Herne. Keine Klassen, kein Unterricht: Das neue Schulkonzept der Erich-Fried-Gesamtschule wird derzeit geprüft. Wieso die Bezirksregierung interveniert.

Keine Klassen, kein Unterricht und in den ersten Jahren keine Noten: Das neue und innovative Schulkonzept, das die Erich-Fried-Gesamtschule in Herne bereits ab dem kommenden Sommer sukzessive einführen möchte, ist entgegen der Angabe der Schule noch nicht von der Bezirksregierung Arnsberg abgesegnet.

„Das Konzept der Erich-Fried-Gesamtschule liegt dem Schulministerium und der zuständigen Bezirksregierung bisher nicht vor“, teilt Pressesprecher Christoph Söbbeler auf WAZ-Anfrage mit. Die Schulaufsicht bei der Bezirksregierung befinde sich jedoch in engem Austausch mit der Schule. „Die Schule hat offensichtlich ein sehr großes Projekt vor Augen“, so Söbbeler weiter. Eine solche Idee müsse sukzessive entwickelt werden. „Bei so einem Projekt ist es wichtig, dass es auf einer soliden formalen und rechtlich belastbaren Basis stehen kann.“

Erich-Fried-Gesamtschule: Prozess könnte sich hinziehen

Vor gut einer Woche hatten Mitglieder des Schulleitungsteams der Erich-Fried-Gesamtschule ihr neues und revolutionäres Konzept des „Lerndorfes Holsterhausen“ der WAZ vorgestellt. Dabei sollen Schüler nicht mehr in Klassen nach einem festen Stundenplan unterrichtet werden, sondern selbst organisiert digitale Lernpakete in eigenem Lerntempo bearbeiten können. In den Klassen 5 bis 8 solle es dabei keine Noten, sondern Wortzeugnisse geben, so die Vorstellung von Anders Krosch, Didaktischer Leiter an der Schule, der die Entwicklung des Konzeptes maßgeblich vorangetrieben hat. Laut Schule solle das neue Konzept ab dem Sommer Schritt für Schritt umgesetzt werden und nur die Kinder betreffen, die neu angemeldet werden.

Doch nach der WAZ-Berichterstattung zeigt sich: So leicht ist das sehr weitreichende neue Konzept der Erich-Fried-Gesamtschule wohl doch nicht umzusetzen. Die Bezirksregierung betont die Größe der Aufgabe und Herausforderung und sagt: „Gut Ding will Weile haben.“ Es sei ein Weg, den die Bezirksregierung mitgehe, aber das müsse Schritt für Schritt geschehen. „Was sich als Projektidee sukzessive entwickelt, wird sicherlich bis zur Umsetzung länger brauchen als bis zum nächsten Sommer“, so Söbbeler.

Im „Lerndorf Holsterhausen“ in Herne soll es in der Eingangshalle einen „Marktplatz“ geben.
Im „Lerndorf Holsterhausen“ in Herne soll es in der Eingangshalle einen „Marktplatz“ geben. © FUNKE Foto Services | Daniel Attia

Generell zeigt sich die Bezirksregierung dem neuen Konzept gegenüber offen und verweist darauf, dass es in NRW zahlreiche Schulen gebe, die innovative Ideen und Konzepte für einen modernen Unterricht umsetzten, der die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt stelle.

Das gesamte neue Konzept der Erich-Fried-Gesamtschule lesen Sie hier:

„Das Schulministerium unterstützt und begrüßt diese Entwicklungen ausdrücklich und fördert die Schulen in der Wahrnehmung ihres Gestaltungsauftrags innerhalb der rechtlichen Vorgaben“, heißt es dazu. Schulministerin Dorothee Feller habe zu Beginn dieses Schuljahres angekündigt, die Schulentwicklungskonferenzen weiter zu stärken, um den Schulen neue Freiräume zu geben, damit sie neue Konzepte entwickeln und umzusetzen könnten.

Doch ob alle Punkte des „Lerndorfes Holsterhausen“ umgesetzt werden können, sei noch offen. Der Status quo von Erich-Fried sei, dass die Ausbildungs- und Prüfungsordnung in vollem Umfang gelte und die Grundlage für den Unterrichtsbetrieb in der Sekundarstufe 1 bilde. „An der Erich-Fried-Gesamtschule wird es weiterhin Noten und keine Wortzeugnisse geben. Der Unterricht erfolgt in Klassen wie bisher.“ Die Schülerinnen und Schüler würden ferner nach schulinternen Lehrplänen unterrichtet, die den Kernlehrplänen für Gesamtschulen entsprächen und würden weiterhin an den Vera-Vergleichsarbeiten in der Jahrgangsstufe 8 und an den zentralen Prüfungen (ZP10 / Abitur) teilnehmen. „Der gesamte schulische Rahmen entspricht dem des staatlichen öffentlichen Schulsystems“, so Söbbeler.

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Derzeit würden in den Bereichen Ganztagsrhythmisierung, Frühbetreuung, Entwicklung der Lernzeiten, tägliche offene Mittagsangebote und fächerübergreifende Projekte Schulentwicklungsvorhaben in Abstimmung mit der Schulaufsicht sukzessive eingeführt bzw. weiterentwickelt, heißt es weiter. „Eine weitergehende Genehmigung von Seiten der Bezirksregierung Arnsberg besteht nicht.“

Auf WAZ-Nachfrage macht Söbbeler deutlich, dass derzeit noch ausgelotet werde „wie man für ein solches Projekt Spielräume nutzt, Dinge ermöglicht, die als Projektvorstellung vorhanden sind“. Das genau sei der Weg, auf den man sich gemeinsam mache. „Was für Möglichkeiten bestehen an Zwischentönen in der Ausgestaltung von Schule?“ Es sei ein Abwägen zwischen rechtlichen und pädagogischen Vorgaben und der Idee. Es sei eine zum Teil auch mühsame Arbeit, das auszuloten, die aber wichtig sei. „Es geht auch darum, dass Kinder die Schule mit Abschlüssen verlassen, die staatlich anerkannt werden.“

Was bedeutet das für Eltern, die überlegen ihre Kinder im Sommer an dieser Schule anzumelden? Unter welchen Voraussetzungen machen sie dies? „Unter den Bedingungen des Status quo“, betont Söbbeler. Also so, wie das derzeitige Schulsystem noch funktioniere. „Und wenn Eltern im Hinterkopf haben und wissen: An der Schule gibt es Pläne, die wollen sich weiterentwickeln und ich möchte mein Kind an so einer Entwicklung teilhaben lassen, kann das ja ein Motivationsgrund sein, sich für solch eine Schule zu entscheiden.“

WEITERE INFORMATIONEN: Tag der offenen Tür

  • Das neue Konzept der Schule soll am kommenden Donnerstag, 16. November, vor dem Schulausschuss präsentiert und anschließend mit der Politik diskutiert werden.
  • Schuldezernent Andreas Merkendorf begrüße es, dass Schule sich auf den Weg mache, neue Ideen voranzutreiben, sagt er auf WAZ-Anfrage. Der Stadt liege bisher aber kein offizielles Konzept der Schule vor.
  • Eltern können sich am „Tag der offenen Tür“ der Erich-Fried-Gesamtschule am 18. November (von 10 bis 14 Uhr) noch einmal persönlich über das Konzept und den Stand der Umsetzung vor Ort informieren.
  • Im Sommer hatte der bisherige Schulleiter die Schule verlassen. Seitdem ist die Stelle vakant. Die Bezirksregierung gibt an, dass die Ausschreibung der Stelle noch im November veröffentlicht werden soll. Die Bewerbungsfrist beträgt sechs Wochen.