Herne. Immer mehr Menschen gehen ins Leihhaus Vest in Herne, weil ihnen das Geld ausgeht. Viele Gegenstände können sie später gar nicht mehr abholen.
Immer mehr Menschen gehen ins Leihhaus. Wegen der galoppierenden Inflation haben viele Menschen weniger Geld zur Verfügung, und oftmals geht es ihnen schneller aus, als neues hereinkommt. In Leih- und Pfandhäusern gibt es Geld sofort, unkompliziert und unbürokratisch. Das nutzten im Leihaus Vest in Wanne-Mitte immer mehr Menschen. Weil sie es dringend nötig hätten: Die Stimmung, sagt Inhaber Max Kettler, sei schlecht. „Die Leute jammern und schimpfen an allen Ecken.“
Bis zu 600 Kundinnen und Kunden kämen monatlich in seinen Laden auf der Hauptstraße 282, um ein Pfand abzugeben. Sie treten, ähnlich wie an einem Bankschalter, vor eine Scheibe und geben über eine Durchreiche das ab, was sich gut zu Geld machen lässt: Gold, Schmuck, Laptop, iPhone, Gitarre, Akkuschrauber oder Spielekonsole. Man merke die Krise: „Es kommen mehr und andere Leute“, so Kettler. „Ich sehe viele neue Gesichter.“ Und vor allem: Weniger Menschen schafften es, ihr Pfand am Ende wieder auszulösen. Deutlich mehr Gegenstände landeten deshalb in der Versteigerung.
Herne: „Alles wird teurer, Strom, Lebensmittel, alles.“
Ein Kunde ist gerade angekommen. Eine Coronaschutz-Maske hat er auf dem Gesicht. Weil er beim Rein- und Rausgehen nicht erkannt werden will? Er gibt seine Playstation 4 Pro ab, erhält dafür 60 Euro. Er brauche das Geld, sagt der 39-Jährige. Er sei arbeitslos, Geld bekomme er vom Jobcenter. Das reiche nicht: „Alles wird teurer, Strom, Lebensmittel, alles.“ In das Leihhaus gehe er nicht zum ersten Mal: „Die Leute sind nett und freundlich“, Geld erhalte er immer „schnell und unbürokratisch“. Mit den Scheinen in der Hand geht er wieder raus, die Konsole landet im Hinterraum im Regal.
Aktuell, so der Firmenchef, lagerten dort, aber auch in den Tresoren an der Wand, 1657 Gegenstände. Zunächst werde der Gegenstand geschätzt. Für Gold, wo die Preise konstant hoch seien, gebe es rund 80 Prozent des Wertes, für Smartphones, die schnell an Wert verlören, rund 50 Prozent. Dieses Geld werde unter Vorlage des Personalausweises ausgezahlt. Bis zu drei Monate haben die Kundinnen und Kunden dann Zeit, ihre Sachen wieder abzuholen. Dazu müssen sie, natürlich, das geliehene Geld zurückzahlen, hinzu kämen Gebühren zwischen 1 und 6,50 Euro monatlich, abhängig vom Warenwert. Die 60 Euro, die der Mann für seine Playstation bekomme, kosten demnach 3,10 Euro im Monat. Der Fernseher für 200 Euro schlägt mit 6,50 Euro im Monat zu Buche, die 500 Euro fürs iPhone monatlich 20 Euro.
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Der 36-jährige Olfener, der das Geschäft vor über 15 Jahren von seinem Vater übernahm, kennt viele Schicksale - auch deshalb, weil ein Großteil Stammkundinnen und -kunden seien, viele über Jahre. Sie brächten oft genug sogar immer wieder dieselben Gegenstände ins Geschäft: „Der Klassiker ist: Sie kommen in der zweiten Monatshälfte, wenn das Geld weg ist, und kehren zum Monatsanfang zurück, wenn Geld wieder da ist.“ Ihr Geld reiche nicht mehr für Lebensmittel, das Jobcenter zahle einfach nicht, das Baby brauche Milchpulver, nun sei auch noch der Stromabschlag fällig oder ein Bußgeld hinzugekommen - das seien typische Erklärungen. Kettler höre gerne zu: „Als Pfandleiher ist man auch Seelenklempner.“ Ihm erzählten die Menschen mehr als ihren Familienangehörigen oder Bekannten, ist er sich sicher.
Einige Kundinnen und Kunden hätten ihre Gegenstände seit Jahren bei ihm. Sie nähmen sie gar nicht mehr mit nach Hause, sondern verlängerten nur die Laufzeit und brächten ihm alle drei Monaten die fälligen Monatsgebühren vorbei. „Wirtschaftlich rechnet sich das natürlich nicht“, sagt Kettler. Rund 13 Prozent der Gegenstände würden gar nicht mehr abgeholt. Vor der Krise, die mit dem russischen Angriff auf die Ukraine losbrach, seien es „nur“ acht bis zehn Prozent gewesen. Schmuck, Elektronikgeräte, Fahrräder, die so übrig bleiben, lässt der Pfandleiher alle zwei Monate im Stadtteilzentrum Pluto durch einen öffentlich bestellten Auktionator versteigern. „Am liebsten ist mir, wenn die Kunden ihre Sachen wieder abholen“, erklärt Kettler. Versteigerungen seien sehr aufwändig und teuer - und brächten ihm weniger ein.
Am meisten los sei bei ihm montags und freitags, erzählt er. Da warteten morgens vor dem Laden schon öfter mal Kundinnen und Kunden, bevor er überhaupt aufgeschlossen habe. Montags bräuchten viele Menschen Geld, weil das Wochenende teuer war, und vor dem Wochenende bräuchten viele Geld, weil sie etwas vorhätten. Ein Leihhaus habe für diese Menschen viele Vorteile: keine Bonitätsprüfung, keine persönliche Haftung, keine Kreditsicherheit und kein Schufaeintrag, Geld gebe es sofort, mit gesetzlich festgelegten Zinssätzen und Gebühren. Er sei oft der Notnagel, damit die Menschen kurzfristig zum Beispiel einkaufen könnten: Dafür, dass jemand mal schnell 100 Euro brauche, interessiere sich kein Bankmitarbeiter, meint der Pfandleiher. „Da sind die Leute froh, dass es uns gibt.“ Seine Branche sieht er auch deshalb nicht in der Schmuddelecke. Dass der Service Geld koste, will er nicht verhehlen. Aber: Leihhäuser, sagt er, helfen nicht nur, wo nötig, sondern arbeiteten seriös und transparent.
>>> Nächste Versteigerung am 10. Februar
Das Leihhaus Vest liegt auf der Hauptstraße 282, Kontakt 02325 636609. Weitere Informationen, auch zum Pfandkredit und Goldankauf, gibt‘s auf dem Homepage des Geschäfts auf www.leihhaus-vest.de.
Dort sind auch die Versteigerungstermine aufgelistet. Nächster Termin ist Samstag, 10. Februar, ab 10.30 Uhr (Besichtigungsbeginn: 8.30 Uhr), im Saal des Café Pluto, Wilhelmstraße 89a, in 44649 Herne.