Herne. Auf Crange bieten die Schausteller eine glitzernde Kulisse. Doch dahinter gibt es auch Probleme, sagt Schaustellerpräsident Albert Ritter.
Das Wetter war in diesem Jahr das große Thema unter den Schaustellern auf der Cranger Kirmes. Doch abgesehen davon kämpfen Schausteller noch mit anderen Problemen. Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, erläutert im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann, was die Branche umtreibt.
Erst ist es zu warm, dann gab es für Donnerstag eine Unwetterwarnung. Das Wetter spielt in diesem Jahr nicht wirklich mit auf Crange, oder?
Ritter: Ja, die Hitze ist kein Wetter für die Schausteller. Die Leute kommen gar nicht erst auf den Platz. Da ist es wichtig, dass wir jetzt nach dem Landesemissionsschutzgesetz auch mal länger als 22 Uhr machen dürfen und die Menschen dann nach Sonnenuntergang kommen können. Aber für die Kindergeschäfte ist so ein heißer Tag wie am Dienstag dann weg.
Wird denn die Kirmes trotzdem ihrem Ruf als „Mutter Crange“ gerecht?
Selbstverständlich. Auf einer kleineren Veranstaltung, etwa einer Stadtteilkirmes, wäre bei so einer Hitze gar nichts.
Ist denn eine mittelmäßige oder sogar schlechte Cranger Kirmes immer noch besser als eine gute Stadtteilkirmes?
Ja klar. Crange wird von allen Beteiligten dieser Stadt begleitet und beworben, das ist eine Großveranstaltung. Die Hälfte von vier Millionen Besuchern wären immer noch zwei Millionen Besucher, bei einer kleineren Kirmes bleibt dann am Ende fast gar nichts mehr, wenn es schlecht läuft.
Das Wetter mag in diesem Jahr nicht ideal sein, doch Schausteller haben offenbar noch mit anderen Problemen zu kämpfen. Die Zahl der Betriebe und der Veranstaltungen sinkt, und auch die Schausteller klagen inzwischen über einen Mangel an Arbeitskräften...
...Personal ist in der Tat ein sehr großes Problem. Wir hatten ja immer schon Mitarbeiter aus Polen und Rumänien. Beide Länder sind inzwischen in der EU, die Menschen haben die Freizügigkeit, aber in beiden Ländern funktioniert die Wirtschaft. Gerade in Polen. Dort gibt es inzwischen Tausende ukrainische Gastarbeiter, also kommen Polen nicht mehr nach Deutschland, um zum Beispiel bei den Schaustellern Geld zu verdienen. Wir haben in Deutschland zu wenig Menschen, die diesen anspruchsvollen Job machen wollen.
Ähnlich wie beim Spargelstechen...
...genau. Wir sind ein Saisonbetrieb, aber wir suchen auch zur Hälfte für das ganze Jahr Mitarbeiter. Unter anderem deshalb, weil die meisten Schausteller inzwischen Weihnachtsmärkte machen. Aber wenn man Kräfte aus Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine möchte, braucht man Sondervereinbarungen.
So etwas ist in Mazedonien vorbereitet, aber die deutsche Botschaft in Skopje benötigt elf Monate, um ein Arbeitsvisum zu erstellen. So kann man keine Arbeitskräfte bekommen. Wir sind bereit, ordentlichen Lohn zu bezahlen. Die meisten Kollegen zahlen ja schon über dem gesetzlichen Mindestlohn, um überhaupt Mitarbeiter zu bekommen.
Lohn ist ein weiteres Stichwort. Die Schaustellerbranche gehörte immer zu jenen, die besonders anfällig für Schwarzarbeit sind. Können Sie das nachvollziehen?
Nein. Wir sind immer noch in dem sogenannten Schwarzarbeiterkatalog, und da wollen wir raus. Da sind wir in bester Gesellschaft mit der Gastronomie, dem Bau- oder Taxigewerbe. Wir wehren uns aber gegen einen Generalverdacht. In anderen Betrieben wird der Mindestlohn in der Buchführung überprüft, da kommt nicht der Zoll in Uniform auf den Kirmesplatz und kontrolliert noch mal vor Ort.
