Herne. SPD-Regierungsmitglied Michelle Müntefering hat mit Herner Jusos über die Zukunft der SPD und der Groko diskutiert. So verlief die Diskussion.
Ein SPD-Regierungsmitglied zu Gast bei den Jungsozialisten - das versprach drei Tage nach Abschluss des Mitgliedervotums und zwei Tage vor dem für die Große Koalition entscheidenden SPD-Bundesparteitag jede Menge Zündstoff. Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin Michelle Müntefering stellte sich am Dienstagabend im Parteibüro auf Einladung der Herner Jusos der Diskussion. Die verlief allerdings etwas anders als erwartet.
Bei Pizza, Cola und Apfelschorle gab es von Herner Genossen zwar auch Kritik an der Regierungspolitik, doch eine klare Forderung nach einer sofortigen Beendigung der Koalition mit CDU/CSU wurde eigentlich erst am Ende der Veranstaltung laut. Die unter Termindruck stehende Michelle Müntefering war zu diesem Zeitpunkt schon wieder auf dem Weg nach Berlin.
Verständnis für den Frust der Basis
In der knapp 70-minütigen Diskussion hatte die 39-Jährige zuvor vor einem Rückzug aus der Groko gewarnt. Sie verwies auf die Erfolge der Regierung und insbesondere der SPD. Es stünden noch wichtige Aufgaben an, die ohne die SPD nicht angegangen würden. Sie könne den Frust gut nachvollziehen und erlebe das Spannungsfeld zwischen Außen (Basis) und Innen (Bundestagsfraktion) auch persönlich sehr intensiv. Aber: „Es dankt einem niemand, wenn wir die Groko jetzt beenden.“
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Auch in Herne hätten viele Menschen einen Anspruch an die SPD, den andere Parteien nicht erfüllen würden. Die Partei müsse nun eine Aufbruchsstimmung schaffen und deutlich machen, dass sie noch viel vor habe in Berlin: „Dieser Drops ist noch nicht gelutscht.“ Sei das Handeln der SPD-Politiker und Minister in Berlin nicht zuletzt von der Angst getrieben, den eigenen Posten zu verlieren? Diese Frage eines Jusos verneinte Müntefering: „Dafür ist die Situation der SPD zu ernst.“
Ausweichende Antworten
Zurückhaltend und zum Teil auch ausweichend äußerte sie sich zur designierten neuen SPD-Doppelspitze Esken/Walter-Borjans. Mit dem Mitgliedervotum habe die Partei - frei nach Willy Brandt - mehr Demokratie gewagt, sagte Müntefering. Leider hätten sich viele Genossen nicht daran beteiligt. Nun gehe es darum, dass die SPD sich „hinter diesem Ergebnis versammelt“.
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Unterstützung erhielt sie in diesem Punkt von Carsten Bielefeld. Das siegreiche Duo habe praktisch nur jede vierte Stimme aus der Mitgliedschaft bekommen, so die Rechnung des am Wochenende zum NRW-Chef der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Selbstständige (AGS) gewählten Herners. Er erwarte von Esken und Walter-Borjans nun ein „Entgegenkommen“ und „Fingerspitzengefühl“: „Wenn wir jetzt die Groko verlassen, werden wir die nächsten 12 bis 16 Jahre nicht mehr in Regierungsverantwortung kommen“, so Bielefeld. Und auch das beklagte er: Die SPD entferne sich immer stärker von der Wirtschaft.
Ein Ruf nach Rot-Rot-Grün
Juso-Chef Benny Grabowski forderte die SPD dazu auf, sich „ehrlich zu machen“. Die von vielen Genossen kritisierte „schwarze Null“ werde auf der Straße von 70 bis 80 Prozent der Menschen geteilt. Und: Die Partei setze zu sehr auf Verteilungspolitik, müsse jedoch die Zukunftsthemen und junge Menschen stärker in den Blick nehmen. Raus aus der Groko? Eher nicht, so Grabowski. Dafür gebe es zurzeit keinen nach außen vermittelbaren „triftigen Grund“.
SPD-Ratsherr Walter Hanstein und Juso Tobias Roth beklagten die schlechte Finanzsituation in Herne und in anderen Städten. Müntefering verwies darauf, dass die Groko die Kommunen dank des Einsatzes der SPD viel stärker entlastet habe als frühere Regierungen. Beim Thema Altschulden sei noch viel zu tun: „Das schaffen wir aber nicht, wenn wir jetzt rausgehen aus der Koalition.“
Kritik an Franz Müntefering
Kritisch bewertet wurde von Jusos das öffentliche Auftreten von früheren SPD-Granden wie Alt-Kanzler Gerhard Schröder, dem Ex-SPD-Landesvorsitzenden Mike Groschek und auch dem ehemaligen Parteichef Franz Müntefering.
„Das sind Leute, die ihr politisches Potenzial verbraucht haben. Sie sollten es jetzt auch mal gut sein lassen“, sagte Juso Tobias Roth. Mit ihren öffentlichen Äußerungen schadeten sie der Partei.
Juso-Chef Benny Grabowski beklagte zudem, dass Erfolge wie bei der Grundrente von SPD-Vertretern sofort klein geredet würden.
Genau diesen Bruch forderte zum Ende der Diskussion der Bochumer Genosse Sven Matterne ein, der wie Carsten Bielefeld dem neuen AGS-Landesvorstand angehört. Trotz der Regierungsbeteiligung der SPD sei Alters-, Kinder- und Bildungsarmut in Deutschland größer geworden, sagte er. Das werde fatale Folgen haben - auch für die Wirtschaft und die Fachkräftesituation. Mit Rot-Rot-Grün könnten soziale Ziele erreicht werden, die mit der Union niemals umzusetzen wären. „Wenn wir so weitermachen, wird uns das den Kopf kosten. Jetzt ist es an der Zeit, den roten Cut zu setzen.“