Mülheim. Gespräch mit dem ehrenamtlichen Experten vom Mülheimer Geschichtsverein, der heute 90 Jahre alt wird.
Er ist Herr des Museums, Experte für die wechselvolle Geschichte der Burganlage und der gute Geist von Schloß Broich: Heinz Hartling, der am heutigen Sonntag seinen 90. Geburtstag feiert, ist unermüdlich dabei, Fundstücke zu sichten und ihnen ihre Geheimnisse zu entlocken. Er wird nicht müde, großen und kleinen Besuchern seine Entdeckungen, mit spannenden Anekdoten gespickt, nahe zu bringen: Wie etwa die Porzellanstatue der Königin Luise ins Museum kam, oder was es mit dem Loch im Sarg des ermordeten Grafen auf sich hat. . .
Seit über 40 Jahren widmet sich der gebürtige Hesse der Vereinsarbeit und dem Auf- und Ausbau des historischen Museums. Im WAZ-Sommergespräch spricht der Träger des Rheinlandtalers (2014) über seine Beweggründe, seine Freude an der Entdeckung und Erforschung vergangener Zeiten.
Warum hat es Ihnen, als gebürtigem Hessen, die Mülheimer Geschichte so sehr angetan?
Heinz Hartling: Als ich 1972 nach Mülheim zog, waren die 65 Grabungen des Bonner Denkmalamtes abgeschlossen, und die spannenden Ergebnisse lagen vor. Ausgrabungsleiter Günther Binding hatte erkannt, dass das Burg-Mauerwerk gravierend interessant war und konnte den Ursprung in das 9. Jahrhundert zurückdatieren. Das war eine Sensation, es gab nichts Vergleichbares. Im Stadtrat war ja 1965 diskutiert worden, alles abzureißen. Das war damit hinfällig. Viele Mitglieder des Geschichtsvereins haben dann die Grabungen im Schlosshof fortgesetzt. Ich war in meiner Freizeit Mitgräber und Aufräumer. Wir haben den Brunnen ausgegraben, einen Schädel und Scherben gefunden. Die Museumsgeschichte fing dann an mit der Mülheimer Gartenschau Anfang der 1990er Jahre. Die Ausgrabungsfunde sollten im Schloss ausgestellt werden, und es wurde gefragt: Wollt ihr das? Könnt ihr das? Da habe ich leichtfertigerweise gesagt: „Es muss doch möglich sein, bei einem Verein mit fast 800 Mitgliedern etwas auf die Beine zu stellen.“ Die Antwort kam prompt: „Dann machen Sie mal!“ Unsere erste Ausstellung hieß dann: Leben auf der Burg.
Was fesselt Sie an der Auseinandersetzung mit Geschichte?
Hartling: Die Zeit ab dem 17. Jahrhundert finde ich besonders aufregend, denn von da an findet man am meisten. Es ist für mich absolut interessant, etwas zu entdecken, was Jahrhunderte lang niemand in der Hand hatte. Es gibt immer wieder Neues und Überraschendes: Ich bin gerade dabei, die Todesanzeige der Gräfin Wirich für das Museum erlebbar zu machen. Ein anderes Beispiel für spannende Geschichte ist der Sarg des Junggrafen Carl Alexander von Daun-Falkenstein, Sohn des Grafen Wilhelm Wirich, der 1659 im Alter von 16 Jahren von seinem Nachbarn erschossen wurde. In seinem Metallsarkophag, den wir vom Dachboden des Schlosses geholt haben, war ein Fenster ausgeschnitten. Das konnten wir uns lange nicht erklären. Später haben wir dann die Gruft im Schloss entdeckt, die ein Loch in der Decke zur ehemaligen Kapelle hatte. So hat man dem Toten die Möglichkeit gegeben, an den heiligen Messen teilzuhaben. . . Oder wir haben den Ärmel seines äußerst kostbaren Wamses restaurieren lassen. 2008 kam der Anruf der Industriellengattin Frau Boehringer: Sie habe eine Porzellanstatue der Königin Luise, hergestellt von ihrem Mülheimer Urgroßvater. Die ist nun Teil unserer Ausstellung.
Wie begeistern Sie junge Menschen für den Verein und die Mülheimer Geschichte?
Hartling: Rund 20 Prozent unserer Besucher sind Kinder und Jugendliche. Nach Absprache macht unser vierköpfiges Team Führungen für Schulen. Ich habe Familientage eingeführt, an denen wir zum Beispiel mittelalterliche Kopfbedeckungen anprobieren, Osterkörbchen flechten, Wappen ausmalen oder mit der Armbrust schießen. Wir veranstalten Vorlesenachmittage mit Sagen und Märchen, wofür mir gerade noch freiwillige Vorleser fehlen. Oder wir basteln Laternen zu Sankt Martin. An den normalen Besuchstagen dürfen die Kinder Mehl mahlen. Unser jüngstes Vereinsmitglied, mittlerweile 17 Jahre alt, hat schon als Steppke Besucher ins Museum gelockt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Hartling: Ich verfolge die Fortschritte der Restaurierungsarbeiten an der Burg interessiert. Deswegen wünsche ich mir, dass es viel Geld fürs Schloss gibt. Für das Museum wünsche ich mir nicht viel, denn ich finde, es ist sinnvoll genutzt und die Geschichte wird anschaulich dargestellt.
Hinter alten Mauern gibt es viel zu entdecken
Die wechselhafte Geschichte von Schloß Broich wird durch 300 Ausstellungsstücke im Historischen Museum lebendig. Rund 300 Exponate vom Anfang der Burg-Geschichte bis zum Ende der Herrschaft Broich 1808 (Mülheim wurde zur Stadt) werden gezeigt. Das Museum wird vom Stadtarchiv in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsverein betreut.
Schloß Broich war von 1836 bis 1938 in Privatbesitz. Dann wurde es von der Stadt erworben. Ab 1975 waren Teile der VHS im Schloss beheimatet. In der ersten Etage der Burg stellten bis 2000 Mülheimer Künstler aus. Seit 2006 wird das gesamte Hochschloss als Museumsraum genutzt. Die Befestigungsanlage liegt an der historischen Ruhrfurt des alten Hellwegs und ist in Teilen der älteste erhaltene frühmittelalterliche Wehrbau der späten Karolingerzeit nördlich der Alpen.