Herne. Livia Leichner war 35 Jahre im Herner Familienzentrum Dreifaltigkeit beschäftigt. Nun verabschiedet sie sich in den Ruhestand und blickt zurück.

Mehr als 30 Jahre in derselben Einrichtung zu arbeiten, davon lange als Leiterin, da stellt sich die Frage, ob sie in den letzten Arbeitstagen schon einen leichten Trennungsschmerz spürt oder Erleichterung überwiegt. Klar, werde sie die Kolleginnen und die Kinder vermissen, sagt Livia Leichner im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion, „aber ich bin doch erleichtert, dass ich in guter körperlicher Verfassung meine Rente antreten kann“. Sie sei froh, dass sie mit einigen Dingen nichts mehr zu tun habe.

Jetzt kommen schon die ehemaligen Kinder mit ihren eigenen Kindern

1989 hat Leichner in der Kita Dreifaltigkeit an der Holsterhauser Straße angefangen - als Vertretungskraft. Schon 1990 folgte die Festanstellung, seit 2000 ist sie auch Leiterin der Einrichtung. In dieser langen Zeit hat sie Generationen von Kindern kommen sehen - und wiedergesehen. „Es kommen jetzt schon ehemalige Kinder mit ihren eigenen Kindern. Es ist schön zu sehen, was aus ihnen geworden ist“, so die 64-Jährige. Es sei ein gutes Gefühl, dass die Ehemaligen in die Einrichtung zurückkommen und sie nicht meiden. „Da gibt es dann immer ein großes Hallo“.

Doch in mehr als drei Jahrzehnten verändert sich auch etwas anderes: die Arbeit in einer Kita. „Ich habe angefangen ohne zu wissen, was auf mich zukommt“, so Leichner. Nur mit einem Buch unter dem Arm sei sie in eine Gruppe gegangen - und das habe funktioniert. „Nicht, weil ich so eine überragende Erzieherin wäre, sondern weil die Kinder damals anders waren.“

Blick zurück auf die Anfänge. Dieses Bild zeigt Livia Leichner Anfang der 90er-Jahre.
Blick zurück auf die Anfänge. Dieses Bild zeigt Livia Leichner Anfang der 90er-Jahre. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Das - falsch verstandene - Mitspracherecht, was Kinder heute hätten, überfordere diese. „Kinder können nicht am Tag 500 Entscheidungen treffen, die Eltern müssen Entscheidungen treffen.“ Allerdings gehört zu Leichners Analyse und dem Vergleich zur Vergangenheit, ihre Einschätzung, dass auch Eltern vielfach überfordert seien. Insofern bräuchten beide Unterstützung: Kinder und Eltern. Gerade den Eltern fehle oft Bauchgefühl und Intuition bei der Erziehung.

„Ich bin hier der Buhmann, aber die Kinder lieben mich trotzdem“

Kinder bräuchten feste Regeln und Verlässlichkeit. „Ich bin hier der Buhmann, ich schimpfe am meisten, aber die Kinder lieben mich trotzdem“, so Leichner. Wenn Eltern ihren Kindern Grenzen setzen, haben diese sie nicht weniger lieb, sondern sind dankbar dafür. Doch viele Eltern trauten sich nicht, diese Grenzen zu setzen. Dabei zahle es sich auf Dauer aus, Grenzen zu setzen. „Dann nehmen uns die Kinder ernst.“ Zum Glück ticke das gesamte Team in dieser Hinsicht gleich.

