Mülheim. . Das Theater an der Ruhr hat zur Spielzeiteröffnung ein beachtliches Paket geschnürt. Einer derHöhepunkte ist die Raffelberg-Premiere von „Rückkehr in die Wüste“ von Bernard-Marie Koltés.

Was für eine gelungene Spielzeiteröffnung! Die Lesung aus Michel Houllebecqs Skandalroman Unterwerfung lockt so viele Besucher, dass es im Theaterfoyer richtig eng wird und Lust auf mehr geweckt wird; zwei Religionswissenschaftler, die zum Auftakt des neuen Formats „Politischer Salons“ hellsichtig und kurzweilig thematisch den Ball aufgreifen und über das Verhältnis von Christentum und Islam sprechen, ohne sich dabei im Theoretischen zu versteigen; eine vielbeachtete Vernissage der Ausstellung AnDer Grenze, die zehn Positionen zum Thema Flucht bietet; eine Premierenfeier, bei der sich das Foyer nach einem fulminanten Konzert von Rai-Star Dajamel Laroussi - wer hätte das gedacht - in eine Disco verwandelt, wo ausgelassen und gestärkt mit Falafel aus Isi Omaris Nomadenküche getanzt wird. Was will man mehr?

Und zum Auftakt des prall gefüllten Programms begeisterte die Premiere von Bernard-Marie Koltès Ende der 80er Jahre geschriebenen Stücks „Rückkehr in die Wüste“, die gegenüber der Premiere bei den Ruhrfestspielen noch gewonnen hat und auch komischer geworden ist. Das Theater an der Ruhr ist damit auf der Höhe der Zeit.

Steffen Reuber spielt den einfältigen Gernegroß

Fast wirkt es so, als hätte Houllebecq mit seiner satirischen Zukunftsvision eines islamisierten Frankreichs Koltès fortgeschrieben, der „Rückkehr in die Wüste“ in der Schlussphase des Algerienkrieges Anfang der 60er Jahre ansiedelt, als de Gaulle fast gestürzt wäre. Wiederholt lässt Roberto Ciulli in der französischen Provinz, statt Kirchenglocken läuten, den Muezzin rufen. Adrien Serpenoise, von Steffen Reuber wunderbar als einfältigen Gernegroß gespielt, unterstützt die ausländerfeindlichen Terroristen, die ein Café in die Luft sprengen wollen und wird so fast zum Mörder seines eigenen Sohnes.

Triebhaft tollt er zuweilen in der grotesken Zuspitzung wie ein Gorilla über die von Gralf-Edzard Habben in eine Wüste verwandelte Bühne. Mit seiner Schwester Mathilde (überragend und vielschichtig: Petra von der Beek) verbindet Adrien eine inzestuöse Hassliebe. Einst hatte er sie denunziert, noch zu Kriegszeiten, etwas mit einem Deutschen gehabt zu haben, hart bestraft, musste sie das Land verlassen. Nach 15 Jahren kehrt sie aus Algerien zurück, um noch einige offene Rechnungen zu begleichen. Sie ist eine Entwurzelte und fragt sich, was Heimat ist. „In Algerien bin eine Fremde, und ich träume von Frankreich; in Frankreich bin ich noch fremder, und ich träume von Algier.“