Mülheim. Das Fanfarencorps der Mölmschen Houltköpp beweist seit 60 Jahren, dass Musik verbindet. Die ersten Takte wurden 1955 als Fanfarenzug der IG Bergbau intoniert
„Physiotherapie“ steht auf dem Türschild. Doch das, was man schon von weitem hört, klingt eher nach Karneval und Schlager: „Liebeskummer lohnt sich nicht, mein Darling“ oder: „Die Karawane zieht weiter. Der Sultan hat Durst.“ Und das alles auf knapp 120 Quadratmetern mit Pauken, Trommeln, Schellenringen Trompeten und Posaunen.
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Nein. Ein Probenbesuch beim Fanfarencorps der Mölmschen Houltköpp ist nichts für zart besaitete Ohren. „Die können auch leise spielen“, versichert die Vorsitzende des Fanfarencorps, Kerstin Schattke. Doch an diesem Probenabend im ehemaligen Frühförderzentrum an der Bruchstraße wollen die rund 30 Musikerinnen und Musiker der Mölmschen Houltköpp partout nicht leise spielen. Und dabei spielt nur einer der Musiker mit Ohrstöpseln.
"Es macht einfach Spaß mit diesem wilden Haufen Musik zu machen"
Doch keiner der Gesprächspartner macht einen schwerhörigen Eindruck. Auch dem Trompeter und Ex-Prinzen Björn Espelmann, der nach Auskunft seiner Mutter Kerstin Schattke schon als kleiner Junge mit zu den Proben kam, hat die zünftige Beschallung offensichtlich nicht geschadet und die „Powermusik“, wie er sie nennt, macht nicht nur ihm sichtlich Vergnügen.
Was begeistert Männer und Frauen zwischen 15 und 62 fürs heilige Blechle? Klaus Wegener (42), der seit vier Jahren beim Fanfarencorps der Mölmschen Houltköpp das Tenorhorn spielt, sagt es so: „Es macht einfach Spaß mit diesem wilden Haufen Musik zu machen und dafür auch noch Applaus zu bekommen.“ Was ihn fasziniert, „ist der Zusammenhalt im Verein.“ Und der zahlt sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch im richtigen Leben aus. Wenn etwa ein Musiker des Fanfarencorps umziehen muss, reichen einige Anrufe um Leute zu finden, die mit anfassen.
Alles Lieder werden in Griffzahlen geschrieben
„Mich begeistern einfach die Leute. Es macht mir unheimlichen Spaß, mit diesen Menschen zusammenzusein“, betont Dirk Hotz. Der 47-Jährige ist ein spätberufener Posaunist, der zurzeit noch für seinen ersten Auftritt übt. Seine Tochter Lisa spielt seit drei Jahren im Fanfarenzug der Houltköpp Trompete. Das faszinierte ihre Mutter Andrea so sehr, dass sie bald mit einem Schellenring einstieg. Und da hielt auch Vater Dirk bald nichts mehr zu Hause.
Deshalb trug er bei den Auftritten des Fanfarenzuges die Vereinsstandarte. Doch das reicht ihm nicht mehr. Er will selbst ein Musiker werden. Dafür braucht er keine Noten zu lernen. Denn die beiden musikalischen Leiter des Musikzuges, Patrick Lewen und Silvia Müller schreiben alle Lieder in Griffzahlen um. Müller, die seit 30 Jahren im Fanfarencorps Trompete spielt, empfindet den Musikverein im Karnevalsverein „wie eine Familie.“ Die familiäre Atmosphäre wird nicht nur bei Proben und Auftritten, sondern auch mit gemeinsamen Ausflügen und bei Freundschaftstreffen mit anderen Musikzügen gepflegt.
Starker Zusammenhalt hat eine lange Tradition
„Wir sind, wie eine Fußballmannschaft. Wir sind nur dann stark, wenn wir gut zusammenspielen und genau aufeinander achten“, bringt es der Corpsführer und Posaunist Dirk Werner auf den Punkt.
Starker Zusammenhalt hat in dem Musikzug, der seit den 60er Jahren im Karneval nicht nur für die Mölmschen Houltköpp aufspielt, eine lange Tradition. Denn der Musikzug, der heute „Schatzi, schenk mir ein Foto“ oder: „Es war einmal ein treuer Husar“ intoniert, spielte über 50 Jahre auf jeder Mai-Kundgebung das Arbeiterlied: „Brüder zur Sonne, zur Freiheit.“ Das lag nahe. Denn das Fanfarencorps wurde vor 60 Jahren unter der Leitung von Erwin Skibbe als Fanfarenzug der Industriegewerkschaft Bergbau in der Heimaterde aus der Taufe gehoben. Beim ersten Auftritt auf dem Rathausmarkt schmetterten seine Fanfaren am 1. Mai 1955 nicht nur „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, sondern auch „Glück auf, der Steiger kommt.“ Doch dieses Bergmannslied spielt der Musikzug der Mölmschen Houltköpp heute nur noch als Geburtstagsständchen. Denn die letzte Zeche der Stadt (Rosenblumendelle) schloss bereits 1966.