Herne. Was haben die umstrittenen Verdichtungstests auf der Mülldeponie ergeben? Wie der Stand ist, welche Rolle Hernes SPD-Chef in der Debatte spielt.
Die Überlegungen der Betreiberin AGR, die Kapazität der Zentraldeponie Emscherbruch durch die Verdichtung von Abfällen zu erhöhen, ist in Herne und Gelsenkirchen auf breiten Widerstand gestoßen. Die Auswertung der im November 2022 durchgeführten Verdichtungstests dauert länger als zunächst signalisiert, berichtet nun die AGR. Auf Anfrage der WAZ hat derweil Hendrik Bollman, SPD-Stadtverordneter in Herne und AGR-Aufsichtsratsmitglied, erstmals zu den umstrittenen Plänen Stellung genommen. Seine Position weicht von der seiner Fraktion ab.
Die ursprüngliche Prognose – Veröffentlichung der Ergebnisse im Januar – sei „ziemlich optimistisch“ gewesen, erklärt AGR-Sprecherin Wibke Krischun. Zurzeit werte die AGR die Ergebnisse und den Gutachterbericht intern aus. In der Aufsichtsratssitzung der Tochter des Regionalverbandes Ruhr (RVR) am Freitag, 17. März, würden die Ergebnisse besprochen. Voraussichtlich in der Woche darauf, also ab dem 20. März, werde die AGR zu den Ergebnissen und dem weiteren Vorgehen Stellung nehmen.
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Zurückhaltung übte in dieser Causa bisher der ansonsten öffentlich sehr präsente Hendrik Bollmann. Der Herner SPD-Chef und Ratsherr ist als einziger politischer Vertreter der Deponie-Städte Herne und Gelsenkirchen Mitglied des AGR-Aufsichtsrats. Entsandt worden ist der 40-Jährige Ende 2020 vom Ruhr-Parlament, dem er seit der Kommunalwahl angehört. Sein „Vorgänger“ in diesem Kontroll- und Aufsichtsgremium der AGR war OB Frank Dudda (SPD). In dessen Zeit im Aufsichtsrat fiel auch die Entscheidung der AGR für eine Erweiterung der Deponie, die vom Herner Umweltausschuss mit den Stimmen der SPD abgelehnt wurde und gegen die zurzeit eine Klage von Anwohnerinnen und Anwohner läuft.
Deutliche Worte zu den aktuellen Verdichtungsplänen fand bekanntlich Bollmanns Herner SPD-Ratsfraktion, die sogar von „Irrsinn“ sprach. An der Deponie sei „keine weitere Belastung für die Anwohnerinnen und Anwohner mehr hinnehmbar“, erklärte Hernes SPD-Fraktions-Chef Udo Sobieski. Die Behauptung der AGR, dass dies nicht der Fall sein werde, weil an der Schließung der Deponie 2030/31 definitiv festgehalten werde, wiesen Sozialdemokraten aus Herne und auch Gelsenkirchen vehement zurück. Auch wenn es beim Ausstiegsdatum 2030 bleiben sollte, so würden bei einer Verdichtung bis dahin deutlich mehr Transporte zur Deponie erfolgen, so der Tenor.
Und was sagt Bollmann? Er habe einen stärkeren Einblick „in die Notwendigkeit der regionalen Deponierung“ und sehe das als Aufsichtsratsmitglied „etwas differenzierter“ als seine Ratsfraktion, erklärt der Fraktions-Vize auf Nachfrage der WAZ. Heißt übersetzt: Der Politiker richtet den Fokus nicht wie die SPD auf zusätzliche Belastungen, sondern verweist wie die AGR (und auch OB Dudda) auf die reine Laufzeit. Der Ansatz: Wenn diese wie angekündigt spätestens 2030/31 ende, könne man nicht von zusätzlichen Belastungen sprechen. Eine Haltung, die der Gelsenkirchener Umweltausschussvorsitzende Manfred Leichtweis (SPD) bei einem Ortstermin mit der AGR in die Nähe der Lüge gerückt hatte.
Zurück zu Bollmann: Nach seiner Informationslage würde eine Verdichtung nicht zur Laufzeitverlängerung führen, erklärt er. Auch im Falle der Verdichtung sei nach wie vor ein Ausstieg vor 2030/31 möglich. Und: Seine Position sehe er auch nicht im Widerspruch zur Fraktionsmeinung; es handele sich eher um „eine andere Akzentuierung“.
Über die Durchführung der Testreihe auf der Deponie sei er als Aufsichtsratsmitglied nicht vorab informiert gewesen, so Bollmann weiter. Die AGR habe die Versuche als normalen Betriebsvorgang bewertet und deshalb keine Notwendigkeit einer Information gesehen. Auch die Stadtverwaltungen und die Politik hatte die AGR bekanntlich nicht informiert. Im Nachhinein räumte das kommunale Unternehmen Fehler in der Informationspolitik ein.
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In immerhin einem Punkt gibt es einen Konsens aller Beteiligten: Die AGR stehe unverschuldet unter Druck, weil sich alle Kommunen in der Region bei der zunehmend drängenden Frage nach dem künftigen Deponie-Standort wegduckten und die Landesregierung bisher Führung vermissen lasse und ihrer Verantwortung nicht gerecht werde, so der Vorwurf. Festzuhalten ist aber auch, dass die Deponierung von Abfall jenseits dieser aktuellen Zwänge für den Regionalverband Ruhr ein sehr lukratives Geschäft ist: Die AGR spült dem RVR Jahr für Jahr mehrere Millionen Euro in die Kasse.
>>> Hernes SPD-Chef über seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied der AGR
„Ich bin als Mitglied des Aufsichtsrats zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ich versuche jedoch dort, wo es mir möglich ist den direkten Kontakt zwischen AGR, Öffentlichkeit und Herner Politik herzustellen, um beim Austausch zu helfen“, erklärt Bollmann.
Seit er Mitglied im AGR-Aufsichtsrat sei, habe er sich immer für eine stärkere Öffnung der AGR zur Bürgerschaft in Herne und allen anderen Kommunen eingesetzt. „Dass dies im Rahmen der Vorgänge rund um die Testreihe nicht geschehen ist, empfinde ich als Rückschlag“, so der Kommunalpolitiker.
Bei der Deponierung von Abfällen bestünden große Herausforderungen. So müsse neben der Sicherstellung der Entsorgung gewährleistet sein, dass diese für das Umfeld ökologisch vertretbar sei. Darüber hinaus müssten die Kosten der Deponierung für alle bezahlbar bleiben. Und: „Als kommunales Unternehmen soll die AGR rentabel wirtschaften.“
>>> AGR: Neuer Sprecher, alter Geschäftsführer
Die in Herten ansässige AGR-Gruppe hat einen neuen Sprecher: Markus Jablonski (50) ist seit Anfang Februar Leiter der Unternehmenskommunikation. In den vergangenen Jahren arbeitete er im Öffentlichkeitsbereich der Metro Group, zuletzt bei der Abwicklung der Kette Real. Sein AGR-Vorgänger Jürgen Fröhlich wechselte Ende 2022 zu einem niederrheinischen Unternehmen der Sand- und Kiesbranche.
Im kommenden Jahr könnte bei der AGR auch in der Führung ein Stühlerücken anstehen: Der Vertrag von Geschäftsführer Joachim Ronge endet nach Angaben der AGR am 30. Juni 2024. Der 71-Jährige lenkt seit Januar 2010 die Geschicke der RVR-Tochter.