Herne. Marco Diesing ist seit Jahresbeginn Chef der Herner Feuerwehr. Im Interview mit der WAZ spricht er über Herausforderungen und Motivation.
Vom Stellvertreter zum Chef: Marco Diesing ist seit Jahresbeginn Branddirektor der Herner Feuerwehr. Im Interview mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann spricht er über die zahlreichen Herausforderungen, mit denen er es zu tun bekommt und über seine Motivation.
Herr Diesing, Sie sind seit Jahresbeginn Feuerwehrchef. Haben Sie sich schon mal gefragt: Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?
Diesing: Ja, das entsteht im Prinzip von selbst. Mit einer neuen Position erhält man eine neue Perspektive auf Themen, die man vorher nicht hatte. Eigentlich kenne ich das Haus ja sehr gut, trotzdem habe ich als Chef doch schon den einen oder anderen neuen Aspekt kennengelernt.
Wie wird sich Ihre Arbeit jetzt ändern? Tauschen Sie das Löschfahrzeug mit dem Schreibtisch?
Nein, Schreibtisch und Einsätze wechseln sich ab. Wie zuvor fahre ich als Einsatzleiter auch 24-Stunden-Dienste, im Moment noch sehr gehäuft. Da ich auch meine alte Abteilungsleitung noch innehabe, arbeite ich zurzeit in einer Doppelfunktion. Zum Glück gibt es im Hintergrund viele Kollegeinnen und Kollegen, die mir zuarbeiten. Bis die Stelle neu besetzt ist, muss ich da aber durch. Bei den Abteilungsleitungen werden zudem zwei Kollegen in den Ruhestand gehen. Tatsächlich werde ich aber in meiner neuen Tätigkeit wohl mehr Dateien als Feuer löschen.
Sie haben es ja schon angedeutet: Eine Ihrer Herausforderungen wird die Personalsituation sein.
Wir haben im gehobenen Dienst Abwanderungen durch Pensionierungen, aber genauso im mittleren Dienst. Dort stellt sich die Situation etwas besser dar, weil wir gerade einen Grundausbildungslehrgang laufen haben. Der wird Mitte des Jahres beendet sein, sodass wir im mittleren Dienst auffüllen können. Aber auf mittelfristige Sicht müssen wir schauen, dass wir neue Kollegen bekommen...
...weil ja auf Grund des demografischen Wandels einige Kollegen pensioniert werden.
Das ist die große Herausforderung: Wir haben in der Tat eine große Anzahl an Mitarbeitenden aus den geburtenstarken Jahrgängen. Und da brauchen wir pfiffige Pläne, wie wir deren Stellen nach dem Ausscheiden in den nächsten fünf bis zehn Jahren neu besetzen und auch das vorhandene Personal halten können. Denn die Feuerwehren in den Nachbarstädten suchen genauso wie wir.
Wie schwer wird es Ihnen fallen, Fachkräfte zu finden, zumal es ja auch die Konkurrenz aus der freien Wirtschaft gibt?
Das ist nicht leicht. Ich war selbst nach dem Studium in der freien Wirtschaft. Man muss schon gute Argumente haben, denn die Bezahlung im öffentlichen Dienst ist kein so starkes Argument, um jemanden für sich zu gewinnen. Da müssen wir als Feuerwehr sehen, dass wir attraktiv sind. Wir schauen zum Beispiel gerade, wie wir mobiles Arbeiten ermöglichen können. Aber es müssen eben immer Mitarbeitende im Haus sein.
Sehen Sie Ansätze, um schon Kinder und Jugendliche für die Feuerwehr zu begeistern?
Das ist genau der Weg. Da müssen wir ansetzen – in der Kinder- und Jugendfeuerwehr, überhaupt im Freiwilligenbereich: Dort gilt es, weitere attraktive Angebote zu machen. Ein Beispiel dafür ist das neue Feuerwehrhaus Mitte an der Koniner Straße. Darüber können wir auch neue Mitarbeitende für die Berufsfeuerwehr gewinnen. Unser Ziel muss es außerdem sein, über Herne hinaus Kräfte zu finden. Dazu nutzen wir zunehmend die sozialen Medien und sind auf Facebook und Instagram sehr erfolgreich.
Die Personalfrage spielt auch beim vorbeugenden Brandschutz eine Rolle. Im Baugenehmigungsverfahren gibt es immer auch eine Stellungnahme von der Feuerwehr. Besteht hier ein Engpass?
