Am kommenden Freitag ist der offzielle Festakt zum Abschied von der Steinkohle. Bei Bärbel Bergerhoff-Wodopia schwingt viel Wehmut mit.

Frau Bergerhoff-Wodopia, in wenigen Tagen findet der offizielle Festakt zum Abschied vom Steinkohlebergbau in Deutschland statt. Mit welchen Gefühlen blicken Sie diesem Tag entgegen?

Bergerhoff-Wodopia: Es wird ein schwieriger Tag für uns alle, verbunden mit viel Wehmut. Das letzte Fördergefäß wurde auf dem Bergwerk Ibbenbüren am 4. Dezember gezogen. Das war schon sehr emotional. In Bottrop wird es nicht weniger emotional, eher im Gegenteil – denn dann verabschieden wir mit Prosper-Haniel nicht nur das letzte Bergwerk, sondern beenden den gesamten deutschen Steinkohlenbergbau.

Es gab ja schon diverse andere Veranstaltungen. Die Förderung ist bereits eingestellt, die Rückbauarbeiten haben begonnen, im Landtag fand ein Festakt statt. Wieso ist der Festakt in Bottrop so besonders?

Wenn dem Bundespräsidenten am Schacht das letzte Stück Kohle überreicht wird, dann ist das ein ganz besonderer Moment. Damit ist der Steinkohlenbergbau in Deutschland endgültig beendet. Im Landtag habe ich eine andere Atmosphäre erlebt. Da waren es ja auch noch einige Wochen bis zur endgültigen Schließung. Am 21. Dezember ist dann aber wirklich Schluss. Ich bin sicher, am Schacht werden einige Tränen fließen.

Mit einer Festveranstaltung im Landtag NRW haben sich im September die Bundesländer Nordrhein Westfalen und das Saarland vom Steinkohlebergbau verabschiedet. Im Bild der Ruhrkohle Chor.
Mit einer Festveranstaltung im Landtag NRW haben sich im September die Bundesländer Nordrhein Westfalen und das Saarland vom Steinkohlebergbau verabschiedet. Im Bild der Ruhrkohle Chor. © Kai Kitschenberg

Der Abschied läuft schon seit Jahresbeginn. Kann man auch zu viel machen?

Ja, keine Frage. Aber wir haben versucht, es abwechslungsreich zu gestalten und viele Menschen zu beteiligen. Das ist uns auch gelungen, etwa mit den Danke-Kumpel-Veranstaltungen Anfang November an fünf Standorten oder unserem Schülerwettbewerb unter dem Titel „Förderturm der Ideen“. Hier haben wir die Jugend einbezogen. Auch Ausstellungen, Publikationen und Filmdokumentationen haben das Programm abgerundet. Ganz besonders gut ist das Panini-Sammelalbum „Schwarzes Gold“ angekommen.

Haben Sie selbst gesammelt?

Ich habe ein Album zu Hause, habe aber noch nicht alle Sticker. Ich hoffe aber, ich bekomme es noch voll.

Besteht die Gefahr der Verklärung des Bergbaus?

Der Bergbau hat viel geleistet. Das steht außer Frage. Und das darf man in diesem besonderen Jahr auch hervorheben, finde ich. Natürlich sollte man dabei nicht vergessen, dass der Bergbau auch Lasten zurücklässt, um die sich RAG-Stiftung und RAG zuverlässig kümmern werden. Ab dem kommenden Jahr, wenn der Bergbau geschlossen ist, muss der Blick dann grundsätzlich wieder mehr nach vorne gehen. Eine zentrale Anlaufstelle zum Steinkohlenbergbau wird nach dessen Ende das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum bleiben. Hier werden Erinnerungen bewahrt, aber auch neue Erkenntnisse für die Nachbergbauzeit gewonnen. Das DBM ist ja auch eine Leibniz-Forschungseinrichtung für Georessourcen.

„Wir wollen Jugendlichen Hilfestellung geben“

Schauen wir mal in die Zukunft: Sie sind auch Bildungsbeauftragte des Initiativkreises Ruhr, die RAG-Stiftung selbst investiert erheblich in den Nachwuchs. Wie sieht Ihre bisherige Bilanz aus?

Ich bin 2012 in den Vorstand der RAG-Stiftung berufen worden: Als ich startete, hatten wir ein Jahresbudget von 1,5 Millionen Euro, das lief unter „Unvorhergesehenes“. Wir haben dieses Budget für Bildung, Wissenschaft und Kultur Jahr für Jahr erheblich erhöht. 2018 standen uns 16,5 Millionen Euro zur Verfügung. Unser Schwerpunkt war und ist die Bildungsförderung.

