Mülheim. . Vor dem Stammsitz der Tengelmann-Unternehmensgruppe, zu der KiK gehört, demonstrierten Beschäftigte für mehr Lohn. Viele von ihnen arbeiten 40 Stunden in der Woche für 1650 Euro brutto.

Mit Trommeln und Trillerpfeifen machten gestern rund 200 KiK-Beschäftigte in Speldorf kräftig Lärm. Vor der Tengelmann-Konzernzentrale an der Wissollstraße demonstrierten die Mitarbeiter des KiK-Zentrallagers Bönen für die Einbindung in einen Tarifvertrag. Mit Unterstützung der Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi fordern sie Tengelmann und deren Tochter KiK auf, „endlich in Tarifverhandlungen einzutreten“. Der Verdi-Bezirk Mülheim-Oberhausen will indessen für 2015 das Thema „Niedriglöhne“ stärker in den Fokus nehmen. Denn immer mehr Mülheimer müssen trotz Beschäftigung staatliche Leistungen in Anspruch nehmen.

Sabine Fischer arbeitet seit sieben Jahren als Kontrolleurin über 40 Stunden in der Woche im Zentrallager des Textildiscounters im westfälischen Bönen. Dort prüft sie Warenlieferungen auf Fehler und Qualität. „Etwa 1000 Euro netto habe ich am Ende des Monats raus“, berichtet die 40-Jährige. Als Alleinstehende wohne sie in einer WG. Rücklagen könne sie von ihrem kleinen Lohn kaum bilden. „An Altersvorsorge ist gar nicht zu denken“. Sabine Fischer rechnet vor: „Mit Hartz IV hätte ich nur 80 Euro weniger im Monat zur Verfügung. Manchmal frage ich mich, ob es sich lohnt, dafür jeden Tag um vier Uhr aufzustehen.“ Doch: „Ich gehe gerne arbeiten. Dafür möchte ich aber auch entsprechend entlohnt werden.“

Tengelmann-Gruppe wollte sich nicht zum Streik äußern

Auch ihr Kollege, der namentlich ungenannt bleiben möchte, kann keine großen Sprünge machen. „Für mich als Familienvater mit zwei Kindern bleibt bei einem Bruttogehalt von 1650 Euro nicht viel übrig.“ Nur durch das Teilzeitgehalt seiner Frau sei das Einkommen gesichert. „Aber die Familie möchte ja auch mal in den Urlaub fahren – das ist kaum möglich.“ Verdi fordert daher die Einbindung in den NRW-Einzelhandelstarifvertrag. Demnach würde der Bruttolohn des KiK-Mitarbeiters von derzeit 1650 Euro auf 2106 Euro steigen.

So wie Sabine Fischer und ihr Kollege arbeiten auch zahlreiche Mülheimer auf Niedriglohn-Basis. Im Mülheimer Verdi-Bezirk beobachten die Gewerkschafter zunehmend, wie Menschen in die Not geraten, zusätzlich zum Einkommen staatliche Leistungen beanspruchen müssen. „Das passiert in vielen Branchen, etwa in Teilen des Einzelhandels, im Pflegebereich oder im öffentlichen Dienst“, erklärt Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Henrike Greven. Tatsächlich belegen die Zahlen der Sozialagentur eine Steigerung der „Aufstocker-Quote“: Besserten im Jahr 2010 insgesamt 3039 abhängig Erwerbstätige in Mülheim ihr Einkommen mit Sozialleistungen auf, stieg die Zahl bis Juni 2014 auf 3332. „Ergänzer“ heißen diese im Fachjargon.

Die Tengelmann-Gruppe wollte sich zum Streik der Mitarbeiter am Donnerstag nicht äußern. Die Textilkette KiK verweist auf ein Zeitungsinterview des Logistik-Chefs Burkhard Schültken, der einen Handelstarifvertrag für seine Mitarbeiter ablehnt.

Viele Aufstocker in sozialen Berufen

Gerade in sozialen Berufen, etwa im Pflegebereich, gebe es im Bezirk Mülheim-Oberhausen viele „Aufstocker“, weiß Verdi-Bezirksgeschäftsführerin Henrike Greven. Viele Beschäftigte seien in der Zwickmühle: „Sie arbeiten gerne, können sich aber von ihrem schmalen Lohn kaum etwas leisten.“ Und: „Überwiegend betrifft das Problem Frauen.“ Die Gewerkschaft will daher im kommenden Jahr den Fokus auf das Thema „Gute Arbeit“ setzen. Da ab dem 1. Januar 2015 der gesetzliche Mindestlohn gelte, wolle Verdi verstärkt kontrollieren, ob dieser von den Arbeitgebern eingehalten werde. „Dafür wollen wir z.B. eine Hotline für Beschäftigte einrichten.“

Eine Tabelle der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass im Juli 2014 3561 der insgesamt 13 .306 Leistungsberechtigten in Mülheim ein Einkommen erzielten. Darunter 3332 in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung – 1460 Männer und 1872 Frauen. Wann und in welcher Höhe der Lohn mit Leistungen aufgestockt werden kann, hänge von gewissen Sozialkriterien ab, erläutert Dr. Jennifer Neubauer von der Mülheimer Sozialagentur. Etwa von der Zahl der Kinder, die im Haushalt leben oder dem Einkommen des Ehepartners. „Das geht von 50 Euro bis in den niedrigen vierstelligen Bereich.“