Mülheim. . Die Jugendleiterinnen des Hauses für Kinder, Jugend, Familien sind froh. Erst war es schwierig war, auf Stadtteiltreffs zu verzichten. Jetzt läuft’s.

„Hier können wir uns ausbreiten, die Bedürfnisse von Jugendlichen aller Altersgruppen abdecken.“ Wer mit Erzieherin Ulla Bottenbruch (49) und Dipl.-Sozialpädagogin Claudia Behrend (53) spricht, erfährt: Die hauptamtlichen Jugendleiterinnen des Anfang 2015 eröffneten Hauses für Kinder, Jugend und Familien an der Witthausstraße empfinden die neuen Räumlichkeiten als nahezu perfekt. Und mittlerweile hätten auch die Kinder und Jugendlichen, die einst vier verschiedene Treffpunkte innerhalb der Vereinten Ev. Kirchengemeinde hatten, das Haus an der Pauluskirche gut angenommen.

Sind Sie urlaubsreif?

Ulla Bottenbruch: Und ob. In den ersten beiden Wochen der Sommerferien war ich mit 45 Jugendlichen des Kirchenkreises auf einer Freizeit in Norwegen. Es war total schön mit den 13- bis 16-Jährigen, in dieser grandiosen Natur, aber eben auch anstrengend. Danach lief bis fast zum Schulanfang unsere Sommerferienaktion. Es war eine arbeitsreiche, dennoch sehr positive Zeit.
Claudia Behrend: Ich hatte zum Glück Urlaub, war bei der Kieler Woche und in der Lübecker Bucht. Das war wichtig nach der anstrengenden Umzugs- und Aufbauzeit. Ich konnte Kraft sammeln für das, was kommt: etwa die Kinderfreizeit auf Juist in den Herbstferien.

Wie sieht so eine Sommerferienaktion aus?

Bottenbruch: Wir haben mit den Jugendlichen Loungemöbel aus Europaletten gebaut, für den Garten hinterm Haus. Die Paletten hatte uns der Küster der Petrikirche besorgt, von der Baustelle des Petrikirchenhauses. Wir haben auch einiges im Garten angepflanzt und Kunst für die Beete erstellt: Holzskulpturen und Windspiele. Wir haben gekocht, gebastelt und Ausflüge gemacht – zum Gasometer, in den Aquapark und den Hochseilgarten.

Wie haben die Kinder und Jugendlichen den Umzug in die neuen Räume aufgenommen?

Behrend: Zum Teil war es schon schwierig. Einige waren enttäuscht, dass die Treffpunkte in ihren Stadtteilen zugemacht haben. Sie haben den Sprung dann aber doch ganz gut geschafft. Die Jugendlichen versuchen, hier eine neue Heimat zu finden, gemeinsam mit Freunden aus ihrem Bezirk. Sie haben schon wieder eine Identität gefunden; das ist eine tolle Leistung. Wir Erwachsenen machen das Angebot, aber im Endeffekt motivieren sich die Jugendlichen untereinander. Das zieht am meisten. Für mich selbst war der Schritt übrigens auch größer als für Ulla, die ja früher schon hier war. Ich habe im Martin-Luther-Haus gearbeitet und danach an der Kreuzkirche – und bin sehr froh, jetzt endlich angekommen zu sein. Durch die Zusammenlegung können wir uns besser organisieren. Wir arbeiten enger zusammen.

Bottenbruch: Dass es gut funktioniert, sieht man daran, dass deutlich mehr junge Menschen als zuvor unsere Angebote nutzen. Die Tendenz stimmt. Vor allem vor dem Hintergrund, dass so viele Menschen die Kirchen verlassen, sind wir auf einem guten Weg. Aber das ist auch kein Wunder: Die Jugendetage ist toll. Am heißesten begehrt ist der Kindergruppenraum unter der Kirche. Da fühlen sich sämtliche Gruppen wohl, auch die Erwachsenen. So einen Treffpunkt gab es vorher nirgends.

Verschiedene Räume sind wichtig

Machen neue Räume wirklich so einen Unterschied?

Behrend: Allerdings. Das merkt man zum Beispiel beim Projekttag Trennung und Scheidung, den ich regelmäßig mit Realschülern durchführe. Da ist es wichtig, dass man Räume wechseln kann, hier ein Theaterstück spielen, dort malen und im dritten Raum im Stuhlkreis zusammensitzen kann. Die Projektarbeit kann auch besser vorbereitet werden. Wir haben Platz zum Spielen, Kochen, Toben, Kuscheln. . . Und auch mal zum Weinen. Fast die Hälfte der Schüler haben mit diesem schweren Thema zu tun – und die Betroffenheit ist da oft groß.

