Herne. Die OB-Aussage über hohe Infektionszahlen unter Migranten schlägt Wellen. Was kritisiert wird und wie Stadt und Migranten nun kooperieren wollen.

Oberbürgermeister Frank Dudda hat seine Aussagen von Sonntag - die hohe Zahl der Neuinfektionen liege vor allem an Türken und Syrern - ein Stück weit relativiert. Und: Nach einem vom OB für Dienstagmittag initiierten Austausch mit Moscheegemeinden und Migrantenvereinen kündigt die Stadt weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Aufklärung über Corona und das Impfen an.

Belastbare Zahlen für höhere Infektionen unter Migranten lägen der Stadt nicht vor, erklärt die Verwaltung auf Anfrage der WAZ. Nach dem alarmierenden Anstieg des Inzidenzwerts am Samstag hätten die Namen der Neuinfizierten „zum überwiegenden Teil auf einen türkischen bzw. arabischen Familienhintergrund“ hingewiesen, so die Stadt. Eine Erfassung nach Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund gebe es im Gesundheitsamt wie auch in Krankenhäusern nicht.

Auch interessant

Keine Dokumentation in Kliniken über Herkunft und Religion

Das Herner Elisabeth-Gruppe bestätigt dies gegenüber der WAZ. „Wir können nicht sagen, wie hoch der Anteil von Migranten an Covid-19-Patienten oder den geimpften Mitarbeitern ist“, so Geschäftsführer Theo Freitag. Abgesehen davon, dass es schwierig sein dürfte, in einer multikulturellen Gesellschaft Migranten als Gruppe abzugrenzen, sei dies auch nicht das Ziel bei der Erfragung von Patienten- oder Mitarbeiterdaten.

Am Evangelischen Krankenhaus (Bild) und im Marien Hospital werden Herkunft und Religion von Patienten und Mitarbeiten nicht doikumentiert.
Am Evangelischen Krankenhaus (Bild) und im Marien Hospital werden Herkunft und Religion von Patienten und Mitarbeiten nicht doikumentiert. © FUNKE Foto Services | Dietmar Wäsche

„Wir erheben für einen Krankenhausaufenthalt ausschließlich Daten, die eine Relevanz für die Behandlung der Patienten haben“, so Freitag weiter. Mitarbeiter reichten bei ihrer Bewerbung Unterlagen ein, die ihre Qualifikation für die zu besetzende Stelle dokumentierten. Auch das Evangelische Krankenhaus weist darauf hin, dass man in dieser Hinsicht keine Dokumentation über Herkunft und Religion hinterlegt habe.

Zurück zur Stadt. Der Krisenstab habe aufgrund von Beobachtungen im Gesundheitsamt und aus Schilderungen aus Klinken, Schulen und Kitas die Erkenntnis, „dass wir auch bei Menschen mit Migrationshintergrund ein klares Infektionsgeschehen haben - aber natürlich nicht nur dort“, so Stadtsprecher Christoph Hüsken. Das sei bisher nicht in allen Phasen der Pandemie so gewesen. Die Situation habe sich aber aktuell offensichtlich zugespitzt.

Auch interessant

Stadt: Hinweise auf eine größere Impfzurückhaltung bei Migranten

Die Stadt habe zudem Hinweise und Schilderungen aus dem Gesundheitswesen und auch aus Kitas erhalten, dass es bei Menschen mit Migrationshintergrund „eine größere Zurückhaltung“ beim Impfen gegeben habe. Hier gelte es gezielt gegenzusteuern und Überzeugungsarbeit zu leisten, dass man mit einer Impfung sich und andere schütze. Stadtmarketing Herne bereite eine entsprechende mehrsprachige Informationskampagne vor - so wie es beim Thema Hygiene- und Abstandsregeln bereits erfolgt sei.

Weitere Schritte seien am Dienstagmittag beim Austausch mit Migrantengruppen im Rathaus vereinbart worden, berichtet OB Frank Dudda. Eine Erkenntnis: Bei der Kommunikation zum Thema Impfen müssten zusätzliche Brücken gebaut werden, um mehr Menschen zu erreichen. Das müsse über Ärzte und Apotheker geschehen, aber z.B.. auch über das Viertel rund ums syrische Restaurant Syriana an der Bebelstraße in Herne-Mitte, so der OB. Was er aus dem Gespräch aber auch mitnehme: Viele ältere Migranten aus der Türkei und Marokko hätten sich offenbar schon in ihrem Herkunftsland impfen lassen.

Baltaci: Pandemie trifft die gesamte Bevölkerung

Ibrahim Baltaci (re.) im November 2020 nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Integrationsrates mit Frank Dudda. Er lobt und kritisiert den Oberbürgermeister.
Ibrahim Baltaci (re.) im November 2020 nach seiner Wahl zum Vorsitzenden des Integrationsrates mit Frank Dudda. Er lobt und kritisiert den Oberbürgermeister. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Ibrahin Baltaci, Vorsitzender des Integrationsrates, findet nach dem Austausch von Migranten und Stadt kritische und lobende Worte für den OB. Sie hätten im Rathaus klargestellt, dass die Pandemie die gesamte Bevölkerung treffe. Die Aussagen von Frank Dudda seien stigmatisierend gewesen und spielten Parteien am rechten Rand in die Karte, so Baltaci. Der OB habe seine Aussage ihnen gegenüber relativiert und um Entschuldigung gebeten.

Auch interessant

Baltaci betonte allerdings auch, dass viele ihrer Vorschläge zur Bekämpfung der Pandemie auf fruchtbaren Boden gestoßen seien. Grundsätzlich gelte: „Wir schätzen den Oberbürgermeister sehr.“ Er werde von der Migranten-Community in Herne „sehr gemocht“.

Übereinstimmendes Fazit von Frank Dudda und Ibrahim Baltaci nach dem Gespräch am Dienstag: „Wir besiegen das Virus nur gemeinsam oder gar nicht.“