Auch ein anderer Einfluss ist nach Leichners Wahrnehmung spürbar: das Smartphone. Viele Kinder würden gar nicht mehr mit so viel Sprache groß, weil die Eltern viel zu oft am Handy hingen - und Leichner nimmt sich dabei ausdrücklich selbst nicht aus. Dennoch: Eltern sprächen inzwischen zu wenig mit den Kindern. Zahlreiche Kinder seien in logopädischer Behandlung. „Das kommt nicht von ungefähr.“

Livia Leichner hat in 35 Jahren Generationen von Kindern, aber auch gesellschaftliche Veränderungen im Kita-Alltag miterlebt.
Livia Leichner hat in 35 Jahren Generationen von Kindern, aber auch gesellschaftliche Veränderungen im Kita-Alltag miterlebt. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Aus dem Ruhestand nochmal zurückkehren? „Im Leben nicht“

Auch beim Personal spürt Leichner die gesellschaftlichen Veränderungen: 17 Köpfe umfasst das Team, doch nicht alle Stellen sind besetzt. Um den Betreuungsbedarf zu decken, hat das Familienzentrum übergangsweise eine Rentnerin reaktiviert. „Die hat bei uns gearbeitet, ist vor drei Jahren in den Ruhestand gegangen und konnte sich eine Rückkehr vorstellen“, so Leichner. Wäre das eine Option für sie selbst? „Im Leben nicht! Das wäre ein völlig falsches Zeichen.“

Dass es gar nicht auffalle, dass nicht alle Stellen besetzt sind, sei dem Team zu verdanken. „Darauf konnte ich mich immer hundertprozentig verlassen. Die stehen füreinander ein. Ohne das Team hätte ich die Aufgabe nicht so lange so gut meistern können“, betont Leichner.

Besondere Konstellation: Livia Leichner arbeitet seit Jahren mit Tochter Annika zusammen im Team

In diesem Team gibt es eine besondere Konstellation. Leichners Tochter Annika arbeitet seit einigen Jahren im Familienzentrum. „Das klappt super“, sagte Livia Leichner, allerdings hätten sie zu Beginn darüber gesprochen, was es für Probleme geben könnte. Das gesamte Team sei dabei einbezogen worden. Zu Beginn hat Annika Leichner nur die Sprachförderung übernommen, seit 2013 hat sie eine feste Stelle. „Ich habe viel von meiner Mutter gelernt“, erzählt die 41-Jährige. In ihrem Studium der Erziehungswissenschaften habe sie die idealtypische Theorie kennengelernt, bei ihrer Mutter die praktische Umsetzung.

Mit dem Ausscheiden ihrer Mutter hat Annika Leichner sich auf die vakante Leitungsstelle beworben. Der Rückhalt bei Eltern und Team sei vorhanden, doch die Entscheidung steht noch aus. Egal, wie sie fällt: „Sie wird ihren Weg gehen, es wird ein anderer sein als meiner“, so Livia Leichner.

„Langeweile kann ich gut aushalten“

Für ihren eigenen zukünftigen Weg hat sie schon die eine oder andere Vorstellung: zum Beispiel mal die eigene Wohnung, bislang sei sie viel zu selten da. Außerdem werde sie mit ihrem Ehemann Erich - ehemaliger SPD-Ratsherr und Bürgermeister - sicher Reisen unternehmen. Beide haben eine enge Beziehung zu Hernes Partnerstadt Eisleben. „Vielleicht schalte ich auch einfach mal einen Gang zurück. Langeweile kann ich gut aushalten. Einfach sitzen und aufs Wasser gucken.“

Bundesweit bekannt durch „Dem Bürgermeister seine Frau ihr Stadion“

Bundesweite Bekanntheit erlangte Livia Leichner, als ihr Ehemann die Namensrechte am Fußballplatz der Sportfreunde Wanne erwarb und es „Dem Bürgermeister seine Frau ihr Stadion“ nannte. Tages-, Wochen- und Monatszeitschriften, darunter der „Spiegel“, sowie Radio- und Fernsehsender, darunter das Quizduell-Olymp bei der ARD, berichteten über das Ereignis. Mit dieser ungewöhnlichen Namensnennung schafften es die Leichners in die Rateshow „Kaum zu glauben“ und gewannen dort 1000 Euro, die sie spendeten.