Der Herner Matthias Makowski leitet das Goethe-Institut in Sao Paulo. Beim Besuch in seiner Heimat erläutert er die Wichtigkeit der Institute.

Drei Wochen Urlaub, die nutzt Matthias Makowski immer für einen Abstecher in seine Heimatstadt Herne. Der 62-Jährige leitet seit 2019 das Goethe-Institut in Brasilien und ist damit für die gesamte Region Südamerika verantwortlich. Für Makowski sind es in mehrfacher Hinsicht bewegte Zeiten, wie er im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann erläutert.

Herr Makowski, vor wenigen Tagen warnten die Goethe-Institute vor den Folgen der Mittelkürzungen durch die Bundesregierung für das Jahr 2023. Wie beurteilen Sie die Situation?

Makowski: Die Lage ist angespannt - um es vorsichtig zu formulieren. Es kommt schon in diesem Jahr zu erheblichen Kürzungen der Budgets, die in der auswärtigen Kulturpolitik einen Kahlschlag hinterlassen. Deshalb treibt mich die Frage um, wie wir unsere Arbeit in Südamerika überhaupt fortsetzen können.

Was bedeutet das praktisch?

Praktisch haben wir nach der neuerlichen Kürzung unsere Projekte in Südamerika zurückgefahren. Wir mussten die Zahl der Stipendien um über 30 Prozent reduzieren, den Austausch von Künstlerinnen und Künstlern einschränken. Nahezu alle Veranstaltungen, darunter viele, die jetzt, nach der Pandemie, endlich stattfinden könnten, mussten wir absagen. Leider betreffen die Einschränkungen auch die wichtige Rolle, die die Goethe-Institute bei der Fachkräfteeinwanderung spielen. Schließlich müssen viele Zuwanderer Sprachkenntnisse nachweisen, damit sie ihren Beruf in Deutschland aufnehmen können.

Der Herner Matthias Makowski im Goethe-Institut in Sao Paulo.
Der Herner Matthias Makowski im Goethe-Institut in Sao Paulo. © Goethe-Institut

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir die Pflegekräfte. Es ist an sich eine gute Idee, dass Fachkräfte aus Ländern, in denen es mehr qualifizierte Pflegekräfte gibt, als in den Krankenhäusern gebraucht werden, nach Deutschland kommen, um hier dem eklatanten Mangel abzuhelfen. Das gilt zum Beispiel für Brasilien. Zahlreiche von ihnen überlegen, ins Ausland zu gehen, zum Beispiel nach Deutschland. Doch vor dem Start steht der lange Prozess des Spracherwerbs. Das ist eine hohe Hürde. Vor dem Einstieg in einer deutschen Klinik steht eine Sprachprüfung auf dem Niveau B2, das ist sehr hoch. Diese Prüfungen nehmen die Goethe-Institute ab. Sie bereiten auch darauf vor, bieten spezielle Sprachprogramme an, damit Bewerberinnen und Bewerber effizient und schnell Deutsch lernen. Angesichts des Fachkräftemangels ist Deutschland auf Zuwanderung angewiesen - und ohne Institutionen wie das Goethe-Institut ist eine professionelle Steuerung dieses Prozesses schlicht nicht denkbar.

Womit rechnen Sie, wenn sich die Kürzungen auch 2023 fortsetzen? Müssen wir damit rechnen, dass Goethe-Institute geschlossen werden?

Dass der Haushalt des Goethe-Instituts auch 2023 gekürzt wird, ist kein Geheimnis. Alle müssen in dieser globalen Krise sparen, da bilden die Goethe-Institute keine Ausnahme. Ob es nötig wird, Institute zu schließen, kann ich nicht beurteilen. Das entscheidet ohnehin nicht das Goethe-Institut, sondern unser Außenministerium. Dass aber strukturelle Maßnahmen erforderlich sind, um die Kosten zu senken, ist absehbar.

Braucht man überhaupt 158 Goethe-Institute in 98 Ländern?

