Mülheim. . Prof. Tobias Ritter, 40 Jahre alt, ist neuer Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung. Zuvor war er Professor an der Havard Universität.

Zum ersten Mal hat ein Full-Professor das Department für Chemie und Chemische Biologie der renommierten Harvard Universität in Amerika verlassen, und das Richtung Deutschland – nach Mülheim. „Das Mülheimer Max-Planck-Institut für Kohlenforschung hat weltweit einen exzellenten Ruf“, sagt Prof. Tobias Ritter, Chemiker, Vater von drei Kindern, einer mit einer ungewöhnlichen Karriere, die ihn mit 40 Jahren auf den Kahlenberg führte. Und nicht nur ihn. In seinem Team brachte er zehn junge Forscher aus Harvard mit an die Ruhr.

So richtig angekommen ist Tobias Ritter, der nun Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung ist, noch nicht. Alles ist im Aufbau. In seinem Institutsbüro sind Kisten noch nicht ausgepackt, und ein Teil seines Hausstandes, erzählt er, sei noch in einem Container irgendwo auf einem Schiff auf dem Atlantik unterwegs – auch sein Fahrrad, das er gewöhnlich nutzt.

Viel gesehen hat er von der Stadt noch nicht, und auf die Frage, wo er denn wohne, zeigt er mit der Hand aus dem Fenster Richtung Holthausen. Supermarkt, Schule des ältesten Kindes, Institut – in dem Dreieck bewege er sich derzeit.

Chemische Methoden, die die klinische Diagnostik verbessern

Die Wände im Institut hat er streichen lassen, etwas Orange und ein Blauton. Er hält viel von Ästhetik auch in der Forschung und findet es gut, dass die Wände beschreibbar sind. Es sei für ihn wichtig, spontane Ideen sofort festzuhalten, weiterzuentwickeln, andere daran teilhaben zu lassen. „98 Prozent der Ideen“, schätzt er, „führen in der Wissenschaft zu keinem Resultat, und doch können sie einen weiterbringen.“ Ein Forscher müsse vor allem wissen, in welcher Richtung er suchen sollte.

Ritter stammt aus Lübeck, ging in Bad Schwartau zur Schule, war damals auch ein Leistungsschwimmer und jemand, den Naturwissenschaften begeistern konnten. „Nach dem Abitur bin ich durch Deutschland gefahren, habe viel überlegt, was ich einmal mal machen soll“, erzählt er. Physik, Verfahrenstechnik, am Ende wurde es Chemie.

Die ersten anderthalb Jahre verbrachte er an der Technischen Universität Braunschweig, wechselte nach Bordeaux, später nach Lausanne in die Schweiz, für ein Jahr nach Stanford in den USA und dann an die ETH nach Zürich, wo er promovierte und seine Frau, eine Französin, kennenlernte.

Forschungsfeld Organische Synthese

Ritter hatte Glück: Jobben habe er neben dem Studium nie müssen, sondern er habe immer Stipendien erhalten. Der Chemiker schildert seine Lebensgeschichte, in der es meist nur aufwärts ging. Er betont aber auch, dass dahinter immer viel Arbeit gestanden habe und oft jene Ungewissheit, die Forschen nun mal mit sich bringt.

Ritter empfand es als Gewinn, nach der Promotion in einem Vorort von Los Angeles mit Prof. Dr. Robert Grubbs zusammenzuarbeiten, der wenig später den Nobelpreis erhielt. Es gibt Orte und Zeiten, die einen immer weiter nach oben katapultieren. Geplant habe er das alles nicht. „Ich habe immer das gemacht, was ich spannend fand.“ Im Jahr 2006 kam Ritter in Harvard an. Im Juli 2015 in Mülheim.

Organische Synthese heißt sein Forschungsfeld. Es geht dabei unter anderem um komplexe Moleküle, die für die Medizin von Bedeutung und für den Menschen eine große Hilfe sein können. „Wir entwickeln chemische Methoden, um die klinische Diagnostik zu verbessern“, sagt er. Es geht dabei um die Entwicklung von Methoden, mit denen ein Molekül hergestellt werden kann. Mit dessen Hilfe wiederum sollen dann im Körper Funktionen erfasst, verglichen und besser verstanden werden. Zum Beispiel, so Tobias Ritter, gehe es darum, mit Hilfe spezieller Moleküle das Gehirn besser zu begreifen, Fehlfunktionen früher zu erkennen. Das könne bei Alzheimer oder Parkinson hilfreich sein. Zunächst aber arbeite er an Molekülen, die für die Krebsdiagnose von Bedeutung sein können.

Geerdet durch die Familie

In Harvard hat er noch ein Bein drin, in einem Krankenhaus in Massachusetts wirkt er mit, und mit seinem ersten Doktoranden hat er eine Firma gegründet. Wo nimmt der Mann nur die Zeit her?

Tobias Ritter kennt das Gefühl des permanenten Nachdenkens, selbst unter der Dusche. Kann Wissenschaft süchtig machen? Er lächelt und weiß, dass mancher in den Welten der Atome und Reaktionen schon mal den Kontakt zum Alltag und zur Realität verloren hat. Er fühlt sich da gut geerdet, auch durch die Familie. Sport treibt er immer noch, zwar nicht mehr so intensiv, aber ein paar Mal in der Woche ein wenig joggen sei ihm schon wichtig, verrät er.

Vom Sport hat er die Ausdauer gelernt, die ihn letztlich auch in der Forschung weiterbringt. Apropos Sport: In Boston, erzählt er, musste man sich für Baseball interessieren. Nun, was wissen Sie vom Ruhrgebiet? „Ich weiß, hier sollte man sich schon im Fußball auskennen. . .“