Ja. Wir haben in diesem Bereich unbesetzte Stellen und es ist nicht leicht, Personal dafür zu finden. Unser Problem ist, dass auch die zum Teil deutlich größeren Feuerwehren der umliegenden Städte die gleichen Stellen ausschreiben. Ein ähnliches Problem haben wir an einer anderen Stelle. Uns fehlen eigentlich Fachleute für die IT. Aber auch da können wir, im Vergleich zur freien Wirtschaft nicht mit dem Gehalt punkten, sondern müssen auf andere Weise als Arbeitgeber attraktiv sein.
Inwieweit ist die Ausrüstung eine Herausforderung?
In der reinen Gerätetechnik stehen wir sehr gut da. Wir haben unseren Fuhrpark massiv verjüngt. Und die Ausrüstung ist auf einem guten Stand. Darüber hinaus sind wir mittlerweile in Forschungsprojekten zu neuer Ausrüstung aktiv. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Löschtechniken bei Bränden von E-Autos. Ich versuche, die Feuerwehr Herne breiter in der Feuerwehrwelt in Deutschland aufzustellen, sodass wir auch dort unseren Beitrag leisten. Das bedeutet viel Netzwerkarbeit und den intensiven Austausch auf interkommunaler Ebene.
Doch am dringendsten warten Sie auf die neue Feuerwache. Wie ist der Stand der Dinge?
Der Zustand der alten Wache ist ja bekannt. Sie ist alt, wir platzen aus allen Nähten. Die Arbeitsabläufe hier, aber auch in Wanne, können nur mit viel Aufwand zeitgemäß gestaltet werden. Die Unterkünfte sind, gelinde gesagt, ebenfalls unterirdisch. Wir brauchen die neue Wache unbedingt.
Die Schätzungen für den Bau der Wache liegen zurzeit bei rund 100 Millionen Euro. Eine riesige Summe.
Natürlich wird ein Neubau dieser Größenordnung erhebliche Kosten verursachen, aber die neue Feuerwache soll für viele Jahrzehnte genutzt werden. Man muss sich auch vor Augen führen, was alles untergebracht werden muss: eine Kfz-Werkstatt, eine Atemschutzwerkstatt, eine Schlauchwerkstatt und die Verwaltung. Nicht zuletzt brauchen wir auch einen großen Rettungsdienst-Trakt mit den dazugehörigen Lagern und Desinfektionsbereichen. Und wir haben sehr viel Spezialtechnik, beispielsweise zur Höhen- und Wasserrettung. Zudem sind ebenfalls Bereiche für die Jugendfeuerwehr und die Freiwillige Feuerwehr integriert. Es sind eben nicht nur ein paar Löschfahrzeuge mit Drehleiter. Im Moment schaffen wir es an der alten Wache nicht, alle Leute innerhalb von 90 Sekunden auf den Fahrzeugen zu haben und rauszuschicken. Da rennt man auf Grund der baulichen Gegebenheiten zu viel durchs Haus. Genau diese Wege gilt es bei der Planung der neuen Wache zu beachten. Es ist schon eine Herausforderung, auf diesem Grundstück eine Feuerwache zu planen.
Reizt Sie gerade diese Herausforderung?
Ohne Herausforderungen wäre es ja auch langweilig! Genau wie die Feuerwache bringen wir viele Dinge auf den Weg. Da gibt es viele kleine Stufen und einige große Hürden, die wir nehmen müssen, aber bei Personal und Technik etwa kommen wir schon gut voran. Wir stellen uns als Feuerwehr, vielleicht auch als Marke, neu auf. Wenn man all das zusammennimmt, ist das eine gute Motivation, die großen Projekte anzugehen. Ich spüre, dass diese Motivation auch bei den Kolleginnen und Kollegen vorhanden ist und blicke deshalb sehr zuversichtlich in die kommende Zeit als Chef der Feuerwehr Herne.
>>> ZUR PERSON
■ Marco Diesing (Jahrgang 1966) lebt mit seiner Familie in Bochum und arbeitet seit 2002 bei der Feuerwehr Herne.
■ 1984 wurde er Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, im damaligen Bochumer Löschzug Harpen. 2001 startete Diesing seine Laufbahnausbildung für den gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst bei der Berufsfeuerwehr Braunschweig und wechselte anschließend zurück ins Ruhrgebiet.
■ 2013/2014 absolvierte er den Aufstieg in den höheren feuerwehrtechnischen Dienst und übernahm die Abteilung Einsatz sowie später auch die stellvertretende Fachbereichsleitung bei der Feuerwehr Herne.