herne. Vor einem Jahr stimmte der Herner Rat für eine Städtepartnerschaft mit Besiktas. Im WAZ-Interview zieht Wegbereiterin Nurten Özcelik Bilanz.

  • SPD-Ratsfrau Nurten Özcelik zieht positive Bilanz nach einem Jahr der Städtepartnerschaft mit Besiktas
  • Bei Einführung der Todesstrafe in der Türkei müsse das Bündnis erst recht fortgesetzt werden, sagt sie
  • Ihr Appell: Es müsse in Herne mehr Begegnungen von Deutschen und Türkischstämmigen geben

Vor einem Jahr hat sich der Rat mit knapper Mehrheit für eine Städtepartnerschaft mit Besiktas ausgesprochen. Nurten Özcelik hat den Weg zur Freundschaft mit dem Istanbuler Stadtteil seinerzeit geebnet. Nun zieht die SPD-Ratsfrau, mittlerweile auch Vorsitzende des Freundschaftsvereins Besiktas, im WAZ-Interview eine erste Bilanz.

Kurz nach dem Ratsentscheid kam es zum Putschversuch in der Türkei, seither werden die Bürgerrechte immer weiter ausgehöhlt. Kritiker sagen: Mit einem solchen Land darf man keine Städte-Freundschaft eingehen.

Özcelik: Falsch! Gerade in kritischen Zeiten muss man Städtepartnerschaften schließen. So schafft man Begegnungen mit den Menschen einer anderen Kultur und kann versuchen, ihnen unsere demokratischen Grundwerte zu vermitteln. Und was die Türkei angeht: In Deutschland leben drei Millionen türkischstämmige Menschen, darunter auch viele in Herne. Da war es überfällig, eine Städtepartnerschaft mit einer türkischen Stadt einzugehen.

Nun gibt es einen Antrag der Unabhängigen Bürger für die nächste Ratssitzung, die Städte-Ehe mit Besiktas zu kündigen – mit Verweis auf Erdogan, der eine Diktatur aufbaue. Was sagen Sie den Unentschlossenen?

Ich habe allen anderen Ratsparteien angeboten, dass sie mich einladen können, damit ich mit ihnen über die Lage in der Türkei und über Besiktas spreche. Nur die Fraktion Piraten-AL hat das angenommen, und wir haben lange und kontrovers miteinander diskutiert. Das Gespräch war fruchtbar: Ich habe der Fraktion viele neue Einblicke geben können. Das hätte ich mir auch von den anderen Parteien gewünscht. Dann hätten sie ein differenzierteres Bild vom Land.

Was, wenn die Türkei die Todesstrafe einführt? Wäre das ein Grund, die Freundschaft zu beenden?

Ich möchte mir gar nicht ausmalen, dass das passiert. Für uns in Deutschland wäre das unvorstellbar, weil wir ganz andere Werte haben. Aber wenn es dazu käme, dann bräuchten wir die Freundschaft erst recht. Wenn wir sie jetzt beenden, würden wir doch die Opposition im Stich lassen.

Und die hat in Besiktas die Mehrheit und stellt mit Murat Hazinedar den Bürgermeister.

Eben! Die Menschen in Besiktas haben auch bei dem Referendum, als Erdogan über sein Präsidialsystem abstimmen ließ, mit 83 Prozent mit Nein gestimmt. Und man würde nicht nur Besiktas im Stich lassen. Denn: Die gesamte Türkei schaut auf Besiktas.

Partner: Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (l.) und der Bürgermeister von Besiktas, Murat Hazinedar.
Partner: Hernes Oberbürgermeister Frank Dudda (l.) und der Bürgermeister von Besiktas, Murat Hazinedar. © Stefan Kuhn

Wie hat sich die Städte-Freundschaft im ersten Jahr entwickelt?

