Herne. Heute Corona, früher die Pest: Wie sind die Menschen mit Seuchen umgegangen? Die Schau des Herner Archäologiemuseums hat darauf einige Antworten.

Die chinesische Metropole Wuhan steht unter Quarantäne. Für über 1000 Patienten, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, wird ein Krankenhaus aus dem Boden gestampft. In Paris und Bordeaux sind die Atemschutzmasken ausverkauft. Als im LWL-Museum für Archäologie im September die Sonderausstellung „Pest!“ eröffnet wurde, ahnten ihre Macher nicht, wie aktuell die Schau nur drei Monate später werden sollte.

Verblüffende Parallelen im Umgang mit der Infektionskrankheit

Zwar sind Corona- und Pestvirus nicht vergleichbar in ihrer Gefährlichkeit, doch was der Mensch unternimmt angesichts einer sich rasch ausbreitenden Infektionskrankheit, weist doch verblüffende Parallelen auf, wie ein Rundgang mit zwei Experten zeigt: dem Archäologen und Kurator der Ausstellung, Stefan Leenen, und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Alexander Berner, von Haus aus Historiker.

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Eine mysteriöse Lungenkrankheit habe China schon 1910 heimgesucht, sagt Alexander Berner: die Lungenpest in der Mandschurei. Damals hätten sich Jäger bei Murmeltieren infiziert und das Virus in der Enge ihrer Hütten an andere weitergegeben. Übrigens ebenfalls während des chinesischen Neujahrsfestes, das als Zeit der Familienbesuche die Ausbreitung begünstige.

Der Grenzstein von Eyam: In die mit Essig gefüllten Löcher warfen die isolierten Dorfbewohner Geld für die Lebensmittel, die ihnen auf den Stein gelegt wurden. Hier eine Replik.
Der Grenzstein von Eyam: In die mit Essig gefüllten Löcher warfen die isolierten Dorfbewohner Geld für die Lebensmittel, die ihnen auf den Stein gelegt wurden. Hier eine Replik. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Von der Umgebung abgeriegelt

Abgeriegelte Städte gab es zu Pestzeiten auch in Europa. Berner und Leenen berichten vom englischen Dorf Eyam, wo ein Findling aus Sandstein an die Pest von 1665/66 erinnert. Auf den Grenzstein legten Einwohner der Nachbardörfer Lebensmittel und Medikamente ab, für die die Eingeschlossenen bezahlten: Sie warfen Münzen in die mit Essig gefüllten Löcher des Findlings, um sie so zu desinfizieren. Eine verkleinerte Kopie erinnert im Museum an diese freiwillig gewählte Quarantäne.

Andernorts wurde die Isolation erzwungen, so wie 1681 bis 1684 in Thüringen. Als in Niederzimmern die ersten Pestopfer vermeldet wurden, ließ die Stadt Erfurt das Dorf militärisch abriegeln. Eine Federzeichnung zeigt die rund um den Ort aufgestellten Wachposten. Wie in London bewaffnete Landbewohner flüchtende Städter zurückdrängen, macht auch ein Buchcover des Dramatikers Thomas Dekker von 1625 deutlich.

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Es sei umstritten, was wirksamer sei, sagt Stefan Leenen auch mit Blick auf die aktuelle Krise in China, drastischen Maßnahmen oder Strategien, die auf Freiwilligkeit setzten. Jeder Zwang rege dazu an, ihn zu unterlaufen, so Leenen, und Berner weist auf die psychologische Wirkung strikter Maßnahmen hin: Massive Angst lasse die Menschen nach Fluchtwegen suchen.

Ein Museumsmitarbeiter bringt das „Trinkstubenschild“ aus dem 16. Jahrhundert an.
Ein Museumsmitarbeiter bringt das „Trinkstubenschild“ aus dem 16. Jahrhundert an. © LWL | Berner

Dass „Beziehungen“ und Geld auf der Flucht vor der Pest dienlich sind, habe sich auch schon in früheren Zeiten gezeigt, erwähnen die Experten. Als 1562 in Nürnberg die Pest ausbrach, baten einige Patrizierfamilien in Nördlingen um Aufnahme. Man brachte sie unter und bewirtete sie in einer Gaststätte. Später bedankten sich die Nürnberger dafür mit einem „Trinkstubenschild“ aus Holz mit ihren Wappen.

Schnabelmaske als Klischee

Geradezu zu einer Ikone der Pest geworden ist die Schnabelmaske – zu Unrecht, sagen die Wissenschaftler, denn der Doktor mit dem mit Kräutern gefüllten markanten Mundschutz sei zumindest, was das Mittelalter angehe, ein Mythos. Mit einer Wandinstallation aus 300 Pestmasken, gebastelt von Freunden des Museums, wolle man das „Klischee dekonstruieren“, sagt Berner. Fakt sei, dass die Schnabelmaske auf Abbildungen aus dem italienischen Raum aus dem 17. und 18. Jahrhundert auftauche, sich aber wohl als unpraktisch erwiesen habe. Wie die Schutzkleidung der Ärzte im frühen 18. Jahrhundert in Deutschland aussah, zeigt etwa der „Quarantänechirurg“ aus Elfenbein, der mit seiner Ganzkörperumhüllung an den Ku-Klux-Klan erinnert.

Die Geschichte der Pest, so wie sie das Museum erzählt, endet im 21. Jahrhundert - unter anderem mit den Schutzanzügen von heute. Die Essener Feuerwehr hat Teile ihres Equipments zum Transport von Patienten mit hochinfektiösen Krankheiten zur Verfügungen gestellt. Bis zum Ende der Sonderausstellung im Mai - es sei denn, die Geräte werden vorher für den Ernstfall benötigt.