Herne. Drei Jungen (12, 13) prügeln ein Transmädchen ins Koma. Warum der Herner Fall in Deutschland Wellen schlug und was über die Täter bekannt wurde.
Drei Jungen (12, 13) haben Ende März auf dem Friedhof in Herne-Holsterhausen ein 15-jähriges Transmädchen ins Koma geprügelt. Der Fall hat nach einem RTL-Bericht bundesweit für Aufsehen gesorgt – bis hin zur Bundesregierung. Was nun ans Licht gekommen ist: Die Täter sind bereits seit mehreren Jahren bei der Polizei bekannt.
Körperverletzung, Sachbeschädigung, Fahren ohne Führerschein
„Die Jungen sind seit 2018 mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten“, sagt Polizeisprecher Jens Artschwager auf Anfrage der WAZ. Heißt: Die drei Kinder haben schon mit acht bzw. neun Jahren Straftaten begangen. Es handele sich unter anderem um Delikte wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Fahren ohne Führerschein, so die Polizei.
Aufgrund ihres Alters seien sie noch strafunmündig. Die Polizei sei deshalb dankbar, dass die aus „schwierigen persönlichen Verhältnissen“ kommenden Jungen auf Antrag des Herner Jugendamts zunächst einmal durch einen richterlichen Beschluss getrennt in psychiatrische Kliniken eingewiesen worden seien, so Artschwager.
Herner Transmädchen schwebte nach Attacke in Lebensgefahr
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Die bisherigen Vernehmungen der Täter und des Opfers hätten den zunächst vermuteten Tathergang bestätigt. Wie berichtet, schlugen und traten die 12 und 13 Jahre alten Jungen am frühen Morgen des 28. März auf dem Friedhof in Holsterhausen so heftig auf das 15-jährige Mädchen ein, dass es für kurze Zeit in Lebensgefahr schwebte.
Während die Polizei aufgrund des Personalausweises des zunächst nicht ansprechbaren Opfers davon ausging, dass es sich um einen Jungen handelte, wurde kurz darauf bekannt, dass sich die brutale Attacke gegen ein Transmädchen gerichtet hatte. In einem RTL-Beitrag berichtete die Mutter, dass sich ihr als Junge geborenes Kind vor einem Jahr dazu durchgerungen habe, auch nach außen hin als Mädchen aufzutreten. Innerlich sei es schon immer ein Mädchen gewesen und habe schon als Kindergartenkind pinkfarbene Kleidung und lange Haare geliebt.
Queerbeauftragter der Bundesregierung äußert sich zum Herner Fall
Nach den bisherigen Erkenntnissen sei Transphobie nicht der alleinige Grund für die brutale Tat gewesen, betont Polizeisprecher Artschwager. Die Jungen hätten sich nicht verabredet, um das Transmädchen zu attackieren, sondern waren vor der Attacke gemeinsam in der Nacht unterwegs gewesen. Auf dem Friedhof sei es dann zu Streitigkeiten gekommen. „Transfeindlichkeit spielte dabei aber sicherlich eine Rolle.“
Nach dem RTL-Bericht über den Vorfall – auch das Opfer nahm vor der Kamera Stellung – gab es bundesweit einige Reaktionen. So wurde bei einer Demonstration queerer, sprich: nicht heterosexueller Menschen in Halle (Sachsen-Anhalt) eine Schweigeminute für das Herner Transmädchen eingelegt. Auch Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, nahm öffentlich Stellung und schrieb auf Twitter: „In Herne wird ein Mädchen fast totgeprügelt. Weil sie trans ist. Ein schrecklicher Fall. Und leider nur die Spitze eines Eisbergs von immer mehr Hasskriminalität gegen queere Menschen. Bund und Länder müssen Prävention und Schutz verstärken!“
Verwunderung über ausbleibende Reaktionen in Herne
In Herne gab es allerdings kaum öffentliche Reaktionen auf den Fall. Darüber wundert sich Laron Janus, Co-Leiter des Queeren Jugendforums in Herne und Mitorganisator der beiden (wegen Corona nur digital durchgeführten) Veranstaltungen und Aktionen zum Christopher Street Day. Er setze seit eineinhalb Wochen regelmäßig Posts in den sozialen Medien zu dem Vorfall ab, berichtet er. Dabei markiere er die Parteien und die Stadt, um sicherzugehen, dass die Nachrichten sie auch erreichten.
Öffentlich Stellung genommen haben bisher die Herner Grünen („wir sind traurig und fassungslos“) und das überparteiliche Bündnis Herne. Ihre zentrale Botschaft: Herne sei bunt, hier sei kein Platz für Homo- und Transphobie. Und die Stadt, die bekanntlich ein Büro für Gleichstellung und Vielfalt unter ihrem Dach hat? Sie könnten zum konkreten Fall noch keine öffentliche Stellungnahme abgeben, weil die polizeilichen Ermittlungen andauerten, erklärt Stadtsprecher Christoph Hüsken auf Anfrage.
Grundsätzlich biete das Jugendamt jegliche ihm zur Verfügung stehende Möglichkeit an, um solchen Taten präventiv entgegenzuwirken. Und: Es sei eine grundsätzliche Position der Stadt, dass sie Hass und Gewalt ablehne. Mit dem Thema „sexuelle Vielfalt“ beschäftige sich die Stadt seit 2019 intensiv, auch in Kooperation unter anderem mit Landestellen und dem Herner Projekt „Partnerschaft für Demokratie“.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Mordkommission aufgelöst
Die von der Polizei nach der Angriff auf dem Friedhof eingerichtete Mordkommission ist inzwischen aufgelöst worden. Die Ermittlungen dauerten aber noch an, so Polizeisprecher Jens Artschwager. So würden unter anderem die Telefone der drei Jungen ausgewertet.
Stichwort „Transphobe Gewalt“: In den vergangenen Jahre seien keine derartigen Straftaten in Herne, Bochum und Witten registriert worden, so Artschwager. Bei fast allen Deliktbereichen gebe es jedoch eine Dunkelziffer. Erkenntnisse lägen hier nicht vor.
Die WAZ kommt auf den Umgang der Stadt mit jungen Intensivtätern zurück.