Mülheim. . Familie Diraki flüchtete vor dem Terror aus Syrien. In Mülheim will die Familie zur Ruhe kommen und hofft darauf, ein neues Leben aufbauen zu können.
Um dem Terror zu entkommen, legte Familie Diraki tausende Kilometer zurück – zu Fuß, auf Booten und in Lastwagen. Anfang des Jahres flohen Pishwar (33), seine Frau Wasilina (27) und Elonara (4) aus Syrien über die Türkei und Griechenland, quer durch Deutschland bis ins Ruhrgebiet. An der Gustavstraße wohnen die drei nun seit sieben Wochen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Wir sprachen mit der Familie über die Schrecken ihrer Vergangenheit und ihre Hoffungen auf eine friedliche Zukunft in Mülheim.
Sie stammen aus Syrien, Ihre Frau aus Weißrussland – eine ungewöhnliche Konstellation. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Pishwar: Ich habe in Weißrussland Pharmazie studiert, meine Frau habe ich dort getroffen. Ich wusste gleich, dass wir zusammengehören.
Wasilina (lacht): Er hat sofort gesagt, dass er mich heiraten möchte, das fand ich merkwürdig. Aber dann hat er mir jeden Tag Blumen geschenkt. Seit zehn Jahren sind wir nun zusammen. Wir sprechen Russisch miteinander, Elonara wächst mit Russisch und Arabisch auf.
Wo haben Sie gelebt?
Pishwar: Nachdem ich mein Studium abgeschlossen hatte, lief mein Visum in Weißrussland aus, also zogen wir in meine Heimatstadt Damaskus in Syrien. Das war im Juli 2013. Nur wenige Tage nachdem wir dort ankamen, wurde ich von der Polizei verhaftet und in ein Militärgefängnis gesteckt – für anderthalb Jahre.
Info
Derzeit leben 1024 Flüchtlinge aus über 20 Nationen in Mülheim – fast täglich werden es mehr. Bei der Unterbringung der Menschen setzt die Stadt auf eine dezentrale Verteilung. Flüchtlinge sollen nach Möglichkeit in Wohnungen in ganzen Stadtgebiet untergebracht werden. Allerdings stößt Mülheim dabei langsam an seine Grenzen.
„Zurzeit sind 613 Personen in 118 Wohnungen der SWB untergebracht“, erklärt Peter Sommer, Teamleiter der Zentralen Wohnungsfachstelle im Sozialamt. „Hinzu kommen 23 Wohnungen anderer Gesellschaften, in denen 118 Menschen wohnen sowie sieben, die von privaten Vermietern gestellt werden mit einer Belegung von 19 Personen.“ Es fehle an kleinen und auch an größeren Wohnungen. Daher ließen sich Doppelbelegungen wie im Fall der Familie Diraki nicht vermeiden. „Aufgrund der dramatisch hohen Zuweisungszahlen müssen wir teils doppelt belegen“, bedauert Sommer. „Das wird aber nicht zum Standard.“
Wer als Vermieter Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, kann sich bei der Stadt melden: sylvia.ruhr@muelheim-ruhr.de, 455 16 44.
Warum wurden Sie verhaftet?
Pishwar: Die Militärpolizei warf mir vor, ein Regimegegner zu sein. In Haft haben sie mich gefoltert und mit einem Hammer meine Zehen zertrümmert. Während der Schläge stellten sie immer wieder dieselbe Frage: Warum bist du gegen Baschar? (Pishwar zieht die Socken aus, zeigt uns seine Füße: Die großen und mittleren Zehen beider Füße sind amputiert, der vordere Teil ist verkrüppelt.)
Wasilina: Ich saß während dieser Zeit mit der Kleinen im Haus und habe mich nicht mehr vor die Tür getraut. Es gab auch keine medizinische Versorgung für Pishwar in der Haft. Wir hatten große Angst.
Wie ist die Militärpolizei auf Sie gekommen?
Pishwar: Als es mit den Protesten gegen das Assad-Regime losging, war ich zu einem Aufenthalt in England. Dort ging ich in London mit anderen Leuten auf die Straße, um gemeinsam zu demonstrieren. Dabei müssen die Syrer mich gefilmt und mein Profil gespeichert haben. Nach anderthalb Jahren im Gefängnis, schaffte es mein Vater schließlich, mich freizukaufen. Ich mache mir Sorgen um ihn, denn er lebt als einziger meiner Familie immer noch in Damaskus, da er Immobilien dort besitzt. Er zahlt hohe Schutzgelder, doch auch die Terroristen des IS rücken immer weiter vor. Meine Mutter, Schwester und mein Bruder sind bereits geflüchtet, sie leben in Aachen. Daher wollten wir auch nach Deutschland.
Wie sind Sie dann nach Deutschland gekommen?
Pishwar: Sofort nach meiner Entlassung haben wir das Nötigste gepackt und sind in die Türkei gereist. Dort waren wir ca. drei Monate, bevor es mit Hilfe von Schleppern weiter nach Griechenland und dann nach Deutschland ging. Tagelang saßen wir in Lastwagen und reisten auch in kleinen Booten. Wir haben alles verkauft, um die Flucht finanzieren zu können. Insgesamt 21 000 Euro, unser gesamtes Erspartes.
Wie ist das Leben in der Flüchtlingsunterkunft?
Pishwar: Seit dem 1. Juni wohnen wir an der Gustavstraße. Zunächst hatten wir die Wohnung für uns, nun müssen wir sie mit einer Frau aus Syrien und ihrem elfjährigen Sohn teilen. Da kommt es zu Konflikten. Ohnehin sind manche Bewohner bis vier Uhr nachts wach und machen Lärm – es ist auch draußen sehr laut. Viele junge Männer, die hier untergebracht sind, haben nichts zu tun, weil sie ja nicht arbeiten dürfen. Oft gibt es Streitigkeiten und Prügeleien vorm Haus. Elonara kann dann nicht schlafen. Trotzdem sind wir glücklich, hier zu sein. Denn hier ist Frieden.
Werden Sie in Mülheim gut betreut?
Pishwar: Wir haben sehr viele freundliche Menschen in Mülheim getroffen. Viele helfen uns. Seit einiger Zeit arbeiten wir in der Wim-Gruppe an der Solinger Straße mit. Schließlich haben wir viel Zeit und wollen selbst anderen Flüchtlingen helfen. In der Gruppe haben wir schon Freunde gefunden. Rosi, eine Ehrenamtliche von Wim, hilft uns bei Ämtern und beim Übersetzen. Sie ist wie eine Mutter für mich. Da ich in Syrien Jugendmeister im Pingpong war, hat sie mir einen Tischtennisverein vermittelt, bei dem ich jetzt regelmäßig spiele.
Was planen Sie für die Zukunft?
Pishwar: Wir wollen schnell Deutsch lernen. Dafür üben wir schon täglich mit Büchern, bräuchten aber eigentlich einen Lehrer, der uns bei der Aussprache hilft. Vielleicht liest das ja jemand, der helfen könnte? Auch wollen wir schnell einen Kindergartenplatz für Elonara finden, damit sie Deutsch lernt und Kontakte knüpfen kann. Eine eigene Wohnung wäre ein weiterer Traum. Zunächst muss unser Asylantrag geprüft werden und wir hoffen, einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Dann darf ich hoffentlich irgendwann in meinem Beruf arbeiten. Mülheim gefällt uns so gut, dass wir am liebsten für immer hier bleiben würden. Wenn man uns lässt. Im Moment wissen wir nicht, wie und wann es weitergeht.