Herne. Eine Verkehrswende sieht anders aus: Die Zahl der Kfz-Zulassungen ist 2021 weiter gestiegen. Wie hoch das Plus ausfällt und was die Politik sagt.
Mit dem Beschluss eines Gesamtkonzepts für „klimafreundliche Mobilität“ wollten Politik und Stadt 2019 die Verkehrswende einleiten. Die neuesten Zahlen über die Bilanz der Kfz-Zulassungen in Herne im Jahr 2021 zeigen jedoch, dass Herne vom angestrebten Ziel der Stärkung des Rad- und Fußverkehrs sowie von Bus und Bahn bei gleichzeitigem Zurückdrängen des Autoverkehrs noch weit entfernt ist.
Kein Rekordzuwachs wie im Jahr 2020
Denn wie seit Jahren üblich ist die Gesamtzahl der Kfz-Zulassungen in Herne und Wanne-Eickel weiter angestiegen. Heißt: Auf den Straßen und auf Parkplätzen gab es 2021 unterm Strich noch mehr Autos und Motorräder als im Jahr zuvor. In Zahlen: Die Zahl der Kfz-Zulassungen stieg in Herne von 90.088 auf 90.782 (plus 784 bzw. 0,77 Prozentpunkte).
Immerhin wurde der aus Sicht von Verkehrsplanern und -politikern alarmierende Rekordzuwachs im Jahr 2020 (plus 1,8 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019) deutlich unterschritten. Und: Das Plus der zugelassenen Fahrzeuge lag auch unter dem seit 2016 üblichen Schnitt von jährlich rund 1000 Kfz. Die Zunahme bewege sich im „zu erwartenden Rahmen“ und sei aufgrund der pandemischen Auswirkungen auf das veränderte Mobilitätsverhalten „eher unauffällig“, erklärt denn auch Stadtsprecher Patrick Mammen auf Anfrage.
SPD ist mit der Situation unzufrieden
Die Politik will sich mit dem neuerlichen Anstieg nicht zufriedengeben. „Über diese Zahlen kann man sich nicht freuen“, sagt Roberto Gentilini (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Digitales, Infrastruktur und Mobilität (DIM). Ziel müsste es eigentlich sein, die Gesamtzahl der Kfz-Zulassungen in Herne zu senken.
Der Sozialdemokrat beklagt unter anderem die aus seiner Sicht unzureichende Datenlage in Herne (siehe auch Kasten). „Wir bekommen neue Anreize nur gesetzt, wenn wir wissen, bei welcher Gruppe der größte Handlungsbedarf besteht.“ Er habe deshalb bereits Kontakt zum Herner Statistikamt aufgenommen.
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Grüne: Zuviel öffentlicher Raum für Autos
Auch die Grünen sind unzufrieden mit der Situation. „Generell muss man für Herne leider feststellen: Wer Bus, Bahn oder Rad fährt, ist oft teurer, unbequemer und gefährlicher unterwegs“, erklärt Sabine von der Beck, Sprecherin der Grünen im DIM-Ausschuss. Das Ergebnis sei ein hoher Autoanteil am „Modal Split“, übersetzt: bei der Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger oder -mittel.
Die Antwort auf die Frage, warum sich umweltfreundliche Verkehrsmittel nur schwer durchsetzten, sei vor allem in der unzureichenden Qualität des Angebots zu finden. In Herne werde dem Autoverkehr im Vergleich zum Radverkehr überdimensioniert viel öffentlicher Raum zugeteilt, so von der Beck. Und: Im ÖPNV bräuchte es im gesamten Ruhrgebiet mehr Verbindungen und ein übersichtlicheres Preissystem. Andere Metropolen zeigten, wie Verkehrswende funktioniere. Zum Beispiel: Wien mit dem 365-Euro-Jahreskarten für Bus und Bahn, Kopenhagen mit langen und breiten Radwegen, Paris mit ausgedehnten Tempo-30-Zonen.
Eine weitere Zahl für 2021: Die Anzahl der zugelassenen E-Fahrzeuge hat sich in Herne nach Angaben der Stadt innerhalb eines Jahres faktisch um 80 Prozentpunkte erhöht, konkret: von 1568 im Jahr 2020 auf 2814 im vergangenen Jahr. „Gemessen an der Gesamtanzahl der zugelassenen Kfz sind dies jedoch nur drei Prozent“, schränkt Stadtsprecher Mammen ein. Aus Sicht der Verwaltung reiche diese Entwicklung zur Erreichung der hochgesteckten Klimaziele bei Weitem nicht aus. SPD-Politiker Roberto Gentilini glaubt zu wissen, wie die Ziele in diesem Bereich schneller zu erreichen sind: Der Sozialdemokrat fordert (einmal mehr) einen raschen Ausbau des Ladenetzes für E-Fahrzeuge.
>>> WEITERE INFORMATIONEN: Herner Zahlen gibt es erst seit 2015
Seit 2016 gab es in Herne bei den Kfz-Zulassungen einen Anstieg um jeweils mehr als 1000 Kraftfahrzeuge pro Jahr (Stichtag: 31. Dezember). Vergleiche mit den Jahren vor 2015 seien nicht möglich, weil dafür keine Zahlen vorlägen, so erklärte die Stadt 2021 auf Anfrage der FDP.
Wie sich die Zulassungszahlen auf Haushalte verteilen, konnte die Stadt aus Mangel an entsprechenden Daten ebenfalls nicht sagen. Und auch die Frage, ob die Zahl der Kfz-Zulassungen bei jüngeren Hernerinnen und Hernern rückläufig sei, blieb unbeantwortet.