Herne. Der Bundestagswahlkampf nimmt Fahrt auf, und der Herner CDU-Chef Timon Radicke ist mittendrin. Über seine Zeit in Berlin spricht er im Interview.

Der Bundestagswahlkampf nimmt langsam Fahrt auf - und ein Herner ist mittendrin. CDU-Chef Timon Radicke ist seit Anfang des Jahres Leiter des Lagezentrums in der CDU-Zentrale in Berlin. Was seine Aufgabe ist und welche Erfahrungen er bislang gemacht hat, erläutert er im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann.

Herr Radicke, waren Sie überrascht, als Sie gefragt wurden, ob Sie für einen gewissen Zeitraum in der Bundeszentrale der CDU arbeiten wollen?

Ich hatte mich über den Anruf gefreut. Nach dem Wahlkampf 2017 hatte ich immer wieder Kontakt mit Paul Ziemiak (dem CDU-Generalsekretär mit Wahlkreis Herne, Anm. d. Red.). Dabei haben wir auch immer mal darüber gesprochen, auf welcher Ebene wir über Herne hinaus zusammenarbeiten können. In der Vergangenheit gab es private und berufliche Gründe, die Bundesgeschäftsstelle zu unterstützen. Dann kam der Punkt, an dem sich das Konrad-Adenauer-Haus für den Bundestagswahlkampf aufgestellt hat. Für mich war klar, dass es eine einmalige Chance wäre, nach 16 Jahren Kanzlerschaft unter Angela Merkel nun mit Armin Laschet in den Wahlkampf zu ziehen. Das ist ja eine historische Bundestagswahl. Als meine Freistellung als Lehrer am Mulvany-Berufskolleg geklärt war, fiel die Entscheidung, zum 1. Februar nach Berlin zu gehen.

Was genau ist Ihre Aufgabe?

Ich bin Leiter des Lagezentrums.

Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Nach der Europawahl 2019 hat die CDU reagiert und hat einen Newsroom eingeführt, um künftig online schneller reagieren zu können. Im Zuge der Vorbereitungen für den Bundestagswahlkampf wurde überlegt, dass dieser Newsroom weiterentwickelt und ein Lagezentrum aufgebaut werden muss, in dem nicht nur entschieden wird, was die CDU über die verschiedenen Kanäle veröffentlicht, sondern Trends in den sozialen Medien erkannt, analysiert und beurteilt werden können. In meinem Bereich werden Botschaften formuliert und überlegt, wie man die eigenen Anhänger mobilisieren kann. Kurz: Das Lagezentrum ist mitverantwortlich, was Sie auf den CDU-Kanälen des Generalsekretärs oder des Parteivorsitzenden sehen und lesen können.

Der gute Kontakt zwischen Timon Radicke und Paul Ziemiak hat dazu beigetragen, dass der Herner CDU-Chef während des Bundestagswahlkampfs in der Bundeszentrale der CDU arbeitet.
Der gute Kontakt zwischen Timon Radicke und Paul Ziemiak hat dazu beigetragen, dass der Herner CDU-Chef während des Bundestagswahlkampfs in der Bundeszentrale der CDU arbeitet. © FUNKE Foto Services | Ralph Bodemer

In Herne sind Sie als Partei- und Fraktionsvorsitzender eine feste Größe. Fühlten Sie sich zu Beginn, trotz ihrer Körpergröße, als der kleine Neuling aus der Provinz?

Ich bin stolz auf meine Heimat und wurde sehr nett aufgenommen in Berlin. Wenn jemand fragt: „Warum bist du hier?“, wissen die meisten, dass ich die Erfahrung von denen mitbringe, die man in der CDU gerne die „Basis“ nennt. Ich kenne die Diskussionen vor Ort und kann auch einschätzen, was für die vielen Ehrenamtlichen in der CDU wichtig ist. Aber ich lerne täglich Neues. In der Parteizentrale treffen Sie auf politische Strategen und Profis, wenn es um Planung, Analysen und Kommunikation geht. Aber ich bin ja auch geholt worden, um gerade externe Impulse in der Kommunikation und kreative Ideen für die sozialen Medien einzubringen. Mittlerweile bin ich im Konrad-Adenauer-Haus gut angekommen und kann mich inhaltlich viel einbringen. Hier gibt es einfach viel gelebte Erfahrung in Wahlkämpfen. Einige der Kolleginnen und Kollegen haben schon Auftritte in der Dortmunder Westfalenhalle für Helmut Kohl organisiert. Andere haben dafür gesorgt, dass Angela Merkel drei Mal als Bundeskanzlerin wiedergewählt wurde. Das ist schon beeindruckend, welche enorme Erfahrung und welches Know-how im Haus steckt.

