Herne. Hernes OB Frank Dudda sieht schwere Corona-Folgen: Die soziale Spaltung nehme zu, Sprachdefizite stiegen. Und er warnt vor einer vierten Welle.
Die Corona-Krise hat tiefgreifende Folgen für viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Stadtgesellschaft insgesamt, sagt Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda. Der SPD-Politiker erlebt in der Corona-Krise eine „noch größere soziale Spaltung“ und „große Sprachbarrieren“, sagt er im Interview mit der WAZ. Zugleich warnt er vor einer vierten Welle im Herbst.
Kontakte brächen weg, Menschen zögen sich zurück, unterhielten sich nicht mal mehr mit ihren Nachbarn. „Man sieht jetzt, was es heißt, wenn eine soziale Infrastruktur nicht mehr da ist: Davon sind die Grundfesten unserer Gesellschaft von betroffen“, bilanziert der OB mit dem Abklingen der dritten Corona-Welle. Folge: „Abkopplung, ja Abgrenzungen nehmen zu.“ Die Menschen verlören ihre Balance, würden auch extremer in ihren Ansichten. „Und wenn man dann nur noch über soziale Medien kommuniziert, kann es dazu führen, dass Facebook und Co. ein Zerrbild der Wirklichkeit zeichnen“, stellt Dudda fest.
Herne: Verwaltung ist auf sehr große Sprachbarrieren getroffen
In der Corona-Krise nähmen auch Sprachdefizite zu. Die Verwaltung sei in der Pandemie-Bekämpfung auf sehr große Sprachbarrieren getroffen: „Das hat mich ziemlich erschrocken.“ Menschen in manchen Communitys hätten „offensichtlich nicht mal einfachste Anschreiben verstanden“. Die Sprachdefizite hält der Oberbürgermeister „für nicht akzeptabel“, denn mit ihnen könne das Zusammenleben nicht funktionieren. Um die Sprachbarrieren abzubauen, müssten Strategien entwickelt werden: „Die Handlungsaufträge liegen deshalb schon auf der Hand: niederschwellige und barrierefreie soziale Angebote schaffen, das möglichst schnell und gezielt für Familien.“
Die Menschen müssten zugleich motiviert werden, Sprache in den Mittelpunkt zu rücken – „für sich und vor allem für die Kinder“. Mit der Bundesagentur für Arbeit wolle er auch darüber diskutieren, „was das für Qualifizierungsangebote waren, die wir den vielen Menschen gemacht haben, die in den vergangenen Jahren zu uns kamen“. Vielleicht könne man dort nachbessern. Dudda überlegt zudem, ob eine Infokampagne aufgesetzt werden könne, um das Sprachverständnis zu verbessern.
Zugang zur Stadtverwaltung soll viel niederschwelliger werden
Auch der Zugang zur Stadtverwaltung insgesamt müsse viel niederschwelliger werden, räumt der 58-Jährige ein: „Wir müssen raus, wir müssen mit der Quartiersarbeit, die wir in Herne schon sehr gut betreiben, noch näher an die Menschen ran.“ Das habe die Stadt bei der Sonderimpfaktion über Pfingsten im Feldherrenviertel in Herne und an der Emscherstraße in Wanne gelernt. Dort wurden in den beiden sozialen Brennpunkten über 1000 Menschen in einem mobilen Impfzentrum mit dem Vakzin von Johnson & Johnson gegen Corona geimpft.
Diese Impfaktion sei „ein wichtiger Schritt gewesen“: Auch dank dieser Aktion hätten voraussichtlich Ende Juni 60 Prozent der Herner eine Erstimpfung – wenn genügend Impfstoff da sei. Das freilich reiche noch nicht. Gelinge es nicht, die Stadtgesellschaft in Gänze zu erreichen, dann sei eine vierte Welle im Herbst nicht auszuschließen: „Wenn die Stadt nicht als Ganzes durchgeimpft ist, wenn wir gewisse Communitys nicht erreichen, werden wir die Inzidenzwerte nicht stabil in den Griff bekommen.“ Das wolle er „mit aller Macht verhindern“.
Deshalb will die Stadt bei den Impfungen nicht nur auf das Impfzentrum und die Ärzte setzen, sondern sie will auch „das Angebot zu den Menschen bringen“. Nur mit zusätzlichen Anstrengungen in den Quartieren erreiche man den Teil der Menschen, die man wegen ihrer Arbeitsbedingungen, Sprachbarrieren oder sozialen Lebensumstände sonst nicht erreiche. Konkret plane er deshalb weitere Impfaktionen in Quartieren. Vielleicht klappe eine weitere schon kommende Woche.
OB weist Kritik von Dorothea Schulte (Grüne) zurück
Die Kritik der Grünen-Stadtverordneten Dorothea Schulte an der Impfaktion über Pfingsten weist der OB zurück: Diese Kritik „zieht einem fast die Schuhe aus“, schimpft der OB. Die ehemalige Grünen-Fraktionschefin und Bürgermeisterin Schulte zweifelt, dass das Gros des Impfstoffs von Johnson & Johnson den Menschen im Feldherrenviertel und an der Emscherstraße zu Gute gekommen ist. Wer sich vor Ort ein Bild von den Aktionen gemacht und wer mit den Menschen gesprochen habe, der wisse, dass vor allem die umliegenden Nachbarschaften aktiviert worden seien, entgegnet Dudda.
Die Sonderimpfung sei mit einem Konzept hinterlegt, vom Land genehmigt und überaus erfolgreich gewesen. „Alle Ziele“ seien erreicht worden – und damit auch die Menschen, die erreicht werden sollten. „Wir wissen natürlich, wen wir geimpft haben“, sagt Dudda und verweist auf eine umfangreiche Dokumentationspflicht im bundesweit standardisierten Impfverfahren. Konkret: „Wir haben mit dem überwiegenden Teil der Impfdosen Menschen aus den jeweiligen Vierteln erreicht.“