Seit wenigen Wochen ist Holger Stoye Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung. Im Samstagsinterview spricht er über die Chancen Hernes.

Am 1. März hat Holger Stoye seine Position als Geschäftsführer der Herner Wirtschaftsförderungsgesellschaft angetreten. Im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann spricht der gebürtige Herner über seine Rückkehr, die Zukunft des Einzelhandels in Wanne und Herne sowie die neuen internationalen Beziehungen Hernes.

Wie fühlt es sich an, zurück in der Heimatstadt zu sein?

Stoye: Heimat ist toll. Ich habe durch Wolfsburg den Unterschied zwischen Zuhause und Heimat gelernt, und das versteht man vielleicht erst, wenn man weggegangen ist. Also nicht in die Nachbarstadt, sondern zum Beispiel in ein anderes Bundesland, wo man eine andere Mentalität bei den Menschen kennenlernt. Und in der Heimat hat man ein Wissen über die eigene Stadt, das man sich woanders hart erarbeiten muss. Und mit dem Team hier kann ich die acht Jahre, die ich nicht in Herne war, mit Sicherheit aufarbeiten.

Heiß das, dass Sie sich schon einige Themenfelder vor Ort angeschaut haben?

Meine drei Prioritäten sind 14 Punkte (lacht). Deshalb habe ich mir schon ganz viel angeschaut. Am vergangenen Samstag war ich zum Beispiel einen halben Tag in der Wanner Innenstadt. Man muss vor Ort sein und ein Gefühl für die Sache bekommen. In den acht Jahren, in denen ich nicht in Herne war, hat sich einiges geändert. Größere und kleinere Veränderungen, aber die Grundstruktur ist die gleiche, darauf kann ich ganz gut aufbauen. Es ist Perspektive vorhanden.

Haben Sie ein Beispiel für die Veränderungen?

Der Handel hat sich zum Beispiel extrem gewandelt. Das hat nichts mit Herne zu tun, nur wenige Konzerne bewegen noch den Leitmarkt für einen innerstädtischen Einzelhandel. Auch das Onlinegeschäft hat den Markt verändert. Und das verändert Innenstädte.

Bleiben wir beim Einzelhandel und der Innenstadt...

...welcher denn?

Dann fangen wir mit Wanne an. Auf der Hauptstraße gibt es arge Probleme...

...aber Wanne ist auf keinen Fall am Ende der Skala. Von ersten Schilderungen hatte ich einen schlimmeren Eindruck, als das Bild, das sich mir tatsächlich geboten hat. Es sind Potenziale da und es ist absolut möglich, mehr charmante Situationen zu erzeugen. Es kommt eben auf die Zielsetzung an. Daran werden wir arbeiten.

Wie sieht es mit dem Potenzial der Bahnhofstraße aus?

Absolut vorhanden. Es ist klar, dass ein Teil der Kaufkraft in die Nachbarstädte abfließt, so dass wir uns die Frage stellen müssen, was wir gerne vor Ort haben wollen und können. Wie setzt sich das Angebot zusammen, welche Flächen braucht der Handel? Was der Handel aber auf jeden Fall braucht ist Frequenz. Ein Teil der Stadtentwicklung wird sich daran ausrichten müssen, wie wir höhere Frequenzen ermöglichen. Dazu muss man eine Gesamtstrategie entwickeln. Dazu könnte gehören, dass man die Zentralität durch den Bahnhof und die U35 ausspielt.

In das City Center kommt wieder leben. Unter anderem zieht die Wewole-Stiftung ein.
In das City Center kommt wieder leben. Unter anderem zieht die Wewole-Stiftung ein. © Barbara Zabka

Kann das City-Center zur Erhöhung der Frequenz beitragen?

Absolut. Familie Engler, weiß was sie tut. Es ist gut, dass es heimisches Kapital und Know-how ist und die Familie hat zu vielen Unternehmen einen guten Zugang, deshalb mache ich mir keine unnötigen Sorgen. Sie werden das City-Center nach und nach in die Jetzt-Zeit führen. Wichtig ist, dass wir zu einer Vollvermietung kommen. Wichtig ist auch, dass wir am südlichen Ende der Bahnhofstraße einen Anlaufpunkt haben. Der Mieter New Yorker zum Beispiel hat ein wichtiges Sortiment für Herne, weil es junge Menschen anspricht. Die Jungerwachsenen brauchen ganz besonders ein gutes Gefühl für ihre Innenstadt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es bereits heute in den Seitenstraßen der Bahnhofstraße einige tolle Geschäfte gibt.

Man hat das Gefühl, dass die Familie Engler im City-Center bei der Mietergewinnung die Landmarken AG beim ehemaligen Hertie-Haus überholt hat...

...es kann ja auch sein, dass die Immobilie leichter zu entwickeln ist. Aber auch Landmarken kann ihre Aufgabe bewältigen. Landmarken will das hochwertige Erscheinungsbild außen auch innen bespielen. Und das ist nicht leicht.

