Die Nachfolge in Familienunternehmen kann eine heikle Sache werden. Wie das Herner Unternehmen Reifen Stiebling den Übergang ordnet.

Die nächste Generation auf dem Chefsessel Platz nehmen lassen - das kann in Familienunternehmen eine heikle Angelegenheit sein. Nicht selten will die Elterngeneration keinen Platz machen, der Drang und die Ideen der Nachfolger werden ausgebremst. Diese Gefahr besteht bei Reifen Stiebling nicht, die Übergabe von der dritten an die vierte Generation ist eingeleitet.

Zum 1. Dezember sind Christian (62) und sein Sohn Alexander Stiebling (29) beide gleichberechtigte Geschäftsführer des über 90-jährigen Unternehmens . „Wir haben das bewusst gemacht, um Kunden und Lieferanten zu dokumentieren, dass es bei all den Problemen mit einem klaren Konzept nach vorne geht“, so Christian Stiebling . Sein erklärtes Zeil sei es, die Aufgaben, die er jetzt noch habe, innerhalb der nächsten fünf Jahre an seinen Sohn abzugeben.

Entscheidung am 60. Geburtstag verkündet

Die Frage des Loslassens sieht er „völlig entspannt“. Die größten Probleme loszulassen, hätten immer die Gründer. Diese Erfahrung habe sein Vater machen müssen, deshalb habe dieser mit großer Konsequenz abgegeben. „Das ist der Lauf der Dinge, das Leben währt nicht ewig“, so Stiebling. Und je früher man die Entscheidung treffe, desto einfacher sei sie. „Es gibt ganz viele Beispiele, wo es schief gegangen ist“, ergänzt Alexander Stiebling. Die Gründe: Viele Unternehmer meinten, weil es der Sohn oder die Tochter ist, sie zum Nachfolger machen zu müssen. Dann hätten sie aber Zweifel und kämen nie zu einer Entscheidung. Und je älter man werde, desto schwieriger tue man sich damit abzugeben. Die entscheidende Frage sei, so Christian Stiebling: Habe ich einen Nachfolger, dem ich das zutraue oder nicht? Seine Antwort: siehe oben. Die Entscheidung habe er an seinem 60. Geburtstag verkündet.

Die Unternehmenszentrale an der Jean-Vogel-Straße.
Die Unternehmenszentrale an der Jean-Vogel-Straße. © Hans Blossey

Aus Sicht von Alexander Stiebling ist ein wichtiger Aspekt, ob der Senior-Chef in der Lage ist Veränderungen zuzulassen und sie zu verstehen. Das herausragende Beispiel: die riesigen Umwälzungen, die die Digitalisierung mit sich bringen. In dieser Hinsicht haben Vater und Sohn auch ihre Auseinandersetzung gehabt: Sohn Alexander wollte das Start-up „Go James“ kaufen, Vater Christian war dagegen. Der Sohn setzte sich durch - und spätestens mit der Coronakrise hat sich der mobile Reifenservice zum Volltreffer entwickelt. „Die Entscheidung war mehr als richtig“, so Christian Stiebling. Und wenn sie falsch gewesen wäre? „Ich muss auch Fehler zulassen“, so der Senior-Chef. Er habe selbst genug Fehler gemacht.

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Dass Alexander einmal das Unternehmen führen würde, hat sich schon recht früh angedeutet, zumal sein Bruder Tobias (27) kein Interesse zeigte und Lehramt studiert. Alexander hat in Hannover zunächst Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt mittelständische Wirtschaft studiert, danach ging er zur Zeppelins-Universität in Friedrichshafen , die einen Studiengang ausschließlich für Nachfolger in Familienunternehmen anbietet. Außerdem war er im Laufe seines Studiums bei verschiedenen Unternehmen der Reifenbranche im Praktikum. Gerade die Zeppelins-Universität sei zu 100 Prozent Vorbereitung auf den Einstieg im Familienunternehmen gewesen.

Dass sein Sohn nun langsam die Geschäfte übernimmt, löse in ihm ein Gefühl der Erleichterung aus, so Christian Stiebling. Er wisse, dass sein Sohn die gleiche Philosophie bei der Unternehmensführung habe. Die Erleichterung gelte aber auch für das operative Geschäft. Nun könne er sich wieder um Dinge kümmern, die zu kurz gekommen seien. Dagegen spürt Sohn Alexander noch keine zusätzliche Last - was daran liege, dass gerade das Geschäft brumme und er noch eine Filiale leite. Vielleicht komme das später, wenn er Zeit zum Nachdenken habe.

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>> DAS UNTERNEHMEN IN ZAHLEN

■ Das 1929 gegründete Unternehmen hat rund 200 Mitarbeiter und 20 Auszubildende.

■ Es gibt zwölf Filialen im (erweiterten) Ruhrgebiet sowie 19 Montagewagen. Rund 250.000 Pkw-Reifen werden pro Jahr umgerüstet.

■ Zum Kern des Unternehmens gehört das Werk für die Runderneuerung von Lkw-Reifen. Durch die Runderneuerung wird der Rohstoffverbrauch in der Herstellung deutlich gesenkt.

■ Mit runderneuerten Reifen sind unter anderem Busse von zahlreichen ÖPNV-Unternehmen ausgerüstet.