. Aber das ist ja keine Option für alle Eltern“, sagt ein Vater. Verärgert sind Eltern und Erzieherinnen darüber, dass ihre Kritik von Kita-Leitungen und Jugendamt abgeblockt worden sei. „Das müssen wir jetzt so machen. Das liegt an ihrem Kind. Das sind Einzelfälle und Anlaufschwierigkeiten“, hörten sie immer wieder.
Bildungsdezernent Ulrich Ernst will „nicht ausschließen, dass es an der einen oder anderen Stelle schon mal haken kann, aber die globale Kritik an dem Konzept, in das wir bisher rund 4 Millionen Euro investiert haben, muss ich zurückweisen“, sagt er. Die bei der Stadt für Early Excellence zuständige Koordinatorin Karin Bode-Brock weist auf eine dreijährige Versuchsphase hin, die der flächendeckenden Einführung von Early Excellence vorausgegangen sei. Erst aufgrund der positiven Resonanz bei Erzieherinnen, Kindern und Eltern habe man 2011 stadtweit mit der Umstellung begonnen und auch danach überwiegend positive Reaktionen bekommen.
"Kinder gemäß Begabungen optimal fördern"
Auch wenn Ernst und Bode-Brock einräumen, dass sich einzelne Erzieherinnen mit Early Excellence schwertun, bleiben sie dabei „Early Excellence hat bisher segensreich gewirkt.“ Bode-Brock, die früher selbst eine städtische Kita geleitet hat, lädt die Early-Excellence-Kritiker zum Dialog ein. Außerdem weist sie auf Beratungs- und Weiterbildungsangebote hin.
Die Kritik ist mittlerweile auch in der Politik angekommen. Johannes Terkatz (SPD), Heiko Hendricks (CDU) und Franziska Krummwiede (Grüne) bekennen sich grundsätzlich zur Early-Excellence-Pädagogik. Sie fordern aber die Verwaltung auf, die Rahmenbedingungen zu überprüfen und alle Eltern mit einzubeziehen. Meike Ostermann (FDP) wird deutlich: „Ich höre die Kritik am Early Excellence Konzept von befreundeten Eltern immer wieder und nehme die Sorgen der Eltern und Erzieher sehr ernst. Ich halte es für falsch, wenn das Jugendamt die Kritik einfach abblockt. Damit schafft man kein Vertrauen. Oberste Priorität muss haben, alle Kinder gemäß ihren Begabungen optimal zu fördern. Das gelingt mit diesem Konzept offensichtlich nicht.“
SPD und Grüne wollen das Thema Early Excellence auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses setzen.