Herne/Gelsenkirchen/Dortmund. Dogan A. wird bei einem Unfall auf der A 42 in Herne schwerstverletzt. Er ringt mit dem Tod. Dutzende Menschen belagern ein Krankenhaus.
Ein 22-Jähriger, der bei einem Unfall auf der A 42 im Kreuz Herne schwerstverletzt wurde, ringt mit dem Tod. Nach mehreren angeblich widersprüchlichen Diagnosen will die Familie von Dogan A. die Hoffnung nicht aufgeben. Die Geschichte bewegt mittlerweile auch die Öffentlichkeit in der Türkei. Vor einem Krankenhaus in Gelsenkirchen kam es zu einem Auflauf von 80 bis 100 Trauernden.
+++ Hintergrund: Das war der Unfall auf der A 42 – Hubschrauber im Einsatz +++
Diagnose Hirntod: Nur wenig Hoffnung auf ein Überleben
„Er wurde mit der Diagnose Hirntod abtransportiert“, sagt sein Bruder Cihan A. Dann sei aber der sichergeglaubte Tod doch noch in Zweifel gezogen worden. „Mittlerweile gibt es drei verschiedene Berichte von drei verschiedenen Ärzten.“ Man sei sich im Klaren, dass die Diagnose furchtbar schlecht sei, aber man wolle natürlich jede Chance nutzen.
Für die Familie sei nun das Problem, dass man an den Entscheidungen nicht beteiligt werde. Seine Eltern hätten nicht das Recht, über das Laufenlassen oder Abschalten der lebenserhaltenden Maschinen zu entscheiden. „Es ist für uns ein Gefühl, als ob er im Knast wäre“, sagt Cihan A.. Er habe aber mit seiner Familie natürlich auch Verständnis für die rechtlichen Rahmenbedingungen. „Das kann ich alles nachvollziehen.“
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Das mutmaßlich korrekte Vorgehen der Klinik bestätigt auch der deutsche Anwaltverein. Wer keine Patientenverfügung formuliere, könne – ausgenommen Ehepartner – nicht davon ausgehen, dass Verwandte an Entscheidungen beteiligt werden. Selbst die ärztliche Schweigepflicht gelte dann weiter. Über den Zustand dürfe ein Arzt nur Auskunft geben, „wenn der Patient sie ausdrücklich oder mutmaßlich von ihrer Schweigepflicht entbunden hat“, heißt es beim Anwaltverein. Die Klinik will sich mit Verweis auf Schweigepflicht nicht zum Gesundheitszustand des Patienten äußern.
22-Jähriger schleudert durch die Heckscheibe des Autos
Der 22-Jährige war am vergangenen Freitag in seinem BMW im Kreuz Herne auf der A 42 schwer verunglückt. „Er ist wohl leider etwas schneller gefahren“, sagt Cihan A. über seinen Bruder. Er sei dann an die mittlere Leitplanke geraten und durch die Heckscheibe geschleudert worden und auf der Fahrbahn gelandet. Die Familie will erfahren haben, dass der Bruder unangeschnallt gewesen sein soll. Diesen Teilaspekt kann die zuständige Autobahnpolizei Münster auf Nachfrage so nicht bestätigen. Der Rest des Unfalls soll sich so abgespielt haben wie von der Familie geschildert.
Ersthelfer und Rettungskräfte müssen dramatische Szenen erlebt haben. Ein Rettungshubschrauber war mitten im Berufsverkehr im Einsatz und landete auf der Autobahn. Ein weiterer Insasse des Autos kam ebenfalls ins Krankenhaus, konnte das Auto aber selbst verlassen.
Familie bangt um den Bruder – Fußballvereine zeigen Mitgefühl
Cihan A. bangt unterdessen um seinen Bruder. „Er war Lkw-Fahrer.“ Sein Bruder habe mitten im Leben gestanden. Jetzt stehe alles in Frage. Sein früherer Dortmunder Fußball-Verein hatte das Schicksal des 22-Jährigen am Wochenende bereits öffentlich gemacht und viele Menschen berührt: „Ein Kämpfer auf und neben dem Platz“, schrieben frühere Weggefährten. In Dortmund hatte bereits eine öffentliche Veranstaltung an der Moschee in Dortmund-Mengede stattgefunden, um für Dogan zu beten.
Die Familie hatte noch versucht, dass der Bruder in ein anderes Klinikum verlegt werde und sogar beim türkischen Gesundheitsministerium um Unterstützung gebeten. Man habe sich an Landespolitiker gewandt. Auch jetzt rede man bewusst offen, um auf das Schicksal des Bruders aufmerksam zu machen, sagt Cihan. Er halte sich an der Hoffnung fest, dass es für seinen Bruder doch noch ein glückliches Ende geben könne.
Dramatischer Aufruf – türkische Fernsehsender berichten
Die Familie hatte zwischenzeitlich sogar den Plan, den Bruder für Behandlungen in die Türkei transportieren zu lassen – wie es in einem dramatischen Aufruf bei Facebook heißt. Allerdings sei auch klar, dass man ihm jeden Kilometer ersparen wolle, sagt Cihan A. Die Familie hatte sich in der türkischen Heimat eine bessere Behandlung erhofft.
Die Geschichte bewegt mittlerweile auch türkische Fernsehsender, die darüber berichten, dass die Klinik den Schwerverletzten „freigeben“ müsse. Die Beiträge wurden bereits etliche Tausend Male in den Sozialen Netzwerken geteilt. Die aufgeheizte Stimmung sorgte dann am Dienstag laut Gelsenkirchener Polizei auch für eine Menschenansammlung vor dem Krankenhaus in Buer: „In der Spitze erschienen etwa 80 bis 100 Personen vor dem Krankenhaus, die um den kritischen Zustand des 22-Jährigen trauern und mit den behandelnden Ärzten reden wollten“, heißt es von der Polizei. „Alarmierte Polizeikräfte konnten die emotionale Stimmung kommunikativ beruhigen und die Personen verließen ruhig den Nahbereich des Krankenhauses. Hinweise auf strafbares Handeln konnten vor Ort nicht festgestellt werden.“