Warum legt die Stiftung diesen starken Akzent auf Bildung?

Weil der Bergbau hier im Ruhrgebiet Hervorragendes geleistet hat. Die RAG hat über 100.000 jungen Menschen eine Ausbildung ermöglicht und dafür gesorgt, dass sie gute Facharbeiter wurden, im Revier geblieben sind, gute Arbeit verrichteten und Wurzeln geschlagen haben. Den Wegfall der Ausbildungsmöglichkeiten im Bergbau kann die RAG-Stiftung alleine nicht kompensieren. Aber den Jugendlichen, die vielleicht mal eine zweite, dritte Chance brauchen, weil ihr bisheriges Leben nicht ganz so geradlinig verlaufen ist, denen möchten wir Hilfestellung geben. Das ist uns wichtig und deshalb haben wir auf diesem Gebiet schon viel auf den Weg gebracht. Wir haben viele Jugendliche ausbildungsfähig gemacht, sie gestärkt in ihren Fähigkeiten, ihnen zu einer Ausbildung verholfen und somit Bildungsaufstiege ermöglicht. Über unser Engagement bei den Ruhrtalenten des Initiativkreises Ruhr sind wir als RAG-Stiftung beispielsweise der größte Förderer von Schülerstipendien im Ruhrgebiet.

Verfolgen Sie die Arbeit des Talent-Kollegs in Herne?

Ja. Und ich bin in dieser Hinsicht in sehr enger Abstimmung mit Oberbürgermeister Frank Dudda. Wir beziehen die Stadt bei unseren Projekten sehr stark mit ein und sind bei vielen Herner und Wanne-Eickeler Schulen mit unserem Programm vertreten. Das läuft sehr gut. Mein Ziel ist es, von der frühkindlichen Förderung über Schule bis zur Ausbildung oder Studium junge Menschen zu unterstützen.

Bärbel Bergerhoff-Wodopia (2.v.r.) informierte sich im Sommer 2016 mit Petra Reinhold-Knape, Norbert Römer, OB Frank Dudda und Hermann Oecking (v.l.) über das Projekt für Flüchtlinge, das an der Hiberniaschule durchgeführt wurde.
Bärbel Bergerhoff-Wodopia (2.v.r.) informierte sich im Sommer 2016 mit Petra Reinhold-Knape, Norbert Römer, OB Frank Dudda und Hermann Oecking (v.l.) über das Projekt für Flüchtlinge, das an der Hiberniaschule durchgeführt wurde. © Ralph Bodemer

Die RAG-Stiftung hat ja auch Projekte für Flüchtlinge mitfinanziert...

Wir haben gerade vom Kuratorium der Stiftung die Bewilligung bekommen, dass wir weitermachen können. Bei diesem Programm ist Herne dabei. Das Projekt in der Hiberniaschule hat mir sehr gut gefallen. Es ist sehr erfolgreich verlaufen. Für uns war es wichtig, dass an diesem Projekt auch junge Frauen teilnehmen. Darauf haben wir hingewirkt.

Haben Sie die Wege der Teilnehmer weiterverfolgt?

Mir ist bei all unseren Projekten wichtig, dass hier nicht kurzfristig gedacht wird, sondern Teilnehmer auch dann, wenn sie beispielsweise einen Ausbildungsplatz gefunden haben, weiter betreut werden. Es geht darum, Ansprechpartner zu bleiben, damit die jungen Menschen einen Anker haben. Der Bedarf für die Förderung ist da. Wir müssen insbesondere diejenigen, die am Rande unserer Gesellschaft stehen, finden und mit unseren Programmen ihr Interesse wecken. Wer zum Beispiel eine Ausbildung in der Tasche hat, dem bleibt die Hartz-IV-Karriere in der Regel erspart.

Beim Thema Berufsorientierung fördert die RAG-Stiftung auch das Programm Matching 2020, bei dem Jugendliche früh an den Standorten von Evonik Einblicke in verschiedene Berufsfelder erhalten. Das ist wichtig für junge Menschen, um früh zu erkennen, welcher Beruf zu ihnen passen kann.

