Mülheim.
Seit 2010 lebt die Familie P. von „Hartz IV“. 2000 Euro stehen dem Ehepaar und den drei Kindern im Monat zur Verfügung. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens von Hartz IV ist die Familie bereit, offen über ihre eingeschränkte und scheinbar ausweglose Lebenssituation zu sprechen:
Die Dümptener Wohnung von Janine und ihrem Mann Peter* ist hell und freundlich, an den Wänden hängen große Fotografien der vier und drei Jahre alten Söhne und vom dreieinhalb Monate alten Baby. Seine Mutter ist aktuell etwas in Sorge, weil der Kleine Schnupfen hat.
„Ich schäme mich, und es weiß auch nicht jeder, dass wir Hartz IV bekommen“, erklärt Janine. Deswegen wollen sie nicht erkannt werden. „Andererseits“, sagt die politisch engagierte Frau: „Wenn sich keiner beschwert, ändert sich auch nichts.“
"Ich habe schon alles Mögliche versucht"
Die gelernte Busfahrerin hat nicht lange genug gearbeitet, um viel Berufserfahrung aufweisen zu können. Außerdem müsse man für eine Anstellung flexibel sein. „Die nehmen keine Mutter mit kleinen Kindern, und schon gar nicht in Teilzeit“, ist die 26-Jährige sicher.
Ihr Mann hat eine Behinderung und war trotz abgeschlossener Ausbildung als Bürokaufmann in seinem Beruf nie vermittelbar. Mit 48 Jahren hat er, trotz Weiterbildungen im Computerbereich, die Hoffnung auf eine qualifizierte Arbeit aufgegeben und ist nun in einer Behinderteneinrichtung beschäftigt. Er erhält für seine Arbeit ein Sozialticket, Taschengeld und Mittagessen.
„Ich habe schon alles Mögliche versucht“, sagt er. Mit Arbeitslosenhilfe sei es ihm damals besser ergangen. Die finanzielle Situation habe sich für ihn seit Hartz IV verschlechtert.
Es geht nur mit der Hilfe von Familie und Freunden
Die fünfköpfige Familie lebt nun von insgesamt rund 2000 Euro im Monat. Da geht die monatliche Miete von 764 Euro für die 84 m² große Wohnung noch runter. Von den verbleibenden gut 1200 Euro zahlt das Ehepaar alle Festkosten und den Lebensunterhalt.
„Wenn wir nicht hin und wieder Zuwendungen von Familie und Freunden bekämen, würden wir kaum über die Runden kommen“, ist Janine sicher.
Ihre eigene Situation sieht sie nicht optimistisch, befürchtet, dass die bald anstehenden Schulausgaben das Budget noch kleiner machen. Trotzdem möchte das Paar seine Kinder „fördern, wo es möglich ist“. Und sie sollen eine gute Ausbildung bekommen, vor allem der Mittlere mache jetzt schon einen schlauen Eindruck. Janine, im Moment in Elternzeit, sieht für sich maximal eine berufliche Zukunft im Teilzeit- oder Minijob-Bereich. „Ich will ja auch für die Kinder da sein“, sagt sie.
Geht es der Agentur nur um die Statistik?
Mit Gesetzen und Zuständigkeiten kennt sich das Paar gut aus und nimmt in Anspruch, was möglich ist, wie Babyerstausstattung, Bildungspaket, Mülheim Pass oder Sozialticket. „Es gibt aber viele Menschen, die wissen gar nicht, was ihnen zusteht. Denen geht es noch schlechter als uns“, so die junge Mutter. Ein Nachbar von ihnen gehe zum Beispiel regelmäßig betteln, weil er sonst finanziell nicht klar käme.
Das Paar kritisiert die ihrer Meinung nach wenig zielgerichteten Vermittlungsstrategien der Sozialagentur. Praktika oder Bewerbungstraining würden häufig verordnet, mit individuellen Bildungsgutscheinen sei die Agentur allerdings zurückhaltend. Es scheine primär darum zu gehen, die Menschen aus der Statistik zu bekommen. „Ich will nicht alles so hinnehmen, wie es ist, und lieber den Mund aufmachen“, bekräftigt Janine.
* Name der Redaktion bekannt.