Berlin. In Merkels voraussichtlich letzter Sommerpressekonferenz ging es um Klimaschutz, Hochwasser, Corona – und um eine persönliche Bilanz.
Für Angela Merkel hat die Zeit der letzten Male als Kanzlerin längst begonnen. Die letzte reguläre Sitzung des Bundestags in ihrer Amtszeit war schon, die letzte Regierungsbefragung im Parlament, die letzte Reise als Kanzlerin ins Weiße Haus ebenfalls. Und nun liegt auch das hinter ihr: die letzte traditionelle Sommer-Pressekonferenz. Am Donnerstag stellte sich die Kanzlerin in der Bundespressekonferenz den Fragen von Journalistinnen und Journalisten – sehr wahrscheinlich der finale Auftritt an diesem Ort nach 16 Jahren Amtszeit.
Mit Rückblicken oder gar Nostalgie wollte sich Merkel aber nicht aufhalten, zu drängend sind die tagesaktuellen Probleme, die zu lösen sind: Noch immer kämpfen Menschen mit den Auswirkungen der verheerenden Flut im Westen Deutschlands, und auch die Pandemie ist längst nicht zu Ende, sondern nimmt im Gegenteil gerade wieder Fahrt auf.
Entsprechend zeigte sich die Kanzlerin an diesem Tag im Arbeitsmodus – bloß nicht den Eindruck entstehen lassen, dass ihre Arbeit erledigt und sie mit einem Bein schon aus der Tür sei. Sie sei immer noch gefordert, erklärte Merkel, das werde auch bis zum letzten Tag ihrer Amtszeit so bleiben. Und danach? „Ich werde dann schon mit der Zeit etwas anfangen können“, sagte Merkel trocken.
Merkel gibt Versäumnisse beim Klimaschutz zu
Doch auch wenn das Tagesgeschäft nicht ausgeht, markierte der Auftritt eine Station auf einem Weg des Abschieds. Zeit also für Fragen nach dem, was gelungen ist in den letzten 16 Jahren. Und auch nach dem, was hätte geschehen müssen, aber nicht geschah.
Positiv verbucht Merkel für sich unter anderem die im europäischen Vergleich niedrige Jugendarbeitslosigkeit und die insgesamt deutlich gesunkene Zahl der Arbeitslosen: Waren es bei ihrem Amtsantritt 2005 noch mehr als 5 Millionen Menschen in Deutschland, die arbeitslos gemeldet waren, seien es heute weniger als drei Millionen.
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Auch die Bewältigung großer, internationaler Krisen gehört zur Plus-Seite der Bilanz – die Finanzkrise 2008, die Euro-Rettung, die Anforderungen, „die wir mit den vielen Flüchtlingen zu bewältigen hatten“ – von einer Krise spricht Merkel hier explizit nicht –, und die Corona-Pandemie. „Was meine Amtszeit schon durchzogen hat immer, ist, dass wir halt nicht alleine mit nationaler Politik unsere Herausforderungen bewältigen können, sondern dass wir Teil einer Weltgesamtheit sind, und das ist ja auch das Thema, das wir bei Klima sehen“, sagte Merkel.
Die Klimakrise und der Kampf um die Einsparung von Emissionen haben Merkel, die 1994 Umweltministerin wurde und lange den inoffiziellen Titel der „Klimakanzlerin“ trug, von Anfang an begleitet. Ihr politisches Leben, sagte Merkel am Donnerstag, sei gekennzeichnet von der Arbeit für den Klimaschutz.
Und doch ist es gerade dieses Feld, wo die Kanzlerin Versäumnisse einräumen muss. Auch wenn der Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix inzwischen deutlich über 40 Prozent liegt und im Vergleich zu 1990 viele Tonnen CO2 eingespart wurden: Gemessen am Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad, möglichst sogar 1,5 Grad zu beschränken, sei „nicht ausreichend viel passiert“, sagte Merkel. „Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern das gilt für sehr, sehr viele Länder auf der Welt. Und deshalb muss das Tempo angezogen werden.“
Ein Fehler sei ihr langes Festhalten am Kyoto-Protokoll gewesen, sagte sie, dem Vorgänger-Abkommen des Pariser Klima-Vertrags, das Einsparziele ausschließlich für die Industriestaaten vorsah, nicht aber für Länder wie Indien und China. Diejenigen, die sich bei der Klimabewegung Fridays for Future engagieren würden, seien für die Politik eine „Antriebskraft“, sagte Merkel. Aber es gebe eben auch noch andere Meinungen in Deutschland. „Wir brauchen auch parlamentarische Mehrheiten.“
Merkel warb dafür, die Akzeptanz für Anlagen für erneuerbare Energien und Stromtrassen zu verbessern. Man müsse versuchen, die Menschen im ländlichen Raum, welche die Aufstellung der Windkraftanlagen zu verkraften hätten, an den „Segnungen“ zu beteiligen. Es sei bisher nicht gelungen, genug Anreize zu setzen für Menschen, deren Lebensqualität sich etwa durch neue Stromleitungen objektiv verändere. „Dann hätten wir weniger Widerstand bei den ganzen Planungen und Ausbauten.“
Merkel wirbt für gemeinsame europäische Asylpolitik
Wie schnell die Akzeptanz auch für umstrittene Projekte kommen kann, hat Merkel in anderen Bereichen erlebt: Das Elterngeld – zur Einführung 2007 als „Wickelvolontariat“ verspottet, weil damit auch Väter für die Betreuung von kleinen Kindern zu Hause bleiben können – sei mittlerweile eine „hoch akzeptierte Sache geworden, an der viele Familien viel Freude haben“, sagte sie. Sie selbst könne das im Kanzleramt beobachten, das sei „wunderschön“ zu sehen.
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Gleichzeitig hat die Kanzlerin erfahren, wie tief verankert manche soziale Struktur ist – zum Beispiel wenn es um Frauen in Führungspositionen geht. Lange sei sie eine Befürworterin freiwilliger Selbstverpflichtungen gewesen, sagte Merkel. Doch eine große Zahl von Firmen habe einfach ungerührt daran festgehalten, keine Frauen in Führungspositionen zu haben. „Das hatte ich mir 1990, als ich in die Politik ging, alles einfacher vorgestellt, muss ich ganz ehrlich sagen“, erklärte Merkel. Sie befürwortete deshalb schließlich die Einführung von Quoten.
Die gibt es jetzt, seit 2016 für Aufsichtsräte von börsennotierten und paritätisch bestimmten Unternehmen, seit Juni 2021 auch für deren Vorstände. Doch an anderer Stelle bleiben Baustellen. Das Problem einer gemeinsamen europäischen Asylpolitik etwa besteht weiterhin, „das ist etwas, was in den nächsten Jahren unbedingt gelöst werden muss“, sagte Merkel. Doch das wird die Aufgabe von anderen sein. Am Donnerstag verabschiedete sie sich von den anwesenden Journalistinnen und Journalisten. „Es war mir eine Freude.“
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