Herne. Die explodierenden Gas- und Strompreise bereiten den Herner Stadtwerken Probleme. Folge: Das Unternehmen will zurzeit keine neuen Kunden.
- Chef der Stadtwerke Herne fürchtet Zahlungsausfälle.
- Der Gaspreis könnte sich dauerhaft verdoppeln.
- Die Gefahr einer Gasmangel-Lage ist noch nicht gebannt.
Die aktuelle Energiepreiskrise bereitet den Herner Stadtwerken extremen Stress und führt zu bislang unvorstellbaren Situationen. Die große Sorge bereitet dem Unternehmen die Frage, ob die Kunden noch ihre Rechnungen bezahlen können.
Alles stehe und falle mit der Frage, wie lange die Kunden in der Lage seien, ihre Rechnungen zu bezahlen, so Stadtwerke-Vorstand Ulrich Koch im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion. Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) habe folgende Rechnung aufgemacht: Wenn die Entwicklung so weitergehe, drohten Forderungsausfälle in der Größenordnung von 10 bis 15 Prozent des Umsatzes. „Das würden wir nicht überstehen“, sagt Koch offen. Seine Rechnung: Die Herner Stadtwerke würden im nächsten Jahr wahrscheinlich einen Umsatz von rund 300 Millionen Euro aufweisen. Zehn Prozent würden 30 Millionen Euro bedeuten. In guten Jahren läge das Ergebnis aber lediglich bei rund 13 Millionen Euro. Selbst wenn die Stadtwerke nur ein Prozent Zahlungsausfälle hätten, entspräche das drei Millionen Euro.
Kundinnen und Kunden bekommen erst ab November das aktuelle Preisniveau zu spüren
Allerdings: Noch gebe es keine Auffälligkeiten bei den Zahlungsausfällen. Koch hofft mit Blick auf die Kundinnen und Kunden, dass dies auch so bleibt und die politischen Maßnahmen greifen. Ein Großteil der Herner Strom- und Gaskunden bekomme das aktuelle Preisniveau allerdings noch gar nicht zu spüren, das beginne erst ab November.
Die Furcht vor Zahlungsausfällen führe zu einer absurden Situation: Jedes Versorgungsunternehmen versuche, möglichst wenig Kunden zu versorgen. Früher habe man sich bemüht, neue Kunden zu gewinnen, dies habe sich komplett gedreht. Im Augenblick wollen auch die Herner Stadtwerke keine neuen Kunden. Denn jeder Kunde erhöhe das Risiko von Zahlungsausfällen. „Wir haben schon seit Monaten keinen aktiven Vertrieb mehr zum Neukundengewinn. Wir sind froh über jeden Kunden, den wir nicht beliefern müssen“, so Koch. Die Stadtwerke nähmen nur Neukunden auf, wenn sie als Grundversorger in der Pflicht stünden. Allerdings würden die Stadtwerke auch aktiv keinen Kunden kündigen.
Der Gaspreisdeckel, den die Expertenkommission am Montag vorgeschlagen hat, nehme ihm ein wenig von der Sorge von Zahlungsausfällen, so Koch. Der Deckel sei ein konsequentes Modell, das in die richtige Richtung führe. Damit werde niemand wirtschaftlich überfordert, auf der anderen Seite gebe es noch den Sparanreiz. Das Modell sollte möglichst viele Stadtwerke-Kunden in die Lage versetzen, ihre Rechnungen bezahlen zu können. Die Deckelung des Gaspreises auf zwölf Cent zeige aber auch, wohin sich der Preis in Zukunft dauerhaft bewege. Zwölf Cent entspreche etwa einer Verdopplung des alten Gaspreises.
Auch Strompreis ist massiv gestiegen
Koch weist aber auch auf den Strompreis hin, der in den vergangenen Monaten ebenfalls weitergaloppiert sei. Deshalb müsse auch ein Strompreisdeckel kommen, denn in dieser Hinsicht sei die Dramatik ähnlich. In diesem Zusammenhang weist Koch auf die Firmenkunden hin. Unter ihnen finde man kaum einen, der durch die Energiepreise nicht in existenzielle Nöte gerate. Wenn das Preisniveau andauere, stelle sich für manche die Frage, ob man das Geschäftsmodell aufrecht erhält. Die Firmenkundenbetreuer der Stadtwerke – aber auch die Privatkundenberater - würden zurzeit nur Gespräche führen, bei denen es um existenzielle Fragen gehe.
Gasverbrauch in Herne ist im September gesunken
Noch etwas beschäftigt Ulrich Koch: Er hält eine Gasmangellage - je nach Verlauf des Winters und der Entwicklung der Gasversorgung - für nicht ausgeschlossen. Energie zu sparen sei deshalb nicht nur eine Maßnahme, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen, sondern auch nötig, um in diesem Winter eine Gasmangellage zu verhindern. Die Herner Stadtwerke haben ausgerechnet, dass der Gasverbrauch im September im Vergleich zum Vorjahr zwar gesunken sei, aber die von der Bundesnetzagentur anvisierten 20 Prozent seien nicht erreicht worden. Allerdings sei der Verbrauch extrem temperaturabhängig. Und im September seien die Temperaturen vergleichsweise niedrig gewesen. Koch: „Der kommende Winter wird eine Herausforderung.“ Doch nicht nur der. Auch der Winter 2023/2024 könne „anstrengend“ werden.
Einen Blackout beim Strom hält Koch dagegen für eher unwahrscheinlich. „Davon sind wir weit entfernt.“ Dieses Szenario schwebe bei Energieversorgungsunternehmen immer ein wenig im Hintergrund mit, deshalb würden entsprechende Vorkehrungen getroffen. Mit der Wiederinbetriebnahme von konventionellen Kraftwerken werde dafür gesorgt, dass das Stromnetz stabil bleibe.
STADTWERKE STELLEN WARTUNGSANGEBOT EIN
Die WAZ hat in den vergangenen Tagen Hinweise darauf bekommen, dass die Stadtwerke Wartungsangebote gekündigt haben. Dies stehe nicht in Zusammenhang mit der angespannten Lage auf dem Energiesektor, so Koch. Die Wartungsverträge seien ein historisches Relikt und seien für einen Energieversorger ein untypisches Betätigungsfeld, das auch von der Gemeindeaufsicht kritisch beäugt worden sei, weil die Stadtwerke mit der Wartung eigentlich eine klassische Handwerkstätigkeit ausüben. Deshalb sei schon vor einiger Zeit beschlossen, dieses Geschäft auslaufen zu lassen, zumal es kaum noch Personal dafür gebe. Deshalb empfehlen die Stadtwerke, sich für die Wartung einen Fachbetrieb zu suchen, damit die Heizung auch künftig effizient und sicher betrieben werden kann.