Herne. Ein massiver Polizeieinsatz in Herne hat Wellen geschlagen. Was bisher ermittelt wurde und warum es in der Politik Streit über den Fall gibt.
Der Fall hat bundesweit Schlagzeilen gemacht: In einem Handyvideo ist zu sehen, wie Polizisten bei einem Einsatz an der Lindenstraße in Wanne Schlagstock und Pfefferspray gegen einen 49-Jährigen und dessen Schwester (66) einsetzen. Die auf Facebook geposteten Sequenzen lösen unterschiedliche Reaktionen aus: Einige sprechen von unbegründeter Polizeigewalt, andere halten das Vorgehen für angemessen. Der Fall ereignete sich am 29. Mai, also am Freitag vor dem Pfingstwochenende, die Ermittlungen dauern an. Eine aktuelle Bestandsaufnahme.
Der Ermittlungsstand
Es lägen zwei Strafanzeigen vor, sagt der Bochumer Oberstaatsanwalt Christian Kuhnert am Mittwoch auf Anfrage der WAZ. Eine Strafanzeige eines Unbeteiligten gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt sowie eine Strafanzeige des Polizeipräsidiums Bochum, die „von Amts wegen“ automatisch nach solchen Vorgängen erstattet werde. Von dem 49-Jährigen und dessen Schwester liege bisher keine Anzeige vor. Zurzeit werte die Essener Polizei die beiden Handyvideos aus. Das Innenministerium habe – wie in solchen Fällen üblich – eine andere Polizeibehörde mit den Ermittlungen beauftragt. Mit ersten Ergebnissen sei frühestens Ende nächster Woche zu rechen, so Kuhnert.
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Der Auslöser
Der 49-Jährige erklärte in der vergangenen Woche gegenüber „halloherne“, dass er an jenem Freitagabend selbst die Polizei gerufen habe. Der Grund: In der Wohnung seiner Schwester an der Lindenstraße habe es Probleme mit seinem dort lebenden Neffen gegeben. Er sei dann auf die Straße gelaufen, um den Streifenwagen zu empfangen, so der 49-Jährige
Die Videos
Die offenbar von einem Balkon aufgenommene Handyvideos dokumentieren den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstock durch die Polizei. Der 49-Jährige hatte zuvor nicht auf die Anweisungen von zwei Beamten reagiert, sich auf den Boden zu legen. Er kehrte den Polizisten jedoch den Rücken zu und hielt ihnen die Hände so hin, dass Handschellen hätten angelegt werden können. Daraufhin traten Polizisten ihm in die Kniekehlen, um ihn zu Boden zu bringen. Aktive Widerstandshandlungen des Mannes gegen die Polizei sind nicht zu erkennen - sieht man davon ab, dass er im Laufe des mehrminütigen Vorfalls mehrfach auf Beamte zugeht. Zu sehen ist auch, wie ein Polizist die Schwester, die laut schreiend offenbar ihrem Bruder beistehen will, zu Boden stößt, die 66-Jährige dort fixiert und „halt die Schnauze“ ruft.
Die Polizeidarstellung
Das (nicht auf Video dokumentierte) Geschehen vor der Eskalation schilderte die Essener Polizeisprecherin Sylvia Czapiewski nach ersten Ermittlungen in der vergangenen Woche so: „Nach unserem Erkenntnisstand trat der Beschuldigte beim Eintreffen des Streifenwagens sofort an das Fahrzeug und versuchte, die Beifahrertür zu öffnen. Die Polizeibeamten mussten zu diesem Zeitpunkt zunächst herausfinden, wie sich die Situation vor Ort darstellt und um welche Person es sich bei dem Beschuldigten handelt.“ Sofort nach dem Aussteigen hätten sie deshalb zunächst versucht, beruhigend auf den Mann einzuwirken, um zu deeskalieren.
Die Darstellung des Betroffenen
Der 49-Jährige sagte zu „halloherne“, dass er an jenem Abend auf die Straße gelaufen sei, um den Streifenwagen zu empfangen. Er habe aus der Entfernung gewunken und bei Ankunft des Autos seinen Namen genannt und erklärt, dass er die Polizei verständigt habe. Er habe jedoch nicht versucht, die Beifahrertür zu öffnen. Der Mann war für die WAZ bisher nicht zu erreichen.
Die Politik
Die Herner Linkspartei kritisiert in einer Pressemitteilung - auf Basis der Videos - das Vorgehen der Polizei und fordert eine Untersuchung. Die Aggressivität sei nicht von dem Mann ausgegangen, sondern von der Polizei, die hier Grenzen überschritten habe. Gleichzeitig distanziert sich Linke-Vorsitzender Patrick Gawliczek von zahlreichen Kommentaren auf Facebook, „die in unterschiedlicher Weise zur Gewalt gegen Polizisten aufrufen“.
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Die FDP reagiert mit Unverständnis auf die Stellungnahme der Linken und zweifelt am Rechtsstaatsverständnis des politischen Gegners. FDP-Vorstandsmitglied Klaus Füßmann spricht von einer „unübersichtlichen Situation“ bei dem Vorfall in Wanne. Die Linke habe sich ihre Meinung offenbar schon vor Überprüfung des Vorfalls gebildet und stelle die Beamten an den Pranger. Im Einsatz passierten auch Fehler, die von „unabhängigen Experten“ aufgeklärt würden. Polizistinnen und Polizisten leisten eine hervorragende Arbeit und verdienten Respekt, so der Liberale.