Mit Sicherheit. Gerade in Zeiten, in denen sich totalitäre politische Strukturen ausbilden, in denen Dialog scheinbar nur über Gewalt und die Macht des jeweils Stärkeren diktiert wird, brauchen wir Formen des internationalen Miteinanders, müssen wir die Gesprächskanäle offenhalten. „Soft Power“ ist nicht durch Putin und seine Freunde obsolet geworden, sondern nötiger denn je. Das ist das Arbeitsfeld der Goethe-Institute, dafür sind sie nötig. Dafür übrigens bin ich 1990 zum Goethe-Institut gegangen. Heute, so glaube ich, sind die Kulturinstitute im Ausland wichtiger denn je.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (r.) möchte wiedergewählt werden, doch sein großer Konkurrent Lula da Silva liegt in den Umfragen vor. Das Foto zeigt beide bei einer TV-Debatte mit Simone Tebet (M), Präsidentschaftskandidatin der brasilianischen Partei der Demokratischen Bewegung.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro (r.) möchte wiedergewählt werden, doch sein großer Konkurrent Lula da Silva liegt in den Umfragen vor. Das Foto zeigt beide bei einer TV-Debatte mit Simone Tebet (M), Präsidentschaftskandidatin der brasilianischen Partei der Demokratischen Bewegung. © dpa | Andre Penner

Mit Jair Bolsonaro regiert in Brasilien auch ein Rechtspopulist. Im Oktober tritt er zur Wiederwahl an. Sein größter Kontrahent ist Lula da Silva, der selbst Präsident war, aber wegen Korruption in Haft saß. Wie explosiv ist die Stimmung in Brasilien?

Die brasilianische Bevölkerung durchlebt gerade eine Zeit großer Polarisierung und Zerrissenheit. Hinter Bolsonaro steht die brasilianische Mittelschicht, aber auch die mächtige Transportarbeitergewerkschaft unterstützt seinen Wahlkampf. Die traditionelle Linke unterstützt Lula, der in den Umfragen deutlich vor Bolsonaro liegt. September und Oktober werden also spannend. Erst am 28. Oktober, nach der Stichwahl, werden wir wissen, wie es weitergeht im größten Land Südamerikas.

Was bedeutet diese Zeit Ihre Arbeit?

Ich hoffe nicht, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Wahl kommt. Schon jetzt sprechen die Anhänger Bolsonaros davon, genauso wie die Trump-Anhänger in den USA, dass die Wahlergebnisse gefälscht sind, wenn Bolsonaro verlieren sollte. Ich hoffe nicht, dass sich Ereignisse wie in Washington 2021 nun in Brasilia wiederholen. Es wird gerade viel darüber spekuliert, dass sich das Militär einmischen könnte, wenn die Lage eskaliert. Schon im vergangenen Jahr wollten ja Bolsonaro-Anhänger das Verfassungsgericht stürmen.

Bei unserem letzten Gespräch haben Sie über die dramatischen Zustände in Brasilien während der Corona-Pandemie gesprochen. Fotos von Massengräbern sind um die Welt gegangen. Wie hat sich die Situation seitdem entwickelt?

Auch Brasilien richtet sich in der Corona-Welt ein. Dort haben wir gerade Winter, und die Infektionszahlen scheinen zu steigen. Genau weiß man das nicht, da nur noch wenig getestet wird. Die Krankheitsverläufe sind wegen der hohen Impfraten nicht mehr so extrem wie 2020. Sao Paulo selbst bezeichnet sich als „Welthauptstadt des Impfens“, tatsächlich ist die vierte Impfung schon Standard. Überfüllte Krankenhäuser, Patienten, die auf den Fluren ersticken, weil es keinen Sauerstoff mehr gibt oder die abgewiesen werden, gibt es aktuell wohl nicht. Auch die Impfskepsis ist nicht so verbreitet wie in Deutschland. Das Vertrauen in die Heilkunst ist in Ländern, in denen tödliche Infektionskrankheiten noch an der Tagesordnung sind, auch viel größer.

>>> ZUR PERSON

■ Matthias Makowski wurde 1960 in Herne geboren.

■ Nach dem Abitur studierte er katholische Theologie, klassische Philologie und Germanistik. Nach einer kurzen Zeit im Schuldienst folgte er 1987 einem Ruf an die Tongji-Universität in Shanghai.

Seit 1991 arbeitet er beim Goethe-Institut mit Stationen in Rotterdam, Krakau, Riga, Prag, München und zuletzt in Athen.

■ Matthias Makowski ist verheiratet und hat zwei Kinder.