Herne. Bibi Buntstrumpf, Hernes Kinderanwältin, wird 30. Nuray Sülü hat diese Aufgabe vor 20 Jahren übernommen. Wie sich ihr Job seitdem verändert hat.
Hernes Kinderanwältin Bibi Buntstrumpf feiert ihren 30. Geburtstag am Freitag, 2. September, mit einer großen Feier. Seit 20 Jahren ist Nuray Sülü Bibi Buntstrumpf. Zum Geburtstag sprach die WAZ mit der 54-jährigen Hernerin.
Wie sollen wir Sie eigentlich ansprechen? Mit Frau Sülü oder mit Frau Buntstrumpf?
Für Erwachsene ist das gar nicht so einfach. Für die Kinder bin ich Bibi. In der Erwachsenen-Welt Frau Sülü.
Ok, dann also Frau Sülü. 30 Jahre Kinderanwältin Bibi Buntstrumpf. Was überwiegt da: Die Freude, dass Bibi Buntstrumpf so viel erreicht hat, oder der Frust darüber, dass eine Kinderanwältin in Herne noch immer dringend erforderlich ist?
Sowohl als auch. Die Freude, weil das Projekt bundesweit einzigartig ist und schon so lange gefördert wird. Frust würde ich es aber nicht nennen. Die Kinderanwältin ist eine Notwendigkeit, weil Kinder und Jugendliche leider noch so wenig Lobby haben. Sie brauchen Erwachsene, die sich für ihre Interessen und Belange einsetzen.
Was macht die Kinderanwältin Bibi Buntstrumpf eigentlich?
Sie hat eine Stimme und ein Ohr für Kinder und Jugendliche. Sie ist eine Interessensvertretung, also Kinder- und Jugendbeauftragte. Im Alltag sorge ich also für die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen bei anstehenden Planungen für Spielplätze, Skateranlagen oder andere Spielflächen. Ich mache Kinderrechte publik und bin dazu an Grundschulen unterwegs. Denn Kinder müssen ihre Rechte kennen, um handeln zu können. Dazu biete ich den Grundschulen Kindersprechstunden an. Ich freu mich sehr darüber, dass sich einige Grundschulen auf den Weg gemacht haben, Kinderrechte-Schule zu werden. Ich bin Teil des Netzwerkes und stehe allen hierbei mit meiner Expertise zur Verfügung. Außerdem bin in vielen Arbeitskreisen und Ausschüssen als Stimme für Kinder und Jugendliche und mache Einzelfallberatungen bei Problemen.
Was sind das für „Fälle“, an denen Sie arbeiten?
Bei den Kinder-Sprechstunden erfahre ich von den Kindern von Problemen zu Hause, also etwa von Gewalt oder Vernachlässigung, von Mobbing in der Schule, von mangelnden Spielmöglichkeiten am Wohnort oder von Trennung, bei denen Kinder einen Elternteil nicht sehen dürfen. In Gesprächen mit Jugendlichen sind es andere Themen. Da heißt es etwa: Ich muss zu Hause raus, ich brauche Hilfe bei der Suche einer Wohnung oder beim Übergang Schule und Beruf.
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Wie gehen Sie vor?
In erster Linie höre ich den Kindern und Jugendlichen zu, nehme ihre Probleme ernst und suche mit ihnen gemeinsam nach Lösungen. Auch das ist Beteiligung, denn sie kennen ihre Lebenswelt. Und je nach Thema informiere ich sie oder leite sie weiter an anderen Professionen.
Also geben Sie auch Fälle ab?
Ich gebe sie sehr oft ab. Denn das muss man für Herne sagen: Wir haben ein sehr gut funktionierendes Netzwerk. Ich kooperiere mit allen Institutionen wie dem Jugendamt, der Gesellschaft für soziale Arbeit, dem Stadtjugendring, Schattenlicht oder Jugendförderung. Ich kann hier gar nicht alle aufzählen. Ich verstehe mich als Bindeglied zwischen Kindern, Jugendlichen und den Trägern. Eins muss man dabei erwähnen: Ich genieße den Vorteil, unabhängig zu sein, bin also in freier Trägerschaft tätig. Die Hemmschwelle, sich bei mir zu melden, ist sehr viel geringer als etwa bei der Stadt oder dem Jugendamt. Ich bekomme viele Anfragen über Whatsapp oder andere soziale Medien, also relativ unkompliziert.
Was hat Bibi Buntstrumpf in den 30 Jahren erreichen können?
