Herne. Die Stadt hat in der Corona-Krise noch keine verstärkten Konflikte in Familien festgestellt. Die Ruhe sei aber trügerisch, heißt es im Rathaus.

Die Stadt Herne hat auch über zwei Monate nach Beginn der Corona-Pandemie noch keine verstärkten Nachrichten von Konflikten und schweren Krisen in den Familien erhalten. Aber: „Wir sind nicht blauäugig, die Ruhe ist trügerisch“, sagt Elisabeth Popp-Heimken, stellvertretende Leiterin des städtischen Fachbereichs Kinder-Jugend-Familie, zur WAZ. Es könne durchaus sein, dass nun mit dem Ende des Lockdowns viele negativen Folgen von Corona bekannt werden. „Wir stellen uns darauf ein, dass wir nun von vielen Schicksalen erfahren könnten.“

Denn klar sei: Die Corona-Krise habe viele Familien mindestens bis an ihre Belastungsgrenzen gebracht. Kitas, Schulen, Spielplätze und Sportanlagen dicht, dazu Kontaktverbote, Elternteile in Kurzarbeit, das sei an vielen Familien, die tage-, ja wochenlang aufeinander hockten, nicht spurlos vorbeigegangen: „Dass da Nerven blank liegen, ist klar“, so Popp-Heimken. Allein: Bei der Stadt sowie den Trägern, die Jugendhilfe leisteten, seien bislang keine verstärkten Konflikte gemeldet worden. Im Gegenteil, die Zahlen der Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung seien seit Jahresbeginn sogar um bis zu 15 Prozent gesunken.

Stadt Herne: Soziale Kontrolle fehlte

Stadt erarbeitet „Worst-Case-Szenario“

Die Stadt Herne hat ein „Worst-Case-Szenario“ erarbeitet: Für den Fall eines einjährigen Lockdowns durch die Corona-Krise rechnet die Verwaltung mit Fallsteigerungen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung beziehungsweise Inobhutnahme um 30 Prozent.

Schon jetzt sei die Corona-Krise aber „eine bewegte Zeit für die Jugendhilfe“. So müssten Konzepte quasi im Stundentakt erarbeitet werden, neue kreative Wege in der Kontaktarbeit mit den Zielgruppen würden beschritten, Bedarfe müssten unter schwierigen Bedingungen abgewägt werden.

Das aber sei nicht verwunderlich, hätten doch etwa Erzieher in den Kitas oder Lehrer in den Schulen, aber auch Nachbarn wegen der Einschränkungen Kinder und Jugendliche lange nicht gesehen und deshalb keine Verdachtsfälle beim Jugendamt melden können: „Die soziale Kontrolle war nicht da.“ Nun, mit den Lockerungen, könnten sich etwa Kinder ihrem Umfeld anvertrauen und über negative Erfahrungen in den vergangenen Wochen berichten. „Da müssen wir genau hinschauen.“

Positiv: Trotz des Lockdowns hätten Stadt und Träger viele Hilfen und Angebote aufrecht halten können, sagt Elisabeth Popp-Heimken. Sie lobt in diesem Zusammenhang auch die Träger, die in der Corona-Krise „einen Großteil ihrer Leistungen erbracht haben“. So hätten wie bislang beispielsweise Kontrollbesuche in den Familien stattgefunden, aber auch Angebote für Kinder und Jugendliche habe es viele gegeben, viele virtuell: „Ich bin beeindruckt, welche unterschiedlichen Wege gefunden wurden.“

Lob für Stadt und Träger: Jörg Högemeier (SPD).
Lob für Stadt und Träger: Jörg Högemeier (SPD). © WAZ FotoPool | Jürgen Theobald

So hätten Jugendliche etwa Brötchentüten durch Fenster gereicht mit Zetteln darin, die auf Hilfen hinwiesen. Oder Jugendliche hätten im Online-Jugendzentrum Spielangebote gefunden, Treffen veranstaltet, ja Hausaufgabenhilfen gefunden. Auch die Stadt habe keineswegs ihre Angebote wegen Corona völlig aufgegeben. Beispiel: Die Erstbesuche bei Familien mit Neugeborenen gebe es auch weiterhin – wegen des Kontaktverbots nun aber aber halt im Hausflur.

Lob aus der Politik für Stadt und Träger

In der Politik gibt es viel Lob für Stadt und Träger. Beide hätten in der Pandemie bislang „enormes geleistet“, sagt Jörg Högemeier, jugendpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Trotz des hohen Risikos, sich anzustecken, hätten die Mitarbeiter eine „sehr, sehr hohe Bereitschaft“ gezeigt, Hilfen und Angebote fortzuführen, sagt er zur WAZ. Dabei seien auch viele neue Wege beschritten worden.

Ähnlich äußert sich Gabriele Sopart, jugendpolitische Sprecherin der Union. Stadt und Träger unternähmen jetzt viel, um an Kinder und Familien heranzukommen und um Hilfe zu leisten. Nicht immer aber, sagt sie, sei das auch von Erfolg gekrönt: Nicht alle öffneten ihre Türen. Ihre Hoffnung: „dass keine zweite Welle kommt und sich alles langsam wieder normalisiert“.