Sehr gut. Wir haben eine Menge gemacht, inhaltlich viel gearbeitet und viele Kontakte geknüpft. So hat der Freundschaftsverein mehrere Reisen in die Türkei unternommen: So habe ich im Dezember in Besiktas an einer Veranstaltung zum Thema Frauenwahlrecht teilgenommen, im Februar an einem Wirtschaftsforum und im Mai an einem Industrie-Treffen, im Juni an einem Empfang von Bürgermeister Murat Hazinedar. Bei all den Treffen waren unterschiedliche Menschen dabei, etwa IHK-Chef Eric Weik, Wirtschaftsförderungschef Joachim Grollmann, Entsorgung-Herne-Chef Tschöke, der Leiter der Polizeiinspektion Herne Frank Nows oder Prof. Dr. Jürgen Bock von der Hochschule Bochum.

Wirft die Lage in der Türkei einen Schatten auf die Städtepartnerschaft?

Ja, in der Türkei herrscht eine gedrückte Stimmung. Und von deutscher Seite aus gibt es Hemmungen, nach Besiktas zu reisen, weil manchen die Lage vor Ort zu heikel ist.

Stimmt der Eindruck: Deutsche und Türkischstämmige leben zwar in einer Stadt, kennen sich aber eigentlich gar nicht?

Ja, da ist etwas dran. Selbst mein Sohn, Kind einer türkischstämmigen Frau, hat kaum Kontakt zu Türkischstämmigen. Wir alle müssen offener sein, in der Schule, im Verein. Und wir müssen mehr Begegnungen schaffen, Institutionen oder Vereine einladen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ich sehe mich das als Brücke zwischen Deutschen und Türkischstämmigen.

Auf Ihre Initiative hin hat sich die SPD-Fraktion vergangene Woche auch erstmals mit Vertretern türkischer Vereine getroffen.

Ja, so lernt man sich kennen, kann sich austauschen und Vertrauen schaffen. Zuletzt ist auch viel Vertrauen verloren gegangen, wegen der Ereignisse in der Türkei. Natürlich haben wir Demokraten da unsere Meinung zu, aber wir kritisieren die türkische Gemeinde oft pauschal, etwa nach dem Referendum, ohne uns die Argumente der Türken anzuhören. Das kam nicht gut an. Und was das Treffen angeht: Das wollen wir fortsetzen, denn auch viele Politiker kennen kaum Türkischstämmige. Die Politiker vertreten sie aber auch, deshalb müssen sie auch ihre Ansichten kennen.

Sie sind mit dem Bürgermeister von Besiktas, Murat Hazinedar, freundschaftlich verbunden. Wie geht es ihm? Nach seinem Herne-Besuch vor einem Jahr wurde er von den türkischen Behörden ja mit einem Ausreiseverbot belegt.

Das gilt noch immer. Man darf nicht vergessen: In der Türkei herrscht nach wie vor Ausnahmezustand. Deshalb ruht das Ganze weiterhin. Hazinedar ist aber nicht der einzige Betroffene: Alle Bürgermeister dürfen nicht ausreisen, egal welcher Partei sie angehören. Er hat aber betont, dass er ein Opfer von Denunzierungen ist und dass er als türkischer Staatsbürger einen Putsch nicht gutheißen kann.

Was sind die nächsten Etappen in der Städtefreundschaft?

Wir haben noch viel vor. Im Dezember unterstütze ich aktiv den deutsch-türkischen Wirtschaftsgipfel in Herne, ich bin die Initiatorin für die Kontakte in die Türkei. Vorher kommt im Juli noch die nächste offizielle Delegationsreise von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft nach Besiktas, die ich unterstütze. Und: Der Freundschaftsverein plant eine große Veranstaltung im Oktober in Herne, bei der Besiktas den Bürgern vorgestellt werden soll. Und nicht zuletzt: Der Freundschaftsverein plant eine Reise in die Partnerstadt Ende September/Anfang Oktober.

>> WEITERE INFORMATIONEN: Zur Person

Nurten Özcelik, 46, ist in Herne als Tochter von türkischen Zuwanderern geboren. Sie ist Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Besiktas.

Özcelik, angestellt bei der Sparkasse, ist SPD-Ratsfrau, stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrats und gehört dem SPD-Parteivorstand an.