Herne. Als sich die Grenzen für Erntehelfer schlossen, schlug die Politik vor, Studenten oder Kurzarbeiter einzusetzen. Ein Feldversuch der WAZ.
Als sich vor einigen Wochen in Folge der Coronakrise die Grenzen schlossen, sendeten die Spargelbauern Alarmsignale: Wenn die Saisonarbeiter nicht einreisen dürften, sei die Ernte gefährdet, drohten Versorgungsengpässe und drohe der Ruin. Aus der Politik kamen als Reaktion Vorschläge, dass ja auch Studenten oder Menschen, die in Kurzarbeit sind, die Stangen stechen könnten. Ist das wirklich so? Die WAZ hat sprichwörtlich einen Feldversuch gemacht.
„Wenn die Erntehelfer nicht kommen, ist Essig“, hatte Max Große-Lahr im Gespräch mit der Herner WAZ-Redaktion gesagt, als noch nicht klar war, wie sich die Lage entwickeln würde. Dazu muss man wissen, dass Große-Lahr selbst keinen Spargel anbaut - nach Wissen der WAZ gibt es seit einigen Jahren keinen Spargelbauern mehr in Herne. Die Stangen, die er am Hof an der Sodinger Straße verkauft, kommen aus Datteln. Für Große-Lahr bilden der Spargel- und der Erdbeerverkauf den Hauptanteil seines Jahresumsatzes.
Bauer geht vor der Spargel- und Erdbeersaison mit einem sechsstelligen Betrag in Vorleistung
Für Birgit und Mathias Brauckmann-Berger - die Große-Lahr beliefern - sind Spargel und Erdbeeren die Existenz. Seit über 20 Jahren bauen sie beides an. Bevor die eigentliche Saison startet, gehe er mit einem deutlich sechsstelligen Betrag in Vorleistung, erzählt Mathias Brauckmann-Berger. Während der Spargel nicht neu gepflanzt werden muss, die Stauden bleiben bis zu zehn Jahre im Boden, habe er Erdbeerpflanzen für 80.000 Euro geordert. Den Auftrag stornieren, weil niemand da ist, um sie zu pflücken? Ausgeschlossen.
Neben seinen sechs festen Mitarbeitern hat Brauckmann-Berger jedes Jahr 20 Saisonarbeiter auf den Feldern. Sie kommen aus Polen, Ungarn und Rumänien, der Kern komme seit mehr als zehn Jahren. „Der Februar und der März waren sehr unruhig“, fasst er die Gemütslage zusammen. Das dürfte eine sehr zurückhaltende Umschreibung für Existenzangst sein. Brauckmann-Berger handelte vorausschauend und ließ seine Ernte-Helfer schon anreisen, bevor die Grenzen dicht gemacht wurden.
Wer „blind“ sticht, kann viel an der Pflanze kaputt machen
Genau wie Große-Lahr hatte Brauckmann-Berger Angebote von Studenten, Leuten in Kurzarbeit, Friseuren oder Kellern. „Bei denen war die Verzweiflung zu spüren“, so der Spargelbauer. Doch er vertraut auf seine eingespielten Helfer für die rund 16 Hektar Spargelfelder - wobei es sich eigentlich um echte Experten handelt.
Das wird mir im Laufe einer kleinen Schulung sehr klar. Es gibt beim Spargelstechen eine Reihe von Details zu beachten. Zuerst: Niemals von der Seite in den Damm stechen, in dem die Pflanzen stecken. Spargel ist eine Staudenpflanze, sie bildet bis zu zwölf Stangen aus. Sticht man „blind“ in die Erde, läuft man Gefahr, Stangen kaputt zu machen oder gar die ganze Staude. Also grabe ich Stange für Stange von oben mit der Hand frei. Dann nehme ich das charakteristische Stechmesser, führe es entlang der Stange nach unten, bis eine blaue Markierung auf Höhe des Spargelkopfes angelangt ist. Dann knicke ich das Messer etwa zwei Finger breit weg von der Stange und schneide sie unten ab.
Die Spargelernte ist komplett durchgeplant und auf Effizienz getrimmt
Danach muss ich das Loch wieder verfüllen und mit einem Putzerblech glätten. Das verhindert, dass die Stange zu viel Sauerstoff oder Licht bekommt. In diesem Fall würde sich der Kopf öffnen und die Stange sich violett verfärben - zwei Makel. Zwei weitere Dinge sind wichtig: Ich soll gerade vor der Stange stehen, die ich stechen will, so Brauckmann-Berger. Sonst bekäme man schnell Rückenprobleme. Doch selbst bei optimaler Position wird klar: Das ist eine körperlich sehr fordernde Arbeit, die auch bei 11 Grad und Nieselregen gemacht werden muss. Hilfe leisten einzig besondere Wagen, die die Folien anheben.
Auch die Erdbeer-Ernte braucht Profis
In diesen Tagen beginnt auch die Erdbeer-Ernte. Die Früchte sind zwar einfacher zu pflücken als Spargel zu stechen, dennoch gebe es auch hier einiges zu beachten. So würden Profis niemals die Frucht beim Pflücken anfassen.
Doch warum gibt es dann Felder für Selbstpflücker? Sie könnten einerseits als Marketinginstrument dienen, aber auch gerade Kinder an das Thema Landwirtschaft heranführen, so Brauckmann-Berger und Große-Lahr.
Die Spargelernte ist ein komplett durchgeplantes System, das auf Effizienz getrimmt ist. Brauckmann-Berger hat ein Prämiensystem entwickelt. Dazu gehört, dass jeder Mitarbeiter „seine“ Reihe hat, aber auch persönliche Messer. Die Farbmarkierung dient nicht nur zur Orientierung, wann es tief genug in der Erde steckt: Der Abnutzungsgrad der Farbe auf der Messerrückseite kann zeigen, ob ein Helfer zu schräg sticht. Ist die Farbe zu schnell weg, schult der Spargelbauer nach.
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Ob ich eine Nachschulung bräuchte? Wahrscheinlich. In rund 20 Minuten hole ich - unter Anleitung - 900 Gramm aus dem Boden, wobei einige Stangen wohl eher in die Kategorie „Bruch“ fallen würden, für die man einen nicht so hohen Preis erzielen kann. Brauckmann-Bergers Personal kommt teilweise auf 20 Kilo in der Stunde. Die unterste Grenze, um die Kosten zu decken, liege bei 15 Kilogramm. Das offenbart, vor welchen Herausforderungen komplett ungelernte Helfer stünden. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, räumt Mathias Brauckmann-Berger ein. Es wäre ein Experiment, Studenten oder Kurzarbeiter einzusetzen, „doch ich habe keine Zeit für Experimente“, sagt er.