Auch Herne tut viel in diese Richtung und hat ein sehr gutes Bildungsnetzwerk aufgebaut, auch mit Hilfe der Stiftung. Da haben wir eine Menge bewegt. Wovon ich ebenfalls sehr überzeugt bin, sind die Teach First Projekte, die wir 2009 erstmals unterstützt haben. Ich habe einmal einen Fellow an einer Schule in einem sogenannten herausfordernden Umfeld besucht. Ein Fellow ist da natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die junge Frau hat eine tolle Arbeit geleistet, da sie einen anderen Zugang zu den Kindern hat. Die Kinder kommen von sich aus und nehmen gerne Rat und Unterstützung an. So wird Schule dann auf einmal wieder interessant. Dieses Programm auszubauen, ist eines unserer erklärten Ziele.

Wie ist denn Matching 2020 angelaufen?

Sehr gut. Junge Leute, die später einen Ausbildungsberuf ergreifen wollen, müssen in Berufe reinschnuppern können, denn Sie wissen oft nicht, was sich beispielsweise hinter dem Beruf des Chemielaboranten genau verbirgt. Wenn die jungen Leute ein Praktikum absolvieren, wissen sie danach, das ist etwas für mich oder es ist nichts für mich. Damit sind sie einen großen Schritt weiter.

„Herne hat sich ein ganzes Stück weiterentwickelt“

Werfen wir mal einen Blick auf die Stadt Herne selbst. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Herne hat sich in den vergangenen Jahren ein ganzes Stück weiterentwickelt. Was der Oberbürgermeister auf den Weg bringt, findet meine große Zustimmung. Er ist sehr aktiv und mit vielen Akteuren im Gespräch. Es bewegt sich viel. Ich wünsche mir natürlich, dass die Innenstadt in Herne nach vorne kommt, gerade der Teil Richtung Bahnhof hat eine Aufwertung nötig.

OB Frank Dudda, Dirk Ostermann (RAG), Bärbel Bergerhoff-Wodopia und Peter Schrimpf (RAG, v.l.) bei der Grundsteinlegung für die „Leitwarte der Zukunft“ auf Pluto.
OB Frank Dudda, Dirk Ostermann (RAG), Bärbel Bergerhoff-Wodopia und Peter Schrimpf (RAG, v.l.) bei der Grundsteinlegung für die „Leitwarte der Zukunft“ auf Pluto. © Rainer Raffalski

Verfolgen Sie auch die Entwicklung des Shamrockparks?

Dort habe ich ja viele Jahre gearbeitet, deshalb verfolge ich das noch sehr genau und bin sehr interessiert, was dort passiert. Ich kann mich noch gut an die Mulvany-Villa erinnern. Ich wünsche mir, dass das Gelände eine gute Entwicklung nimmt.

Ein anderer Ort in Herne wird Sie auch interessieren: Pluto. Der einzige RAG-Standort, der neben der Zentrale in Essen noch aktiv sein wird.

Pluto war für mich für viele Jahre eine Heimat. Jetzt bauen wir dort die neue Leitwarte für die Grubenwasserhaltung. Ende 2019 soll sie

in Betrieb gehen. Das, was wir da auf die Beine stellen, ist hochmodern und zukunftsfähig.

Sind Sie froh als Bürgerin der Stadt Herne, dass es gerade der Standort Pluto ist, der erhalten bleibt?

Ein Stück weit ja, weil ich daran gute Erinnerungen habe. Aber ich habe in meinem Bergbauleben viele verschiedene Stationen gehabt. Am Ende ist es wichtig, dass nach dem Ende des Bergbaus alle entwicklungsfähigen Standorte neue Perspektiven bekommen.

>> ZUR PERSON

Bärbel Bergerhoff-Wodopia (geb. 1954) begann ihre berufliche Karriere 1970 mit einer kaufmännischen Ausbildung bei der RAG AG mit anschließender Anstellung als Kauffrau im Sozialwesen. Während ihrer Laufbahn hat sie eine Reihe von Funktionen im RAG-Konzern bekleidet, unter anderem war sie Betriebsratsvorsitzende der Hauptverwaltung Herne. Zum Vorstand der RAG-Stiftung wurde sie zum 1. Dezember 2012 bestellt. Bärbel Bergerhoff-Wodopia lebt seit rund 30 Jahren in Herne.

Zu den Aufgaben der RAG-Stiftung gehören u.a.: die Gewährleistung eines sozialverträglichen Endes des Steinkohlenbergbaus, die Finanzierung der Ewigkeitsaufgaben sowie die Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kultur.