Herne. Paukenschlag in der Herner SPD: Die Fraktion wirft Ratsfrau Nurten Özcelik aus dem Vorstand. Sie wehrt sich - und erhebt schwere Vorwürfe.

Die SPD-Fraktion in Herne hat Nurten Özcelik aus dem Fraktionsvorstand geworfen. SPD-Fraktionsvorsitzender Udo Sobieski bestätigt Informationen der WAZ, dass die 49-Jährige bei der Fraktionssitzung am Montag abgewählt wurde. Özcelik zeigt sich tief getroffen und erhebt schwere Vorwürfe gegen ihre Parteifreunde. Ihre Mitgliedschaft in der SPD lässt sie ruhen.

Nurten Özcelik, seit 2014 im Rat, hat bei den Kommunalwahlen im September 2020 den Wahlbezirk Eickel-West wiedergewonnen und zog erstmals in den neunköpfigen Fraktionsvorstand ein. Nach nicht mal einem halben Jahr ist Schluss. Özcelik habe „gesundheitliche Probleme“ und über „einen langen Zeitraum“ an keinen Sitzungen teilgenommen, sagt Fraktionschef Sobieski zur WAZ. Die Mehrheit der Fraktion sei damit „nicht zufrieden“: Es gebe keine Perspektive, wann Özcelik zurückkehre, deshalb sei sie abberufen worden. Die Fraktion wolle „die Arbeitsfähigkeit beibehalten“. Die SPD-Fraktion hat 28 Mitglieder. Nach WAZ-Informationen sprachen sich in geheimer Abstimmung nur vier gegen den Rauswurf aus, vier enthielten sich.

Özcelik: Partei wie die SPD darf Notlagen nicht ausnutzen

Lässt ihr Mitgliedschaft ruhen: SPD-Ratsfrau Nurten Özcelik (49).
Lässt ihr Mitgliedschaft ruhen: SPD-Ratsfrau Nurten Özcelik (49). © OH

Nurten Özcelik zeigt sich entsetzt vom Verhalten einiger Parteifreunde. Sie bestätigt, dass sie seit Monaten krank sei. Das aber dürfe man ihr nicht anlasten: „Wir sind doch Sozialdemokraten, wo ist da die Solidarität?“, sagt sie zur WAZ. Immer wieder seien viele Genossen, darunter auch eine ganze Reihe Funktionsträger bis hoch in den Bundestag, für längere Zeit ausgefallen – wegen eigener Krankheit oder der von nahen Familienangehörigen. Um die Funktionsfähigkeit zu gewährleisten, springe in der Regel ein Vertreter ein, so lange, bis sich die gesundheitlichen Probleme gegeben hätten. Sie fragt, warum das bei ihr nicht der Fall sei.

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„Eine Partei, die das Soziale im Namen trägt, darf Notlagen wie Krankheit, aber auch materielle Notlagen nicht ausnutzen, um ein langjähriges Mitglied in einem intransparente Verfahren ohne persönliche Anhörung abzuwählen oder in materielle Zwickmühlen zu führen“, sagt Özcelik. Und: „Wenn Kranke, finanziell schwache und ältere Menschen in unserer Gesellschaft aussortiert werden, dann stimmt etwas nicht.“ Denn es sei gerade die SPD, die für diese Menschen da sei. Die Respektkampagne des Oberbürgermeisters scheine wirklich nur ein Farce zu sein.

Fraktionschef Udo Sobieski und Parteichef Alexander Vogt hätten nie das Gespräch mit ihr gesucht. Aus dem Nichts heraus sei nun die Abwahl auf der Tagesordnung der Fraktionssitzung gelandet. Das sei nicht akzeptabel. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering habe „Gespräche mit mir vermieden“.

Brief an die Bundes- und den Landesvorsitzenden

In einem Brief an die beiden SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans und den SPD-Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann habe sie die Situation in der Herner SPD-Fraktion geschildert. Seit Jahren engagiere sie sich für die SPD und baue dabei auch Brücken zwischen den Kulturen. Das werde nicht von allen anerkannt, habe sie dem Trio geschrieben. Deshalb habe sie den Parteichefs erklärt, dass sie ihre Mitgliedschaft in der SPD ruhen lasse – „bis sich die Partei mit dem Thema ernsthaft auseinandergesetzt habe“. Esken, Walter-Borjans und Hartmann habe sie in ihrem Schreiben auch gebeten, Stellung zu beziehen.

Özcelik zeigt sich zuversichtlich, „dass es Genossen gibt, die meiner Meinung sind und das in geheimer Abstimmung auch in der Fraktionssitzung deutlich gemacht haben“.

>> WEITERE INFORMATIONEN:

Nurten Özcelik, 49, ist in Herne als Tochter von türkischen Zuwanderern geboren. Sie ist Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Besiktas.

Lange Jahre engagierte sich Özcelik auch im Herner Integrationsrat und war dort stellvertretende Vorsitzende. Bei den Kommunalwahlen 2020 kandidierte sie nicht mehr für das SPD-nahe „Migrantenbündnis Herne“ (MBH)

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