Was ist noch neu an und in der Pauluskirche?

Bottenbruch: Wir arbeiten wesentlich enger mit den Konfirmanden zusammen. Dadurch haben wir mehr Jugendliche, die sich zu ehrenamtlichen Mitarbeitern in der Kinder- und Jugendarbeit ausbilden lassen möchten. Allein jetzt sind es 26 Interessenten aus einer Gruppe von 70 Jungen und Mädchen, die gerade konfirmiert worden sind. Es gibt einen starken Trend bei den Jugendlichen, sich zu engagieren, auch um später im Beruf soziales Engagement nachweisen zu können.
Behrend: Ulla und ich sind nicht nur an der Pauluskirche im Einsatz, sondern auch an anderen Orten der Stadt. Wir betreuen Gruppen im Bereich Offener Ganztag und AGs an der Realschule Stadtmitte. Da beschäftigen wir uns mit der Entstehungsgeschichte des Kirchenhügels oder mit der Historie Mülheims.

Gibt es etwas, was Sie im Berufsalltag glücklich macht?

Bottenbruch: Bei mit ist das ganz klar die neue Art, Gottesdienst zu feiern. Wir nennen das ,Gottesdienst bewegt’ und für mich ist es jede Woche ein Fest. Anfangs gab es Skeptiker, vor allem unter den älteren Menschen, aber wir haben schon viele von ihnen überzeugen können. Die Besucherzahlen sind deutlich gestiegen. Selbst in den Ferien kamen sonntags mehr als 100 Menschen in die Pauluskirche, dabei fehlten die Konfis und auch andere waren im Urlaub. Das muss uns erstmal einer nachmachen. Hoffentlich kommen immer mehr Leute. Gerade junge Familien sollten es ruhig mal ausprobieren.

Behrend: Mir gefällt an unserer täglichen Arbeit, wie erstaunlich selbstverständlich die Inklusion bei uns schon funktioniert. Und wie toll sich die Jugendlichen untereinander tragen. In der Pubertät erleben sich ja viele als nicht wirklich angenommen. Hier aber haben sie eine Anlaufstelle – und dabei kommt manchmal wirklich erstaunlich Gutes raus.

Warum engagieren Sie sich eigentlich in unserer Stadt?

Behrend: In einer kolossal überalterten Stadt, in der für Jugendliche oft tote Hose ist, finde ich es besonders wichtig, Angebote für junge Menschen zu machen. Dass jetzt die neue Hochschule kommt, finde ich gut. Ich hoffe auf einen neuen Zeitgeist. Mit der HRW hat die Stadt eine klare Zusage an eine unterrepräsentierte Altersgruppe gemacht. Die Chance, studentisches Leben zu etablieren, sollte nicht an Duisburg oder Essen verschenkt werden. Mir gefällt an meinem Job, dass wir uns – auch wenn wir immer älter werden – die sich ständig verändernden Jugendwelten erschließen müssen.

Bottenbruch: Ich engagiere mich, weil ich gern in meiner Kirche arbeite. Ich bin seit 30 Jahren in der Gemeinde und es macht Spaß, die nötigen Veränderungsprozesse zu begleiten. Die Arbeit mit den Kindern, den Jugendlichen, den Erwachsenen und den älteren Menschen wird nie langweilig. Wir haben einen Beruf, der vielfältig ist, wahnsinnig spannend und immer wieder neu.

Was wünschen Sie sich für die Stadt – und für sich selbst?

Bottenbruch: Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, unseren Glauben weiterzutragen. Das ist schwierig. Aber ich habe jetzt bei der Jugendfreizeit wieder so tolle Erfahrungen gemacht. In der Bibelarbeit haben wir uns mit David befasst. Die Jugendlichen sollten selbst Psalmen verfassen und einer hat einen Brief an Gott aufgesetzt. Er hat geschrieben: ,Ich glaube ja nicht wirklich, dass es Dich gibt, da es doch so viel Schlimmes auf der Welt gibt. Falls aber doch, Gott, dann erwarte ich jetzt mal ein Zeichen von Dir.’ Ich finde es ungemein wichtig, sich mit Glauben und Nichtglauben auseinanderzusetzen. Wir hatten intensive Gespräche, natürlich auch über die Zweifel. Hinterher haben viele gesagt: Das war jetzt aber toll.

Behrend: Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wäre es dies: Wir sollten den Studenten, die hier anfangen, etwas bieten und zwar mitten in der Stadt. Wir sollten sie einladen ins Zentrum Mülheims. Zu meiner Zeit war die Schloßstraße bei jungen Menschen sehr beliebt.