Das ehemalige Hertie-Kaufhaus wartet weiter auf seine Revitalisierung.
Das ehemalige Hertie-Kaufhaus wartet weiter auf seine Revitalisierung. © Ralph Bodemer

Sie glauben nach wie vor daran, dass Landmarken seine Pläne umsetzen kann?

Ich glaube an die Immobilie und auch an Landmarken.

Kommen wir mal zum Thema Gewerbeflächen. Da hieß es lange, dass das Problem darin liegt, dass sie in Herne knapp werden.

Ich glaube, wir haben eher ein Aktivierungsproblem. In zehn Jahren kann die Knappheit eklatant sein, aber im Moment gibt es Potenziale, die nur schwierig zu aktivieren sind. Blumenthal ist ein Thema, Steag. Selbst in der Innenstadt. Wenn wir die Flächen alle bespielen können, haben wir erstmal genug zu tun.

Herne galt in der Vergangenheit immer als eine graue Maus. Wie gehen Sie mit diesem Vorurteil um?

Das Image ist immer noch ruhrgebietslastig. Aber die Frage ist, ob uns das stören muss. Das kenne ich übrigens aus Wolfsburg. Die hatten immer das Image einer grauen Industriestadt, aber wenn man dorthin geht, bekommt man ein ganz anderes Bild. Das ist auch hier so. Wir sind eine der buntesten Stadtregionen in Deutschland. Was die Menschen, aber auch die Erlebnisräume anbelangt. In meiner Realität ist Herne absolut nicht grau.

Ist es richtig, weiter auf Logistik zu setzen?

Die Unternehmen bringen so viel Zukunftstechnologie mit, dass es auf die Stadt abstrahlen wird. Das sind Chancen, die hier wachsen. Da ist es wichtig, ein gutes Standortangebot insgesamt zu haben.

Mit der Forschung hat Herne vor einiger Zeit ein neues Feld betreten. Wie wichtig ist es, dieses Feld weiter zu beackern und womöglich auszuweiten?

Früher hieß es immer Stärken stärken, das galt auch für die Forschung, vielleicht war Herne in dieser Hinsicht deshalb nicht vertreten. Da ist es nicht leicht, jetzt Pflöcke einzuschlagen. Ich glaube, dass es sich lohnt, jeden Pflock den Herne bekommen kann, einzuschlagen, egal wie klein er ist, weil er immer ein Stück Veränderung und mehr Zukunftssicherheit bedeutet.

Das würde bedeuten, dass Sie es unterstützen, dass sich Herne große internationale Partner sucht, siehe Istanbul oder China.

Das war ein Grund, warum ich zurück nach Herne gegangen bin. Indien ist zum Beispiel auch ein spannender Markt. Warum sollen wir uns nicht öffnen, wenn Interesse besteht?

Kommen wir zurück zum Anfang. Haben Sie sich bei Ihrer Rückkehr ein bestimmtes Projekt vorgenommen, das Sie umsetzen wollen?

Ja! Ein übergeordnetes. Was mich sehr, sehr gestört hat, war die Einschätzung der Bundesregierung, dass Herne empirisch zu den abgehängten Städten gehört. Das war ein weiterer Auslöser, um wieder zurückzukehren, denn die Aufgabe ist spannend und wirklich groß. Die Reduzierung einer Stadt auf rechnerische Indikatoren reicht nicht aus, um die Zukunfts-Chancen einzuschätzen. Wir müssen unsere Chancen suchen und an diese glauben. Es kommt oft anders als in Prognosen errechnet wird. Die Zukunft ist das spannendste Arbeitsfeld überhaupt. Das hat mich immer an diesem Job gereizt. Unser Oberbürgermeister ist ein Chancensucher, ein Bewahrer und gleichzeitig Erneuerer. Er wird dabei ganz offensichtlich vielfach parteiübergreifend unterstützt – auf diese Weise generiert man Zukunftschancen für seine Stadt! Jetzt müssen wir zupacken.

Dann abschließend die Frage: Was ist jetzt wichtig bei Ihrer Arbeit?

Es ist die andauernde Herausforderung zwischen dem Bewahren von Wirtschaft vor Ort und dem Erneuern. Und für mich als Wirtschaftsförderer ist es existenziell wichtig, dass ein Standort als Ganzes funktioniert. Dazu gehört zum Beispiel auch das Freizeit- und Erlebnisangebot. Das ist genauso wichtig wie adäquater Wohnraum, generelle Sauberkeit oder eine zukunftsorientierte Infrastruktur. Wenn das Gesamtpaket nicht stimmt, gewinnen andere Standorte. Also fangen wir heute an, das Morgen für uns erfolgreich zu gestalten.

>> ZUR PERSON

Holger Stoye folgt als WFG-Chef auf Joachim Grollmann, der Ende Februar in den Ruhestand gegangen ist.

Holger Stoye wurde 1971 in Herne geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Er liebt den Sport, speziell Fußball, und die Kultur. Er freut sich, ein Teil des Ruhrgebiets sein zu können und hat eine Vorliebe für die Niederlande.