Herne. Bleibt der Gashahn zu nach der Wartung der Gasleitung Nordstream 1? In Herne laufen die Vorkehrungen für eine Gasknappheit auf Hochtouren.
Seit Montagmorgen ist die Gasleitung Nordstream 1 wegen der Wartungsarbeiten abgeschaltet. Doch ob sie danach wieder angeschaltet wird oder Russlands Präsident Wladimir Putin den Gashahn abdreht, ist völlig ungewiss. Deshalb bereiten sich in Herne Unternehmen und Verbraucher auf eine Gasknappheit und drastisch steigende Preise vor. Eine Übersicht:
So bleibt im Wananas bis auf Weiteres eine von zwei Saunen kalt. Das hat Lothar Przybyl, Chef der Herner Bädergesellschaft, im Gespräch mit der WAZ-Redaktion mitgeteilt. Doch Przybyl schaut längst auf den kommenden Herbst und Winter. Er habe einen Krisenstab für alle Herner Bäder - Südpool, Wananas und Lago - gebildet, in dem Techniker, aber auch Personalabteilung und Kaufleute vertreten seien. Wenn der Gashahn für die Schwimmbäder zugedreht werden würde, müsse man schauen, wie „extreme Gebäudeschäden verhindert werden könnten“, so Przybyl. Wenn die Gebäude über Monate auskühlten, könnte es Frostschäden geben, in den Leitungen könnte sich Keime bilden, Pumpen und Filteranlagen könnten kaputt gehen. Mögliche Folge: Schäden in Millionenhöhe. „Wir überlegen, wie wir eine Grundwärme in den Gebäuden erhalten.“ Über eine Standby-Lösung mit Pellets könnte man Wärme in die Bäder bekommen, sodass mindestens 15 Grad erreicht werden. Die entsprechenden Geräte habe sich die Bädergesellschaft bereits gesichert.
Was bislang nicht feststehe: Wie wird mit dem Schwimmunterricht der Schulen verfahren? Sollte er fortgeführt werden, dann sieht Przybyl eine Chance, die Bäder in Teilen nicht herunterzufahren. Die Lehrschwimmbäder an den Schulen würden wohl weiter beheizt werden können, weil es sich beim Schwimmen um einen Pflichtunterricht handele.
Bei Abschaltung könnte Kurzarbeit wieder ein Thema werden
Der Bäder-Chef weist auf weitere Aspekte einer Bäderschließung hin. Wenn es soweit komme, müsse man - wie zur Coronazeit - eine Betriebsvereinbarung formulieren, um die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken zu können. Erste Gespräche zu diesem Thema habe er geführt.
Kurzarbeit könnte bei einer Gasknappheit auch für zahlreiche andere Unternehmen ein Thema werden. Die Stadtwerke haben 19 Großkunden, die nach Definition der Bundesregierung nicht schützenswert sind und die im Zuge des „Notfallplans Gas“ abgekoppelt werden könnten. Bei der Agentur für Arbeit ist man auf so ein Szenario vorbereitet. Die Agenturen seien jederzeit darauf vorbereitet, steigende Anzeigen zur Kurzarbeit zu bearbeiten, heißt es auf Anfrage der Herner WAZ-Redaktion. 2020 seien die Anzeigen auf Kurzarbeit innerhalb von drei Wochen auf ein historisch nie für möglich gehaltenes Niveau gestiegen. Dies sei ein riesiger Kraftakt gewesen, den man aber auch genutzt habe, um Prozesse zu optimieren. Auf erneute Veränderungen oder eine neue erhöhte Anfrage sei die Agentur gut vorbereitet.
Energieberatung und Optimierung von Heizungsanlagen ist stark gefragt
Außerdem schaue die Agentur bereits auf das Thema Homeoffice. Aktuell könnten die Beschäftigten die Hälfte ihrer Arbeit im Homeoffice erledigen. „Sollte es im Herbst zu einer weiteren, unter Umständen gefährlicheren Corona-Virus-Variante kommen, könnte diese Regelung erneut ausgeweitet werden. Dabei hat die Bundesagentur auch die Entwicklung anderer Faktoren im Blick, wie zum Beispiel der Energiepreise, im Blick“, heißt es. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich das Szenario, dass Mitarbeiter in der Heizperiode lieber in die Büros kommen, um zu Hause Heizkosten zu sparen. Das könnte mit dem Plan von Unternehmen kollidieren, in den Büros die Heizung zu drosseln. Auch die Stadtwerke teilen mit, dass das Thema Homeoffice möglicherweise in Zukunft wieder betrachtet werde.
Neben der Knappheit treiben viele Unternehmen und Menschen die drastisch gestiegenen Energiepreise um. So werde zurzeit die Energieberatung sehr stark nachgefragt, berichtet Silke Gerstler von der Verbraucherzentrale Herne. Speziell seien es Anfragen zu alternativen Heizungsanlagen, Wärmedämmung oder Einsparpotenzial beim eigenen Verhalten. Bei der Energierechtsberatung sei nach wie vor Thema, dass Energielieferanten Abschlagszahlungen drastisch erhöhten, obwohl Verträge mit Preisgarantien vorlägen.
Auch Bernd Molke, stellvertretender Obermeister der Installateurinnung, berichtet von einer stark gestiegenen Nachfrage nach Einsparpotenzialen oder Umrüstmöglichkeiten. Das Interesse an Wärmepumpen sei sprunghaft gestiegen, allerdings liege das Lieferdatum schon jetzt im Februar 2023. Außerdem versuchten die Kunden schon jetzt, ihre bestehenden Heizungsanlagen zu optimieren: sind die Temperaturen noch richtig eingestellt? Kann man die Zeiten für die Nachtabsenkung ändern? Andere Kunden hätten elektrische Heizkörper bestellt, Lieferzeit bereits jetzt: September.
Und angesichts der Ankündigung von Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach, dass eine sehr, sehr große Preiserhöhungswelle auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zurolle, hätten Alexander und Christian Stiebling vom gleichnamigen Reifenhandel gerne die steuerfreien Stromgutscheine an ihre rund 200 Mitarbeiter aufgestockt. Aktuell zahlt Stiebling 600 Euro für Energie jährlich an jeden interessierten Mitarbeiter. „Wir hätten eine Erhöhung auf 1000 Euro pro Jahr begrüßt, denn die Mitarbeiter sind durch die täglichen Horrormeldungen stark verunsichert. Die Jahresrechnung für Strom und Gas ist für sie nicht mehr zu kalkulieren und macht ihnen Angst.“ Eine Neuauflage einer steuerfreien Coronaprämie für Energie, wie sie Kanzler Scholz ins Gespräch gebracht habe, sei leider nicht umgesetzt worden.