Mülheim. Weil der Bund das Fördergeld streicht, verlieren viele Behinderte am Ende des Jahres ihre Arbeit und müssen wieder von Sozialleistungen leben. Bisherige Arbeitgeber können das nicht auffangen.
„Darf ich Ihnen beim Einsteigen helfen?“ Dieses Hilfsangebot, das vor allem Senioren oder Mütter mit Kinderwagen an den Bus- und Straßenbahnhaltestellen schätzen, fällt künftig weg. „Ohne Bundeszuschüsse gibt es leider keinen Begleitservice mehr“, lautet dazu der schlichte Kommentar bei der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG). Aus der eigenen Kasse kann das von hohen Verlusten gezeichnete Nahverkehrsunternehmen die 17 Männer und Frauen nicht bezahlen.
„Das ist ein herber Rückschlag für Behinderte, die nun nicht mehr so mobil und selbstständig sind“, fügt Alfred Beyer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der in der Behindertenarbeit tätigen Vereinigungen (AGB), hinzu. Auch beim Diakoniewerk Arbeit und Kultur, der Paritätischen Initiative Arbeit (Pia) und weiteren Hilfsorganisationen fallen im neuen Jahr zahlreiche unterstützte Arbeitsplätze weg.
Ulrich Schreyer: Man nimmt Menschen die Chance auf Eingliederung
„Die vom Bund verfügte Einstellung der Zusatzleistungen für behinderte Menschen wird schlimme Folgen haben. So nimmt man ihnen wieder die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen“, blickt Ulrich Schreyer, Geschäftsführer des Diakoniewerkes, enttäuscht ins Jahr 2015. Insgesamt 72 Frauen und Männer haben dank der bisher gezahlten Bundesstütze einen regelmäßigen Job mit Einkommen gehabt. In wenigen Tagen seien sie wieder auf Sozialleistungen angewiesen, die Steuerzahlern mehr kosteten als die bisherige Lösung. „Wir haben über die Förderprogramme schon zahlreiche Menschen an Firmen in feste Anstellungen vermitteln können“, betont Schreyer ihren Wert.
Gleichberechtigt teilhaben
Laut UN-Behindertenrechtskonvention soll Diskriminierung abgebaut und volle sowie gleichberechtigte Teilhabe gewährleistet und gefördert werden. Endlich erhielten Betroffene mit Bundesgeld praktische und direkt bei ihnen ankommende Hilfen.
Viele Studien belegen, was Betroffene auch spüren: Länder, Bund und EU legen oft unnötige Projekte im Namen der Inklusion auf, die im Alltag verpuffen.
Wie groß die Zahl der Behinderten ist, die ab 1. Januar zurück in die Arbeitslosigkeit fallen, lässt sich für Mülheim nicht genau ermitteln, „weil immer wieder Leute ausfallen und von anderen ersetzt werden“, sagt Alfred Beyer. Es dürften jedoch ein paar Hundert sein, schätzt er.
„Ein nützliches Angebot“
Doch laut AGB hätten Bürokraten häufig keinen Blick für praktische Lösungen. „Ein nützliches Angebot ist aus Sicht der Betroffenen der MVG-Begleitservice“, betont Alfred Beyer. Zahlreiche Menschen mit Behinderung oder Ältere hätten mit dieser Hilfe ihre Eigenständigkeit wiedererlangt. Sie konnten wieder am Leben teilhaben. Wissenschaftler hätten längst belegt: Sie bleiben dadurch länger geistig und körperlich fit. Dies bringe dem Gesundheitssystem Einsparungen.
Die Frauen und Männer vom Begleitservice und der Hilfswerke stehen nun wieder auf der Straße. Die meisten von ihnen waren froh, mit einer Arbeit eine Lebensperspektive zu haben. Die Bittschreiben der AGB, den Begleitservice und andere Job zu erhalten, blieben ungehört.