Herne. Adi Plickert, Bezirksbürgermeister in Herne, kennt Afghanistan. Dass Ortskräfte zurückgelassen wurden, sei politisches Komplettversagen, sagt er.

Arnold Plickert, Bezirksbürgermeister in Eickel, sorgt sich um die Entwicklung in Afghanistan. Der Ex-Chef der Polizeigewerkschaft GdP in NRW war 2012 für eine Woche am Hindukusch. Eingeladen worden war der damalige Vorsitzende des Hauptpersonalrats der Polizei im Innenministerium NRW vom Bundesinnenministerium. Die WAZ sprach mit dem 64-jährigen Herner über die Lage in Afghanistan damals und heute.

Was haben Sie in Afghanistan gemacht?

Ich war in Kabul, Kundus und Mazar-e Sharif und habe dort die deutschen Polizistinnen und Polizisten besucht, die das afghanische Innenministerium beraten und die Polizeischüler und deren Ausbilder ausgebildet haben.

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Wie war die Sicherheitslage?

In Kabul war die Lage brisant und gefährlich. Wir waren dort nur im Konvoi mit drei Fahrzeugen unterwegs, die gegen Beschuss und Explosionen besonders ausgestattet waren. In Kundus und Mazar-e Sharif waren wir in Camps untergebracht.

Brisant und gefährlich sei die Lage schon 2012 am Hindukusch gewesen. Unterwegs gewesen ist Adi Plickert deshalb nur mit gepanzerten Fahrzeugen.
Brisant und gefährlich sei die Lage schon 2012 am Hindukusch gewesen. Unterwegs gewesen ist Adi Plickert deshalb nur mit gepanzerten Fahrzeugen. © OH

Wie war Ihr Eindruck: Kann der Westen seine Aufgabe, das Land zu befrieden, erfüllen?

Ich hatte schon damals Zweifel, da die Bedingungen in Afghanistan sehr schwierig waren. Ich habe mir damals schon die Frage gestellt: Was passiert hier eigentlich, wenn die Sicherheitskräfte wieder das Land verlassen?

Waren die Taliban damals ein Thema?

Die Taliban waren niemals weg. Die Warlords saßen in der Bergen und in ländlichen Regionen und haben von dort ihre Anschläge gegen die Streitkräfte und die eigene Bevölkerung durchgeführt.

Waren Sie auch überrascht, dass die Taliban das Land nach dem Abzug der ausländischen Streitkräfte so schnell überrollen können?

Überrascht war ich, wie schnell das ging. Dass die Taliban versuchen würden, die alten Zustände wieder herzustellen, überrascht mich nicht. Alleine durch den Handel mit Rauschgift verdienen sie Hunderte von Millionen Euro. Erleichtert wird das dadurch, dass in Afghanistan die Korruption bis in höchste Stellen blüht.

Wurden die Armee- und Polizeiangehörigen nicht gut genug geschult – auch nicht von deutscher Seite?

Meine Kollegen und Kolleginnen haben in Afghanistan Herausragendes geleistet. Es ist jedoch schwierig, in acht Wochen den Polizeischülern Grundrechte, Rechtsnormen, Einsatzlehre und Einsatztraining zu vermitteln, insbesondere unter der Voraussetzung, dass 80 Prozent der Polizeischüler Analphabeten sind.

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Hätte die Bundesregierung Ortskräfte schneller aus dem Land holen müssen?

Man hat die Afghanen und deren Familien, die die Streitkräfte und Polizei in den letzten 20 Jahren bei ihrer Arbeit unterstützt haben, völlig alleine gelassen. Dies ist für mich ein politisches Komplettversagen, da diese Familien jetzt um ihr Leben fürchten müssen.