Herne. Die Stadt Herne feiert ihr 125-jähriges Jubiläum. Dazu ein Rückblick, Teil 3: vom Strukturwandel zu Leuchtturmprojekten.
Mit den 1980er Jahren begann für die Stadt Herne die quälend lange Zeit des Strukturwandels. Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit und Sozialhilfeleistungen belasteten die Stadtkasse, fehlende Steuereinnahmen führten zu sinkenden kommunalen Investitionen und der knappe Raum in der dicht besiedelten Stadt führte zu Nutzungskonflikten zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit.
„Aufgrund der finanziellen Notlage haben wir 20 Jahre lang Kommunalpolitik mit dem Rotstift betrieben, weil wir nicht noch mehr Schulden machen wollten. Dieser enorme Spardruck wirkte sich auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens aus“, erinnert sich Heinz Drenseck, Stadtkämmerer von 1979 bis 1999. Zur Belohnung des Sparwillens konnte dann mit umfangreichen Fördermitteln der Landesregierung das eine oder andere Großprojekt verwirklicht werden. So verschlang allein die Entgiftung und Verdichtung des Bodens auf der Industriebrache „Friedrich der Große“ Millionen, bevor dort der Paketversender UPS im Februar 1986 den Grundstein für den heutigen Logistikstandort legen konnte.
125 Jahre Herne – die beiden ersten Teile der WAZ-Serie:
Ähnlich gelagert waren die Probleme beim verlassenen Werksgelände der Flottmann AG zwischen Vöde- und Flottmannstraße. Die Stadt hatte das Gelände 1980 erworben und die ersten Bebauungspläne gingen vom kompletten Abriss der Fabrikanlagen aus. Erst nachdem ökologische Altlasten die flächendeckende Wohnbebauung obsolet gemacht hatten, begann eine Debatte über eine alternative Nutzung der Werkshallen. „So wie Köln seine romantischen Kirchen pflegt und andere Städte ihre Barockschlösser, so haben die Ruhrgebietskommunen die Aufgabe, die denkmalwürdigen Industrieanlagen zu erhalten. Kulturhistorisch haben sie den gleichen Rang wie Kirchen und Schlösser“, forderte der Denkmalpfleger Helmut Bönninghaus im Januar 1980.
Der Denkmalschutz nahm damit vorweg, was bald in Gesellschaft und Politik „Common Sense“ werden sollte: die Bewahrung des industriekulturellen Erbes. Ab 1989 verwandelte die Internationale Bauausstellung Emscher Park (IBA) altindustrielle Brachen zu neuen Zukunftsstandorten, was langfristig zum anwachsenden Selbstbewusstsein der Region beitrug.
Werbestrategen reagieren mit klassischer Überkompensation
Ruhrgebiet – das war Ende der 1980er Jahren noch nicht Kult, sondern die Krisenregion schlechthin. Jugendarbeitslosigkeit, Öl, Schwermetalle, Benzol oder Quecksilber im Boden, die Dauerkrise in der Stahlindustrie, Pseudo-Krupp, verödende Fußgängerzonen – all das hatte an Ruhr und Emscher ein Zuhause. Und Herne war mittendrin. Da halfen auch Kampagnen wie „Das Ruhrgebiet. Ein starkes Stück Deutschland“ nur wenig, die ausgestattet mit einem eindrucksvollen Werbeetat „nachhaltig die Vorurteilsstruktur über das Imagestiefkind der Nation“ verändern sollten, wie der Kommunalverband Ruhrgebiet betonte.
Die täglich erfahrbare Realität hielt den Herner auf Distanz zu seiner Stadt. Eine Errungenschaft wie die Eröffnung der U35 nach Bochum wurde mit dem Bonmot quittiert: „Das Beste an Herne ist die U-Bahn nach Bochum!“ Die städtischen Werbestrategen reagierten mit klassischer Überkompensation: Herne hatte irgendwann keine Bahnhofstraße mehr, sondern einen „Boulevard“ – mindestens wie Paris.
