Mülheim. Das Kunstprojekt des Theaters an der Ruhr bringt das dritte Theaterstück mit Flüchtlingen im ehemaligen Frauengefängnis auf die Bühne.
Um Kriegen, Vertreibung, Verfolgung und Not in ihren Heimatländern zu entkommen, fliehen Menschen unter Einsatz ihres Lebens über die Weltmeere, um in Deutschland bei Null anzufangen. Häufig sind es nur Zahlen und Fakten, die wir über diese Flüchtlinge mitten unter uns wissen. Ihnen ein Gesicht geben, mehr über ihre Geschichte zu erfahren und vor allem, sie aus der sozialen Isolation ins Bewusstsein der Stadtgesellschaft rücken – das ist das Anliegen der „Ruhrorter“.
Hinter dem Theater- und Kunstprojekt für Flüchtlinge und Asylsuchende des Theater an der Ruhr stehen Adem Köstereli (Regie), Wanja van Suntum (Klang- und Rauminstallation) und Jonas Tinius (wissenschaftliche Begleitung, Dokumentation). Nach bemerkenswerten und einfühlsamen Theaterstücken „Ein Stück von mir“ am Raffelberg und „Zwei Himmel“ in einer ehemaligen Asylunterkunft an der Ruhrorter Straße kommt die dritte Inszenierung unter dem Titel „Und die Nacht meines Anfangs“ in dem ehemaligen Frauengefängnis an der Gerichtsstraße in die Stadt. Premiere ist Anfang Juni.
Inszenierung setzt bei Menschen an
Wie die Vorgänger setzt auch diese Inszenierung bei den Menschen an, gibt ihnen und ihrer Geschichte der Flucht eine Bühne. Mit dem Spielort in den Isolationszellen im Keller des Gebäudes werden die Gefühlswelt der Enge, Einsamkeit und Ausgrenzung der Asylsuchenden fürs Publikum spürbar. „Ein Ort, der sinnbildhaft für institutionelle und soziale Isolierung steht“, sagt Adem Köstereli. Wie bei den Vorgänger-Inszenierungen sollen die Spuren, die Menschen in Haft hinterlassen haben, wieder mit Kunst verknüpft werden. Diesmal mit „einer begehbaren Mischform aus Theater und Installation“, erläutert Wanja van Suntum.
„Als Abschiebegefängnis genutzt“
In dem Gebäudekomplex ist heute die Awo mit ihrer Drogenhilfe untergebracht. Bei ihren Recherchen hat das Ruhrorter-Team herausgefunden, dass der Ex-Knast in den 90er Jahren auch als „Abschiebegefängnis genutzt wurde“. Im Laufe des Ruhrorter-Projektes mussten die Macher leidvoll erfahren, dass einige der Flüchtlinge mit ihren Familien auch abgeschoben wurden.
Seit Januar laufen die Proben für das Stück, das mit sieben Flüchtlingen erarbeitet wird. Es soll kein Gefängnisstück werden. „Wir versuchen, uns dem Raum und seiner einstigen Bestimmung respektvoll zu nähern und über Improvisationen eine neue Situation hinzuzufügen“, betonen Adem Köstereli und Wanja van Suntum. Sie wollen dem „Zwangsraum“ etwas Positives abgewinnen.
Entstehen soll ein Umfeld von Theater und Kunst, wo Träume und Fantasie erwachen können. „Ein Raum, wo Restfreiheit besteht, über Bilder und Fragmente Geschichten zu erzählen.“
Korrektiv gegen die Ausgrenzung
Adem Köstereli ist von Haus aus Ökonom und arbeitet im Einkauf eines Konzerns. Seine Leidenschaft gilt dem Theater, die er mit Wanja van Suntum, Kulturwissenschaftler und Künstler, teilt. Vor zwölf Jahren lernten sich die beiden Mülheimer beim Jungen Theater am Raffelberg kennen. Neben der Schauspielerei entwickelte Köstereli eigene Projekte, leitete ein Kinder- und Flüchtlingstheater. Dritter im Bunde ist Jonas Tinius, der das Projekt wissenschaftlich begleitet und eine Dokumentation erstellt.
Ziel von „Ruhrorter“, ein dreiteiliges Theater- und Kunstprojekt, ist die Suche nach neuen ästhetischen Formen, um mit den Mitteln der Kunst und der forschenden Dokumentation ein Korrektiv gegen die Kategorisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu entwerfen. Zusätzlich entsteht eine Materialsammlung, die den Prozess anthropologisch dokumentiert.
Das Projekt des Theater an der Ruhr wird vom Kulturministerium des Landes gefördert. Weitere Informationen im Internet unter: www.ruhrorter.com.