Wanne-Eickel. Als Sabine Piorrek am Dienstag nach Pfingsten die Schäden sah, die der Sturm Ela angerichtet hatte, kämpfte sie mit den Tränen: Seit sieben Jahren ist die Mitarbeiterin von Stadtgrün als Baumkontrolleurin in ihrem Wanner Revier unterwegs. Viele ihrer Bäume findet sie nun nicht mehr wieder.

Den Blick nach oben in die Kronen der Bäume kann Sabine Piorrek auch nicht abstellen, wenn sie im Urlaub ist. „Mein Mann sagt schon immer: ,Guck doch auch mal woanders hin!’“ Aber das fällt ihr schwer, Ahorn, Birke und Co. sind ihr dafür viel zu sehr ans Herz gewachsen. Die gelernte Gärtnerin mit dem Schwerpunkt Garten- und Landschaftsbau arbeitet seit sieben Jahren als Baumkontrolleurin bei Stadtgrün. Ihr Revier ist der Stadtbezirk Wanne mit seinen 10.000 städtischen Bäumen - das heißt: bis Pfingstmontag mit seinen 10.000 Bäumen.

Nach der ersten Erleichterung, dass es in Herne durch den Sturm keinen Verletzten gegeben hatte, kamen ihr dann aber doch die Tränen, als sie sah, wie der Sturm „Ela“ unter ihren Bäumen gewütet hatte. Viele wird sie nicht mehr wiederfinden - und ihre Daten aus dem Kataster und ihrem Handgerät löschen müssen. „Bäume, die noch viele Jahre hätten leben können“, sagt sie traurig. Ganz nebenbei hat „Ela“ auch noch ein halbes Jahr Arbeit der vier Herner Baumkontrolleure (es gibt für jeden Stadtbezirk einen) vernichtet. „Alle Bäume, die wir uns bis dahin schon angesehen hatten, müssen wir erneut kontrollieren“, sagt Sabine Piorrek.

Ihr wichtigstes Arbeitsmittel: die Augen

Ihr wichtigstes Arbeitsmittel dabei: ihre Augen. „Ich kenne meine Bäume und sehe die Veränderungen. Man entwickelt ein Gespür für die Bäume.“ Ein Kollege habe einmal gesagt, die Bäume hätten ihre eigene Körpersprache: „Und so ist das auch.“ Mindestens zwei Mal im Jahr sehe sie sich ihre Bäume an: einmal mit und einmal ohne Laub und das möglichst auch in verschiedenen Monaten. Den Zustand der Bäume dokumentiert sie schriftlich und mit Fotos.

Ihr Hauptaugenmerk gilt im Augenblick abgerissenen Zweigen, die noch in den Bäumen hängen, den Risswunden und Kronen. Bäume, an denen noch Nacharbeiten nötig sind, werden mit Farbe markiert. Die Arbeiten selbst führen die von der Stadt beauftragten Firmen aus: „Wir haben dazu gar nicht das Gerät.“ Am Grünen Ring in Höhe der Gesamtschule Wanne mussten zum Beispiel zwei Platanen fast bis auf den Stamm zurückgeschritten werden: „Wir warten mal ab, ob sie austreiben“, sagt Sabine Piorrek. Die beiden mindestens 80 Jahre alten Bäume mit einem Stammumfang von vier bis fünf Metern fällen - nur wenn es gar nicht anders geht.

Die Natur hilft sich selbst 

Auch der alte Silberahorn im benachbarten Wanner Stadtgarten hätte noch viele Jahre stehen bleiben können. „Er ist zwar hohl, hat aber jedes Jahr noch neues Holz ausgebildet“, zeigt Sabine Piorrek auf die Stellen, an denen der Nachwuchs zu erkennen ist. „Die Natur hilft sich selbst viel besser als wir denken.“ Wäre der Silberahorn geschädigt gewesen, hätte der Sturm ihn abgebrochen - Ela riss ihn aber samt Wurzeln aus der Erde. „So etwas lässt sich mit keiner Kontrolle verhindern“, betont die Stadtgrün-Mitarbeiterin.

Ausschlaggebend für den Erhalt eines Baumes sei seine Verkehrssicherheit. Totes Holz müsse deshalb entfernt werden, ein regelmäßiger Schnitt sei aber nicht erforderlich. Ein Todesurteil sei allerdings der Schwefelporling: Tritt dieser Pilz auf, muss der befallene Baum weg.

Überlegen wie es weitergeht

Die „Luft“, die es jetzt im Wanner Stadtgarten gegeben hat - sie gefällt Sabine Piorrek nicht. „Es war hier ja schon vorher ausgelichtet worden, um die Dunkelheit an den Eingängen zu nehmen“, sagt sie. Ob neue Bäume gepflanzt werden? „Das wird eine Kostenfrage sein“, sagt Sabine Piorrek. „Eine der großen Aufgaben in den nächsten Jahren besteht darin zu überlegen und zu entscheiden, wie unsere Parkanlagen künftig aussehen sollen.“ Völlig verhindern lasse es sich nicht, dass bei Stürmen etwas passiere. Deshalb halte sie persönlich auch nichts davon, jetzt nur noch als besonders windfest geltende Bäume zu pflanzen. Parkanlagen wie der Stadtgarten Wanne, sagt sie, sollten ihres Erachtens auch ein Refugium sein für eine Vielfalt von Bäumen. „Und schauen Sie sich um: Am Teich und rund ums Denkmal ist fast nichts passiert, an andern Stellen haben wir Kahlschlag.“

Zu überlegen sei, welche Straßenbäume künftig gepflanzt werden. „Es gibt relativ bruch - und umweltfeste wie die Baumhasel“, sagt Sabine Piorrek, „aber die sind bei Autofahrern unbeliebt, wegen der Nüsse, die auf die Wagen fallen.“ Eine Lösung für Straßen mit vier- und mehrgeschossigen Gebäuden zu beiden Seiten könnten zum Beispiel auch säulenförmige Bäume sein. Eins sei jedoch sicher: Die Stadt werde nach Ela anders aussehen als vor Ela.

Von Beruf Baumkletterer

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