Mülheim. . Das Junge Theater an der Ruhr führt das Werk von Aischylos mit verblüffender Präsenz und erstaunlicher Körpersprache auf. Starker Premierenbeifall.
Manege frei für Agamemnon und seine wilde Truppe! Szenen voller Mord und Totschlag, düsterer Erotik aber auch Freundschaft und Selbstzweifel wird uns das größtenteils schwarz gekleidete Ensemble vorspielen. Das Junge Theater an der Ruhr hat unter Leitung von Bernhard Deutsch und Esther Merkelt die „Orestie“ als temporeiche Szenencollage in einen Zirkusrund verlegt.
Vor rund 2500 Jahre hat der Athener Aischylos diese Trilogie geschrieben. Das Junge Theater stützt sich nicht allein auf das Original, sondern entwickelte eine eigene Szenenfolge aus sieben der zahlreichen Bearbeitungen des Stoffes - unter anderem von Sokrates über Goethe, Sartre bis zu Henry Mason.
In kurzen Szenen lässt das 16 bis 24 Jahre alte Ensemble die Geschichte abrollen. Apollon, in Pumphose und Glitzerturban einem Jahrmarktsfakir ähnlich, führt durch die Zeitsprünge. Er ist eher Zeremonienmeister als mächtiger Gott, zwar meist sympathisch, aber nicht frei von menschlicher Boshaftigkeit. Er gibt der blinden Kassandra das Augenlicht, doch als sie sich seinen erotischen Avancen entzieht, blendet er sie aufs Neue. Ansonsten hat er praktisch nur eine Möglichkeit, bei den Menschen Ordnung zu schaffen: Von Zeit zu Zeit fegt er die Manege.
Zirkus funktioniert nicht ohne Komik
Der Zirkus ist ein naher Verwandter des Theaters, der ohne Komik nicht funktioniert, aber der auch Monstrositäten und Abgründe ausstellt. In Orestie-Fassung des Jungen Theaters werden aus Orest und seinem Freund Pylades zwei Clowns. Der schwarz gekleidete Orest trägt in seinen Rachegedanken etwas von der Besessenheit seines Vaters Agamemnon in sich, der pragmatische, leicht melancholische Pylades plädiert dagegen für Versöhnung. Chef der Truppe war Vater Agamemnon, eine Mischung aus Zirkusdirektor mit Tressen und Zylinder und Voodoo-Fürst. Als er nach dem Krieg gegen Troja seinen Zirkus nach den alten Prinzipien weiterführen will, macht ihm Gattin Klytaimnestra einen Strich durch die Rechnung. Die Raubtier-Dompteurin mit Domina-Appeal teilt ihm mit, dass sein „Laden“ jetzt nach neuen, weiblichen Prinzipien geführt werde und bringt ihn dann um.
Der zum Zirkus gehörenden Schaulust bietet das Junge Ensemble allerhand. Mit verblüffender Präsenz und erstaunlicher Körpersprache schreiten, toben und winden sich die Akteure über die Probebühne an der Ruhrorter Straße. Auch sprecherisch überzeugen sie mit Nuancen zwischen wildem Schrei und leisem Raunen. Fast fühlt man sich durch die Intensität, die diese jungen Amateure auch in intimen Szenen erreichen, als Zuschauer in die Rolle des Voyeurs gedrängt. Dass die Konflikte der Orestie dabei nicht verloren gehen, ist eine weitere Stärke der Inszenierung. Am Ende gab es starken Premierenbeifall.