Herne. In Herne wird ein Wohnhaus in einem Landschaftsschutzgebiet gebaut, sagen entsetzte Anwohner. Sie fordern einen Baustopp. Die Stadt lehnt das ab.

Anwohnerinnen und Anwohner in Herne sind entsetzt und wütend: Im Landschaftsschutzgebiet Düngelbruch wurden Bäume gefällt, auf einer Fläche wird jetzt ein Wohnhaus gebaut, kritisieren sie. Sie haben bei der Stadt Herne Widerspruch gegen die Baugenehmigung eingelegt und fordern einen Baustopp. Unterstützung erhalten sie aus der Politik und vom Naturschutzbeirat. Die Stadt Herne gibt gegenüber der WAZ zu, dass sie einen Fehler gemacht hat. Aber nicht den, der ihr vorgeworfen wird: Die Fläche hätte schon längst für eine Wohnbebauung freigegeben werden müssen, heißt es.

Zum Sachverhalt: Das private Grundstück liegt auf der Bergstraße in Herne-Süd direkt neben der Robert-Brauner-Schule und gehört laut Geoportal der Stadt Herne seit Jahrzehnten zum Landschaftsschutzgebiet. Im April nun wurde die Fläche gerodet, über ein Dutzend Bäume wurde gefällt. Die Nachbarinnen und Nachbarn erhielten kurz darauf einen Brief des Investors, in dem er den Bau eines dreistöckigen Wohnhauses mit acht Wohnungen und Gründach auf dem Gelände ankündigte.

Herner Anwohnende sprechen von einem „ungeheuerlichen Vorgang“

Die Anwohnerinnen und Anwohner wollen Rodung und Bebauung nicht akzeptieren. Die Fläche sei geschützt, heißt es im Widerspruchsschreiben von vier Familien ans Rathaus, das der WAZ vorliegt. Mit dieser Begründung habe auch die Stadt Herne dort in der Vergangenheit mehrfach Bauvorhaben abgelehnt, vor allem auch die Pläne einer Frau, der das Grundstück über Jahrzehnte gehörte. Bei ihrem letzten Vorstoß vor drei Jahren habe zusätzlich auch das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich mitgeteilt, dass die Fläche geschützt bleiben solle. Nun plötzlich werde doch gebaut, und nicht zuletzt: Gerodet worden sei dafür auch noch in der Brut- und Nistzeit, schimpfen die Anwohnerinnen und Anwohner. Sie sprechen von einem „ungeheuerlichen Vorgang“.

Bedient: CDU-Ratsfrau Barbara Merten.
Bedient: CDU-Ratsfrau Barbara Merten. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Dem schließt sich CDU-Ratsfrau Barbara Merten an. „Ich bin fassungslos“, sagt sie gegenüber der WAZ. Sie meint: „Hier ist ein Umweltfrevel passiert, das schreit zum Himmel.“ Die Fläche liege im Landschaftsschutzgebiet und sei „absolut schützenswert“. Nach dem Abholzen biete sich dem Betrachtenden auf der Fläche nun „ein Bild des Grauens“. Die CDU-Umweltexpertin kritisiert zudem, dass die Politik nicht eingebunden worden sei – und fordert einen unverzüglichen Baustopp, bis die Sache geklärt ist.

Ähnlich äußert sich Rolf Reinholz, Vorsitzender des Naturschutzbeirats und Vorstandsmitglied der Herner BUND-Kreisgruppe. Obwohl der Rat das Grundstück 1989 unter Landschaftsschutz gestellt habe, werde eine Baugenehmigung erteilt. „Die Verwaltung hebelt somit den durch den Rat der Stadt beschlossenen Landschaftsschutz aus“, meint der ehemalige Mitarbeiter der Stadt Herne zur WAZ. Und moniert: „Die Politik wurde nicht beteiligt, der Naturschutzbeirat sowieso nicht.“

Um dieses Grundstück neben der Robert-Brauner-Schule (r.) geht es.
Um dieses Grundstück neben der Robert-Brauner-Schule (r.) geht es. © Hans Blossey | FUNKEGRAFIK NRW Denise Ohms

Stadtbaurat: „Stadt macht Unrecht gut“

Und was sagt die Stadt Herne? Sie habe richtig gehandelt, betont Achim Wixforth, Chef im städtischen Fachbereich Umwelt und Stadtplanung. Eigentlich hätte die Frau, der das Grundstück über Jahrzehnte gehörte, längst eine Baugenehmigung bekommen müssen. Denn: Das Grundstück an der Bergstraße sei eine klassische Baulücke. Die Frau habe das Areal vor vielen Jahrzehnten auch als Bauland vom damaligen Kommunalverband Ruhr (KVR) gekauft, der aber habe das ganze Gebiet inklusive des Grundstücks anschließend als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen – und die Frau habe dadurch nicht mehr bauen dürfen. Auch ihr letzter Vorstoß vor drei Jahren sei bei der Stadt abgewiesen worden. Zu Unrecht, stellt Wixforth klar. Baulücken wie diese müssten geschlossen werden, die Aussage des Verwaltungsgerichts sei kein Urteil, sondern eine Einschätzung, und diese sei falsch. Genauso wie die Ablehnung des Bauantrags vor drei Jahren. Deshalb habe die Stadt nun die Baugenehmigung erteilt.

Damit, resümiert Stadtbaurat Karlheinz Friedrichs, mache die Stadt ein Unrecht gut. Die Besitzerin des Grundstücks erlebe das leider nicht mehr, sie sei inzwischen verstorben. Zum Zuge kämen aber immerhin die Erben. Sie hätten das Grundstück an einen Investor verkauft, und der könne nun bauen. Das geplante Wohnhaus, so Wixforth, füge sich durchaus in die Nachbarschaft ein, auch die Rodungsarbeiten, sagt Stadtgrün-Chef Heinz-Jürgen Kuhl, hätten nun durchgeführt werden dürfen; das sei im Vorfeld abgeklärt worden. Als Ersatz müssten 20 Laubbäume gesetzt werden. Und: Bei Baugenehmigungen müsse die Politik nicht informiert werden.

„Die Stadt macht Unrecht gut“: Stadtbaurat Karlheinz Friedrichs.
„Die Stadt macht Unrecht gut“: Stadtbaurat Karlheinz Friedrichs. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Die Anwohnerinnen und Anwohner überlegen nun, ob sie gegen die Baugenehmigung klagen, heißt es. Das sei ihr gutes Recht, sagt Wixforth. Dass besagte Fehler in seinem Fachbereich gemacht wurden, erkennt der Fachbereichsleiter an. Auch, dass das Bauvorhaben für Aufregung sorge, weil das Areal im Geoportal „leider“ noch immer als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werde. Er stellt aber zugleich klar, dass die „Baulückenschließung“ richtig und zudem überfällig gewesen sei. Einen Baustopp lehnt er deshalb entschieden ab.