Kohle wurde in der Vergangenheit nicht nur zur Energiegewinnung verwendet, aus ihr entstand bis in die 60er-Jahre Kohlekeramik.
Es gibt im riesigen Kosmos des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet Facetten, da könnten womöglich selbst bei Kennern Fragezeichen über den Köpfen auftauchen. Etwa beim Begriff „Kohlekeramische Medaillen“.
Heinrich Lührig gehört zu jenen, die wissen, was sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt. Der profunde Kenner der Stadthistorie hat nämlich unter den zahlreichen Exponaten und schriftlichen Zeugnissen auch eine kleine Sammlung mit den glänzenden schwarzen Medaillen. Es ist schon einige Jahre her, dass er Ausschau danach gehalten hat, bei Münzbörsen seien sie in der Vergangenheit fast als Abfallprodukt angeboten worden.
Kunden im ganzen Ruhrgebiet
Da erstaunt es einigermaßen, dass die kohlekeramischen Erzeugnisse mal so begehrt waren, dass in der Wanner Sparkasse eine Ausstellung mit ihnen veranstaltet wurde. Die Medaillen dienten in vielen Fällen als Erinnerung, etwa an die 1. Europäischen Amateurtheatertage 1968, als Geschenk für Gäste der Städte Wanne-Eickel und Herne oder als Ehrung, etwa für die rudersportlichen Leistungen des Rudervereins Emscher. Das offenbart auch: Kohle kann Kunst sein.
Kohlekeramische Erzeugnisse waren 20 Jahre lang - von 1947 bis 1967 - die Kernkompetenz der Zeche Hannover, sie war der einzige Standort, an dem sie in dieser Form produziert wurden. Allerdings weiß Lührig, dass ihre Historie weiter zurückreicht - bis zur Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg. Damals seien Münzen aus Kohlenstaub gepresst und als gesetzliches Zahlungsmittel in Umlauf gebracht worden. Später wurde geforscht, um Steinkohle so weit zu entwickeln, damit sie in der Stahl- und Elektroindustrie eingesetzt werden kann. Die Nazis stuften diese Forschungen als „kriegsnotwendig“ ein. Allerdings stellte sich nie ein wirtschaftlicher Erfolg ein.
Dafür erlebte das ungewöhnliche Produkt mit der Gründung der „Kohlekeramischen Anstalt“ auf Hannover-Hannibal einen Aufschwung. In der Festschrift „Hundert Jahre Zechen Hannover-Hannibal“ aus dem Jahre 1947 heißt es überschwänglich: „Der neue Werkstoff wird treffend durch das Wort Kohlekeramik gekennzeichnet. Die Entwicklung steht durchaus noch am Anfang, und es dürfte der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo die Kohle als schwarzes Porzellan mit dem weißen Porzellan auf dem kunstgewerblichen Markt konkurriert.“ In den folgenden Jahren entstanden auf Hannover - Heinrich Lührig blickt von seinem Haus aus auf das ehemalige Zechengelände - Plaketten, Reliefbilder, Plastiken, aber auch Schalen oder gar Aschenbecher. Der Kundenkreis war groß und umfasste das komplette Ruhrgebiet. Zu den Abnehmern gehörten selbstverständlich die Bergbaugesellschaften selbst, aber auch andere Unternehmen. Aber gerade auch Städte nutzten sie als Gastgeschenke, Sportvereine und andere Organisationen als Auszeichnungen. Lührig weiß zu berichten, dass in der kohlekeramischen Anstalt in der Mehrzahl kriegsversehrte Menschen beschäftigt wurden.
Die letzte Wanne-Eickeler Kohlekeramik, so hat er recherchiert, wurde 1975 geprägt - zum 90-jährigen Bestehen des TV Wanne 85.