Beteiligung und Kinderrechte waren von Anfang an ein großer Baustein in der Arbeit der Bibi, sowohl bei meiner Vorgängerin Hedwig Blanke als auch bei mir. Auf den Weg gebracht wurden die Stadtteil-Detektive, also Kinder, die sich mit ihrem Stadtteil und den Missständen beschäftigt haben, außerdem Kiosktests zum Jugendschutzgesetz, die Spielplatzpaten, Kinderstadtpläne, das Kinder-Jugendforum in Bickern/Unser Fritz, die Noteingänge in Geschäften, die Spielstadt, Kinderrechtecamps, Kindersprechstunden und Spielplatz-Planungen.
Wo hätten Sie sich mehr gewünscht?
Dass die Kinderrechte im Grundgesetz verankert sind. Es gab immer wieder nur Initiativen, Lippenbekenntnisse und Vereinbarungen in Koalitionsverträgen. Kinderrechte im Grundgesetz sind aber wichtig, damit die Kinderrechte von allen ernst genommen werden.
Seit 30 Jahren gibt es die Kinderanwältin in Herne, seit 20 Jahren machen Sie diesen Job. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?
Das Internet hat einiges verändert – und das nicht nur zum Guten. Damit sind Themen hinzugekommen, wie zum Beispiel Cybermobbing, Bullying, sexuelle Gewalt, darunter Kinderpornografie. Das Internet vergisst nichts. Auch bringen Kriege viel Leid und viele Herausforderungen für alle mit sich, aber ganz besonders für Kinder und Jugendliche. Hinzu kommen die Pandemie und die Folgen, die noch nicht ganz erfasst werden können. Da sind am Anfang viele Fehler passiert und das hat Einfluss auf die Entwicklung von Kindern genommen.
Wagen Sie eine Prognose: Wird Bibi Buntstrumpf auch ihren 50. Geburtstag als Kinderanwältin erleben?
Ich hoffe ja, auch wenn ich es möglicherweise nicht mehr sein werde. Wir schaffen ja auch Beratungsstellen für Erwachsen nicht ab, warum also sollte es diese nicht für Kinder dauerhaft geben?
Weil das Geld immer knapper wird und vielleicht bald nicht mehr genügend für Bibi Buntstrumpf da ist.
Das mit den Finanzen ist bei der Bibi schon immer ein Thema gewesen. Bevor es den Kinder- und Jugendförderplan gab, musste jährlich um diese Stelle gebangt werden oder mit jedem Jahr mussten Stunden reduziert werden, weil sich die Fördersumme nicht geändert hatte, aber die Kosten schon. Diese Zeiten sind nun endlich vorbei, aber dennoch reicht die Fördersumme nicht aus, um davon eine volle Stelle zu finanzieren, geschweige denn ein Budget für Projekte zu haben. Daher versuche ich, große Ideen immer mit Kooperationspartnern auf die Beine zu stellen.
Wie viel Herzblut steckt Nuray Sülü in Bibi Buntstrumpf?
Dieser Job ist mehr als Arbeit. Er ist für mich eine Berufung und das war es auch bei meiner Vorgängerin. Er ist häufig sehr aufreibend, emotional belastend und immer wieder mit kleinen Kämpfen verbunden. Aber zu sehen, wie sich kleine Rädchen zum Wohle von Kindern und Jugendlichen drehen können, wenn man sich für ihre Interessen einsetzt, entschädigt vieles davon. Das ist keine Arbeit, die man um 16 Uhr beendet. Man muss sehr flexibel sein, sowohl im Kopf als auch in der Arbeitsstruktur. Und Überstunden gehören dazu. Für mich ist es dann Ehrenamt.
>> WEITERE INFORMATIONEN: Feier zum 30. Geburtstag
Nuray Sülü (54) wurde in der Türkei geboren und kam mit neun Jahren nach Herne. Sie ist Pädagogin, macht systemische Beratung sowie Therapie und ist Kinderschutzfachkraft. Seit 2002 ist sie die Kinderanwältin Bibi Buntstrumpf, vorher machte den Job Hedwig Blanke. In dieser Funktion ist Sülü bei den Herner Falken angestellt und wird über den Kinder- und Jugendförderplan der Stadt Herne finanziert. Sie wohnt in Eickel und hat einen erwachsenen Sohn.
Zum 30. Geburtstag von Bibi Buntstrumpf findet eine Feier statt: Am Freitag, 2. September, ab 15 Uhr im Kindertreff am Pütt (Edmund-Weber-Straße 273a). Nach einem offiziellen Teil, also einer Begrüßung von Stadt und Politik, sind die Kinder an der Reihe: Sie sollen kräftig feiern.