Wie nah sind Sie an den entscheidenden Vorgängen und Gremien dran? Sie müssen ja wissen, welche Themen gesetzt werden sollen?

Ich bin persönlich nicht bei Präsidiums- oder Bundesvorstandssitzungen dabei. Ich gehöre zu dem Team, das im Haus und hinter diesen Gremien für den Online-Bereich die Kommunikation vorbereitet und umsetzt.

Haben Sie ein Beispiel?

Immer wenn sich die Gremien treffen, gibt es morgens schon sogenannte Sprechzettel, auf denen steht, was der Parteivorsitzende oder der Generalsekretär thematisieren wollen. Dazu bereiten wir die Kommunikation für die verschiedenen Kanäle wie Facebook oder Instagram vor. Es kann sich aber je nach Verlauf der Sitzung auch mal ändern, was am Ende veröffentlicht wird. Das kann auch hektisch werden. Aber es macht Spaß!

Wo haben Sie Erfolgserlebnisse?

Ich freue mich immer, wenn ein bestimmtes Motiv oder eine Mikrokampagne später von ganz vielen Menschen bei Social Media geteilt und kommentiert werden. Das heißt im Online-Deutsch dann: Das ist viral gegangen. Oder wenn etwas, was wir bei Twitter veröffentlicht haben, dann abends in den Tagesthemen so auch zu hören ist. Sowas ist immer eine Teamleistung. Deshalb finde ich es besonders spannend, dass ich daran mitarbeiten kann, dass die CDU einen erfolgreichen Wahlkampf macht.

Wie lang sind Ihre Tage?

Mit dem Aufstehen um 6 Uhr habe ich schon die ersten Nachrichten auf dem Handy, und dann geht es manchmal bis nach Mitternacht. Aber das ist Wahlkampf! Je nachdem, was abends noch auf der Welt passiert oder wer gerade in welchen Talkshows sitzt, gibt es dann auch mal eine „Verlängerung“. Solche 16-Stunden-Tage sind für Spitzenpolitiker ja normal, das ist schon bewundernswert, welches Pensum zum Beispiel Kanzleramtsminister Helge Braun abreißt.

Wie viel haben Sie schon über Politik gelernt, was Sie auch zurück mit nach Herne nehmen können?

Ich lerne jeden Tag und aus allen Bereichen. Und ich bin etwas ruhiger geworden. Früher habe ich mich über manche Berichte mal aufgeregt. Das ist heute anders. Das Geschäft ist schnelllebig, aber man schaut nach vorne und weiß, dass bei vielen Themen das letzte Wort noch lange nicht gesprochen wurde. Jetzt rege ich mich oft nur noch auf, wenn ich einen Anschlusszug in die Heimat verpasse.

Sie arbeiten jetzt auf der politisch höchsten Ebene in Deutschland, wollen Sie denn überhaupt zurück nach Herne?

Ich bin Kreisvorsitzender, gewählt bis zum Ende des Jahres, und ich werde wieder kandidieren. Ich bin Fraktionsvorsitzender im Rat, der Vorstand ist auf zweieinhalb Jahre gewählt. Das ist die Perspektive, die ich hier vor Ort habe. Ich fühle mich meiner Heimatstadt verbunden. Ich habe mich die letzten 18 Jahre hier politisch eingebracht. Ans Aufhören denke ich noch lange nicht.

>>> ZUR PERSON

■ Timon Radicke ist seit 2016 Chef des Herner CDU-Kreisverbands. Im Januar hatte er mitgeteilt, dass er bei der nächsten Vorstandswahl nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren wolle, im März jedoch eine Kehrtwendung vollzogen.

■ Für die CDU war er zunächst Mitglied in der Bezirksvertretung Herne-Mitte. Im vergangenen Jahr hatte er für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert, jedoch klar gegen Amtsinhaber Frank Dudda verloren. In der aktuellen Ratsperiode ist er Fraktionsvorsitzender der CDU.

■ Radicke ist verheiratet und hat ein Kind.