Mülheim. . Unternehmen sehen Ansätze an den Hochschulen, fordern aber eine Aufwertung der dualen Ausbildung. An der HRW lobt man die berufsorientierte Lehre.
Viele Unternehmen kritisieren die Ausbildung junger Menschen in Deutschland als unzureichend und zu schnell (wir berichteten). Bei einer Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags wurden vor allem fehlende Praxistauglichkeit und mangelnde Reife junger Hochschulabsolventen bemängelt. Teile der Wirtschaft fordern daher mehr Ausbildung statt Studium. Lokale Vertreter aus Lehre und Wirtschaft nehmen Stellung.
Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes, sieht die Kritik an den Hochschulabsolventen „pauschal als nicht gerechtfertigt.“ Im Gegenteil: „Die Wirtschaft setzt auf die Absolventen und traue ihnen viel zu“, so Schmitz. Der Austausch zwischen Hochschule und Wirtschaft habe in der Region an Dynamik gewonnen. Durch das Engagement der Unternehmer sei die Ansiedlung und der erfolgreiche Start der Hochschule Ruhr West erst möglich geworden.
„Dieses Engagement hat zur Steigerung des Praxiseinblicks für Studenten geführt. Die Stichworte lauten Praxissemester, Praktika, Duales Studium, Kooperationen bei Master- und Bachelorarbeiten“, betont Schmitz. Die Hochschulen seien auf dem richtigen Weg.
Wenn aber über die Hälfte eines Jahrgangs an die Hochschulen wolle, laufe etwas schief. Dadurch würden zu viele Studienabbrecher produziert. „Wir müssen wieder stärker die Chancen der dualen Ausbildung in den Blick nehmen“, fordert Schmitz. Eine Ausbildung sei nicht schlechter als ein Studium. Die Chancen für Facharbeiter seien gut, gerade in technischen Berufen.
Auch die „weichen“ Faktoren seien nicht zweitrangig, sondern in einer auf Teamwork und Kommunikation basierenden Arbeitswelt unverzichtbar. „Hierfür müssen sich auch die Fachbereiche an Unis und Hochschulen noch besser verzahnen, aber auch da gibt es vielversprechende Ansätze.“
Das sagt die Hochschule
Eberhard Menzel, Präsident der Hochschule Ruhr West, sieht die HRW bei der Lehre gut aufgestellt. „In allen Bachelorstudiengänge ist ein Praxissemester in einem Betrieb Pflicht. Auch die Bachelorarbeit schreiben die Studierenden vorzugsweise im Unternehmen.“ Das Studium beinhalte rund sieben Monate praktische Erfahrung. Zudem gebe es an der HRW zahlreiche duale Studiengänge mit integrierter zweijähriger Berufsausbildung. Im Master gebe es Möglichkeiten, berufsbegleitend zu studieren, beispielsweise im Studiengang Betriebswirtschaftslehre.
Es gebe jedoch auch viele Positionen, in denen gar kein Master benötigt werde, so Menzel. Auch mit dem Bachelor könnten Studenten auf dem Arbeitsmarkt schon einiges erreichen: „Die Absolventen sind zum Teil zwar noch recht jung. Wir versuchen aber auch, gezielt ihre soziale Kompetenz zu fördern“, betont Menzel. Im Zentrum für Kompetenzentwicklung müssen HRW-Studenten Kurse belegen, in denen sie Teamfähigkeit oder das Präsentieren von Inhalten lernen. Einen Grund für die fehlende Attraktivität von praktischen Ausbildungsberufen gegenüber dem Studium vermutet Menzel bereits in der Schule. „Schüler lernen zu wenig handwerkliche Tätigkeiten und lassen sich zu sehr im Klassenraum berieseln. Dadurch wissen viele gar nicht, was sie alles tun könnten.“
Das sagt der Student
Joshua Kinter (23) studiert im achten Semester Wirtschaftsingenieurwesen Energiesysteme an der HRW. Die Lehre empfindet er als sehr praxisnah. „Wir lernen bei Dozenten aus der Wirtschaft und arbeiten im Labor mit Programmen, die in der Industrie genutzt werden.“ Zudem verbesserte Kinter in Management- und Knigge-Kursen seine „soft Skills“.
Vielen Unternehmen scheine das aber nicht zu genügen, klagt der Bachelorstudent, der sich gerade für ein Praxissemester bewirbt. „Viele Kommilitonen bekommen von Firmen für das Praxissemester eine Absage oder dürften im Betrieb kaum mitarbeiten.“ Die Anforderungen seien zu hoch, so Kinter. „Am besten hat man schon Berufserfahrung, gute Noten, engagiert sich nebenbei ehrenamtlich und hat keine Kinder und ist unter 25.“ sagt Kinter, der die Kritik der Unternehmen nicht nachvollziehen kann. „Vor Jahren wollte die Wirtschaft so schnell wie möglich neue Fachkräfte haben. Nun sind den Firmen die Absolventen nicht gut genug.“