Herne gehört zu den Wendeverlierern
Nach der Wiedervereinigung 1990 gehörte die Stadt zu den Wendeverlierern. „Überall, wo ich war, habe ich gegen diese Ungerechtigkeit gewettert und gesagt: ‚Der Stadt Herne geht es strukturell schlechter als vielen Städten in Ostdeutschland. Da wird massiv gefördert und wir als arme Stadt müssen da noch jede Menge abrücken für die Deutsche Einheit“, so Heinz Drenseck. Die Industrie war passé.
Der Gesundheitssektor, Pflegedienstleistungen und der Logistikstandort entwickelten sich zu neuen Geschäftsfeldern einer Stadt, die sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch demografisch veränderte. Als sich Herne 1997 anlässlich seines 100-jährigen Bestehens als „Stadt der Migration“ präsentierte, war es vornehmlich ein politisches Bekenntnis der etablierten Einheimischen. Wie die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund ihre Stadt betrachten, ist nach wie vor kaum bekannt.
Leuchtturmprojekte werden eröffnet
Dabei gibt es konkrete Orte des gelungenen Wandels. 1999 wurde die Fortbildungsakademie des Landes NRW auf dem alten Gelände der Zeche Mont-Cenis eröffnet. Das 57 Millionen Euro-Projekt war eine Initialzündung für weitere Investitionen, so dass rund um die Akademie ein neues Zentrum entstand, in dem sich Arbeit, Freizeit und Konsum mischen. Helmut Noll, in den Bergbau-Tagen Steiger auf „Monscheni“, bilanzierte 2010: „Man hat gedacht, stirbt die Zeche, stirbt auch Sodingen. Aber so ist es nicht gekommen. Es sind eben nicht die amerikanischen Städte nach dem Goldrausch geworden, denn gerade in Sodingen ist die Umwandlung doch gelungen.“
Auch das 2003 eröffnete Archäologische Museum muss als Aufwertung des Kultur- und Lebensstandorts gesehen werden. Heinz Drensecks Familiengeschichte ist Stadtgeschichte. Seine Mutter, Else Drenseck, wurde 1964 zur ersten Bürgermeisterin gewählt. Mit nüchternem Blick betrachtet er heute seine Zeit als Stadtkämmerer. „Wir hingen jedes Jahr am Tropf des Finanzausgleichs durch das Land. Vielleicht hätten wir einfach mutiger Schulden machen sollen“, so Drenseck. Trotz aller Defizite sieht er die Stadtentwicklung auf einem guten Weg: „Ich habe das Gefühl, dass seit einiger Zeit die Misere nicht mehr verwaltet, sondern die Zukunft gestaltet wird. Das stimmt mich positiv.“
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Die identitätsstiftende Marke „Wanne-Eickel“
- Unter dem Druck der kommunalen Gebietsreform kam es am 1. Januar 1975 zur „Vernunftehe“ zwischen den Städten Herne und Wanne-Eickel. Bereits im Februar 1977 konstatierte der Journalist Richard Loesch: „Eins hat der Zusammenschluss jedoch bereits bewirkt: Die Bewohner der Wanner und Eickeler Ortsteile, die sich in der Vergangenheit nicht immer grün waren, haben das ‚Kriegsbeil begraben‘ und sich im gemeinsamen Feldzug gegen die ‚Herner Hegemonie‘ versöhnt.“
- Jugendarbeitslosigkeit, Industrieabwanderung oder sinkende Kaufkraft. Wer war schuld? Herne. So wurde durch eine Mischung aus tatsächlicher und empfundener Benachteiligung die einstige Stadt Wanne-Eickel zum fidelen Eldorado an der Emscher stilisiert. Aus diesem sozialen Mythos entwickelte sich die identitätsstiftende Marke „Wanne-Eickel“, die heute mit einer stärkeren Strahlkraft versehen ist als alles das, was unter dem Namen Herne firmiert.
Unter dem Motto „Viel Geschichte. Unsere Zukunft.“ feiert die Stadt Herne ihr 125-jähriges Jubiläum. Mit dem dritten Teil schließt der Historiker Ralf Piorr seinen Rückblick auf die Stadtgeschichte ab