Das ist nicht in Ordnung, das setzt eine Jahrhunderte alte Diskriminierung des Schaustellergewerbes fort. Da wird ein bisschen Ping Pong zwischen Arbeits- und Wirtschaftsministerium mit uns gespielt, aber es bewegt sich nichts. Wir haben nichts gegen Überwachung, aber dann wie in anderen Gewerken auch.
Kommen wir zur schrumpfenden Zahl der Volksfeste. Was sind die Gründe für diese Entwicklung?
Bei der Schrumpfung stellen wir eine gewisse Stagnation fest. Das liegt auch daran, dass wir als Bundesverband den Organisatoren gesagt haben, dass die Kirmes vor Ort auch gepflegt werden muss - etwa dadurch, dass der Bürgermeister zum Auftakt kommt. Auch die kleinen Volksfeste haben ja teilweise eine Jahrhunderte alte Tradition. Man darf nicht nur auf die Leuchttürme setzen, eine kleine Kirmes ist auch ein Leuchtturm für den jeweiligen Stadtteil.
Aber warum sind denn über Jahre reihenweise Volksfeste eingegangen?
Weil in den Stadtteilen viele Einzelveranstaltungen waren, Schützenfest, Kirmes, verkaufsoffener Sonntag. Wir werben dafür, dass man solche Veranstaltungen zusammenlegt. Das würde unter anderem auch helfen, verkaufsoffene Sonntage durchzuführen. Hinzu kommt: Die Leute heute sind mobiler und fahren lieber 200 Kilometer in ein Outletcenter und machen daraus ein Event, statt in die Boutique vor Ort zu gehen.
Oder sie sagen, wenn es um Kirmes geht: Ich bin Achterbahnfan, aber auf der Stadtteilkirmes gibt es keine Achterbahn, deshalb fahre ich woanders hin. Da sind die großen Volksfeste, eben auch Crange, große Magneten. Da die Stadtteilkirmes diese Magnetwirkung aber nicht hat, wollen wir sie aufrecht erhalten, indem wie Synergien schaffen und alle Beteiligten zusammenholen. Man kann nicht mehr alleine vor sich hin wursteln.
Neben diesen Problemen hegen die Schausteller seit einigen Jahren einen besonderen Wunsch: Sie wollen Volksfeste als immaterielles Kulturgut bei der UNESCO anerkennen lassen...
...genau. Die Franzosen stehen kurz davor, die Belgier haben es schon gemacht. Auch Finnland hat es schon gemacht, obwohl sie gar nicht diese große Kirmeskultur haben wie wir in Deutschland.
Wieso sollte denn Kirmes als immaterielles Kulturgut anerkannt werden?
Es ist eine inzwischen über 1200-jährige Tradition, und, wie die Unesco in Paris es fordert, eine lebendige Weitergabe von Generation zu Generation, ohne dass der Staat sich einmischt.
Was heißt das?
Wenn hier die Stadt einmal sagen würde, wir machen keine Cranger Kirmes mehr, wären hier zahlreiche Gewerke und Beteiligte, die die Cranger Kirmes selber weiterführen würden. Kirmes ist eine Sache, die in den Menschen drin ist. Die meisten lernen eine Kirmes schon als Kinder mit ihren Eltern kennen. Das ist ein Stück immaterielles Kulturgut, mit dem immer auch andere regionale Traditionen verbunden sind . Kirmes ist ja nicht nur das Aufstellen von Karussells.
Haben Sie ein paar Beispiele für Traditionen?
Mal ist es Fischerstechen, mal ist es ein Erntedankfest nach einer Hungersnot wie in Cannstatt. Haupttradition ist die kirchliche: Pfingstkirmes, Allerheiligenkirmes. Auch Crange geht auf die Laurentiuskirmes zurück. Diese Tradition wird seit Hunderten Jahren weitergegeben ohne einen Cent Subvention. Außerdem ist Kirmes ein Ort, an dem schnell Integration geschieht.
Wer entscheidet, ob Kirmes ein immaterielles Kulturgut wird?
Zunächst entscheiden die nationalen Kommissionen, da sind wir gescheitert. Jetzt versuchen wir, einzelne Feste anerkennen zu lassen.