Kreis Wesel. Der Kiesstreit im Kreis Wesel wird Kulturgut: Eine Sonderausstellung im Niederrheinmuseum beleuchtet das Problem. Warum das eine gute Idee ist:

Nach all dem Theater über die gesamten Jahre, nach all dem Krach und den gegenseitigen Vorwürfen, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Kiesabbau irgendwann im Museum landet. Stoff gibt es genug.

Das zeigt die Sonderausstellung im LVR-Niederrheinmuseum Wesel, die am Donnerstagabend eröffnet wurde: „Kleine Steine – große Wirkung. Kieswende am Niederrhein!?“, heißt sie, und so doppelbödig wie der Titel ist die gesamte Sonderschau in der obersten Etage an der Zitadelle ausgerichtet.

Kiesabbau im Kreis Wesel bekommt eigene Ausstellung im Niederrheinmuseum

Die Wirkungsmacht des umstrittenen wie begehrten Rohstoffs ist unbestritten, und zwar für beide Seiten: Mit ihm wird gebaut, viel gebaut – Kies- und Bauindustrie werden nicht müde zu betonen, wie notwendig Kies und Sand für die Energiewende und den dringend benötigten Wohnungsbau sind. Gleichzeitig stößt der zunehmende Flächenfraß bei der Bevölkerung auf Widerstand, die sich um ihre Heimat sorgt und ein komplettes Umdenken fordert.

Diese beiden Gegenpole steckt die Ausstellung ab und versucht, den Platz dazwischen mit Sachlichkeit zu füllen. Man wolle eine „neutrale Plattform für dieses komplexe Thema sein“, sagt Museumsleiterin Corinna Endlich, die die Sonderausstellung gemeinsam mit ihrem Team und dem Kreis Wesel als Impulsgeber konzipiert hat.

Beide Seiten werden betrachtet, Widersprüche aufgezeigt und mit Schaubildern, Textbannern und interaktiven Inhalten erklärt. Auf der einen Seite die Kiesindustrie die den großen Bedarf an Kies und Sand herausstellt, das Potenzial von alternativen Baustoffen gleichzeitig kleinredet und Paradebeispiele für die Nachnutzung von Baggerlöchern präsentiert.

„Knies um Kies“: Ein Schaubild zu Beginn der Ausstellung erklärt das grundsätzliche Problem und die Differenzen zwischen beiden Lagern.
„Knies um Kies“: Ein Schaubild zu Beginn der Ausstellung erklärt das grundsätzliche Problem und die Differenzen zwischen beiden Lagern. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Für die Ausstellung haben sich Christiane Otto-Böhm und Daniela Immich von der Kreisverwaltung die Mühe gemacht, alle 90 abgeschlossenen Abgrabungsgewässer anzufahren und nachzusehen, ob und wie sie der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht worden sind. Ergebnis der Recherchen: Nur 18,5 Prozent dienen der Freizeit und Erholung. Ein eigener Ausstellungsbereich widmet sich zudem den Baustoff-Alternativen: Häuser aus Holz und Pappe, Bauziegel aus Hanf und Baustoff aus Pilzgeflecht. Ein Film zeigt dazu, wie sich mit einem riesigen 3-D-Drucker betonsparend Häuser bauen lassen.

Auf der anderen Seite zeigt die Ausstellung die Argumente der Bürgerinitiativen gegen eine Erweiterung des Kiesabbaus und schält auch da die Widersprüche heraus.

Zum Beispiel mit einem Einkaufswagen, der mit Alltagsprodukten bestückt ist, die Kiese und Sande beinhalten: Streusalz, ein Mobiltelefon, Zahnpasta, Kosmetik sind mit einem Barcode ausgestattet, über den es mehr Informationen darüber gibt, wie inflationär der Rohstoff im Alltag genutzt wird.

Die Sonderausstellung im LVR-Niederrheinmuseums Wesel stellt die Argumente beider Seiten dar.
Die Sonderausstellung im LVR-Niederrheinmuseums Wesel stellt die Argumente beider Seiten dar. © FUNKE Foto Services | Erwin Pottgiesser

Sachlich arbeitet die Ausstellung alle Informationen zu diesem strittigen Thema auf und bildet die Debatte unvoreingenommen ab. Jede und jeder solle sich objektiv eine Meinung bilden können, sagten Corinna Endlich und Landrat Ingo Brohl bei der Eröffnung.

Diese Neutralität überzeugte auch Kiesindustrie und Bürgerinitiativen, die sich mit Exponaten und digitalen Meinungsbeiträgen beteiligten. Hülskens stellte Säulen mit verschiedenen Kiessorten zur Verfügung, Holemans steuerte das Modell eines Schwimmbaggers bei. Bürgerinitiativen stellten Protestbanner und pinke Kreuze zur Verfügung. Außerdem werden archäologische Zufallsfunde gezeigt.

Damit könnte die Ausstellung eine offene Diskussionsgrundlage sein, bei der es um Argumente geht und nicht um die Debatte an sich, die in den vergangenen Jahren vor allem von Starrhalsigkeit geprägt war – auf beiden Seiten.

„Kleine Steine - große Wirkung“ ist bis zum 5. November im LVR-Niederrheinmuseum zu sehen und bildet den Auftakt für eine Neuausrichtung. Man wolle sich vom rein historischen Etikett lösen und auch aktuelle Themen „aus der Mitte der Gesellschaft abbilden“, so Corinna Endlich. Das Kiesthema sei als Auftakt geradezu prädestiniert.

Die Sonderausstellung „Kleine Steine – große Wirkung. Kieswende am Niederrhein“ ist bis einschließlich Sonntag, 5. November, im LVR-Niederrheinmuseum, An der Zitadelle 14, in Wesel zu sehen. In dieser Zeit gibt es auch viele verschiedene Fachvorträge und Exkursionen zu dem Thema. Die Termine finden sich im Internet unter www.niederrhein-museum.lvr.de/ausstellungen.

Nach ihrem Ende im Niederrheinmuseum am 5. November könne die Sonderausstellung auch auf Wanderschaft gehen, sagt Corinna Endlich. Man habe die Schaubilder, Banner und tafeln absichtlich so konzipiert, dass eine Wanderausstellung möglich sei.