Michael Emde erzählt im Interview, warum er den mutmaßlichen Doppelmörder Marcel H. verteidigt und ob er nach solchen Prozessen schlafen kann.

  • StrafverteidigerMichael Emde(54) vertritt Marcel H., den mutmaßlichen Doppelmörder von Herne
  • Persönlich ist das einer der schwierigeren Fälle, sagt er im Interview mit der WAZ
  • Prozess startet am Freitag kommender Woche vor dem Bochumer Landgericht

Auf dem Schreibtisch in seinem Bochumer Büro stapeln sich dicke Akten. Ganz oben liegt die Akte „Marcel H.“. Strafverteidiger Michael Emde (54) kennt sie gut. Er verteidigt den mutmaßlichen Doppelmörder im Prozess, der am kommenden Freitag beginnt. Im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Karoline Poll verrät er, wie er dieses Mandat bekommen hat und ob er während eines solchen Prozesses ruhig schlafen kann.

Den Nachbarsjungen und einen Schulfreund soll Marcel H. im März ermordet haben. Ist das Ihr schwierigster Fall?

Michael Emde: Inhaltlich nicht. Persönlich ist das aber sicher einer der schwierigeren Fälle, wie immer, wenn Kinder betroffen sind. Schließlich bin ich selber Vater. Wenn eine Tat mit dieser Tragweite verhandelt werden muss, geht das nicht spurlos an einem vorüber. Das muss man ganz deutlich sagen.

Wie sind Sie an dieses Mandat gekommen?

Ganz unspektakulär. Marcel H. kannte nach seiner Festnahme keinen Verteidiger, dann hat das Gericht bei mir angerufen, weil ich als Strafverteidiger Erfahrung habe. Das war auch Zufall.

Haben Sie darüber nachgedacht abzulehnen?

Ja, das habe ich. Aber eigentlich war das keine Option für mich. Ein Kollege von mir hat es einmal sehr treffend formuliert: Wenn man als Verteidiger keine Straftäter vertrete, ist das so, als ob ein Arzt keine Kranken behandele.



In einem griechischen Imbiss stellte sich Marcel H. der Polizei.
In einem griechischen Imbiss stellte sich Marcel H. der Polizei. © Ingo Otto

Ist so ein Fall für einen Anwalt ein Gewinn oder eine Niete?

Das kann man so nicht sagen. Natürlich muss ich jetzt damit leben, dass in der Öffentlichkeit über mich gesprochen wird. Meine Frau und meine Tochter waren nicht begeistert, dass ich diesen Fall angenommen habe.

Können Sie während solcher Prozesse nachts ruhig schlafen?

Ich brauche tatsächlich eine gewisse Phase, bis ich mich mit einem Mandat dieser Kategorie arrangiert habe. Das nimmt man in dieser Zeit sicherlich mit nach Hause. Für mich sind das immer Ausnahmesituationen, gerade wenn es – ich sag es mal vorsichtig – Feedback von Presse und Bevölkerung gibt.

Fühlen Sie sich bedroht?

Nein. Es gibt sicherlich im Internet viel Unschönes über mich zu lesen, das schaue ich mir aber gar nicht erst an. Meine Familie und ich stehen nicht im Telefonbuch, das reicht mir an Schutz.

Wie gut kennen Sie Ihren Mandaten?

Ich habe natürlich nur einen oberflächlichen Eindruck von ihm. Er ist jemand, der wenig Zugang zu sich selber hat. Mehr kann ich dazu nicht sagen. In erster Linie besprechen wir Dinge, die für das Verfahren wichtig sind. Zu persönlichen Gesprächen kommt es da eher selten. Die Zeit ist eng gesetzt, schließlich bin ich Pflichtverteidiger. Die Bearbeitung eines solchen Mandates muss sich deshalb halbwegs im Rahmen der Wirtschaftlichkeit bewegen.

Wie kommt er im Gefängnis zurecht?

Er hat eine Einzelzelle und immer noch nahezu keinen Kontakt zu seinen Mithäftlingen.

Zu seiner eigenen Sicherheit?

Richtig.

Wie läuft die Vorbereitung auf so einen Prozess?

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Ich beschäftige mich mit der Akte, entwickele eine Strategie. Man bereitet den Mandanten auf die Verhandlung vor, das fängt schon damit an, wie es in so einem Saal aussieht. Das haben die meisten ja noch nie erlebt. Man bespricht das generelle Vorgehen, das sind 1000 Kleinigkeiten, um die es geht.

Im Satanistenprozess von Witten haben Sie mit der Nebenklage die Opfer vertreten, jetzt stehen Sie auf Täterseite. Wo sehen Sie sich lieber?

Das kann ich pauschal nicht sagen. Wenn ich generell lieber auf der Seite der Opfer stünde, hätte ich mich auf Opferrecht spezialisiert. Ich finde es teilweise aber auch gerade dort sehr schwierig, weil der Umgang mit den Opfern oft menschlich belastender ist als der Umgang mit den Tätern. Wenn man Strafverteidiger ist, steht man in den meisten Fällen auf den Seiten der Täter – das meine ich aber nicht wörtlich.

Sondern?

Man steht, wie jeder andere im Saal, auf der Seite der Rechts. Nur weil man Straftäter verteidigt, heißt das nicht, dass man sich mit ihnen identifiziert. Ich bin kein Winkeladvokat, ich verdrehe keine Beweise und ich kann guten Gewissens sagen: Ich bemühe mich, mich immer diesseits der Grenze zu halten.

Sie haben mehr als 20 Jahre Erfahrung als Anwalt. Welcher Ihrer Fälle ist Ihnen sehr in Erinnerung geblieben?

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Mir ist immer noch mein erster Fall in Erinnerung, das war ein Mann, der drei Leute niedergestochen hatte. Aber auch große Prozesse, wie der Satanistenprozess in Witten. Oder auch der Fall des Frauenjägers, der Frauen erst nur verfolgt und dann vor der Tür abgestochen hat. Das war erschreckend, der Mann wirkte im Umgang ausgesprochen harmlos. Als der in seiner Firma festgenommen wurde, haben die zuerst Tränen gelacht. Der Mann hat aus der Psychiatrie heraus geheiratet, eine Frau „von draußen“. Die beiden sind Eltern geworden, aber er wird nach meinem Eindruck die Psychiatrie nie verlassen. Er hat auch selber ganz offen gesagt, dass er eingesperrt sein muss. Das beschäftigt mich auch heute noch.

Neben Straftäter beschäftigt auch der Fußball Sie beruflich. Im Wettskandal vertreten Sie die Interessen der Uefa. Seit kurzem sind Sie Ethik-Beisitzer im Sportgericht, was machen Sie da?

Michael Emde: Dort sollen Fälle behandelt werden, die nicht im engeren Sinne mit Fußball zu tun haben, etwa Spielmanipulationen oder Verfehlungen von Funktionären. Wenn man etwa den Fall Beckenbauer weiter verfolgt hätte, hätte der durchaus in meine Zuständigkeit fallen können. Da es das aber erst seit November gibt, hatten wir bis jetzt keine konkreten Fälle.

Warum wurden Sie ans Sportgericht berufen?



Im Wettskandal hat der Anwalt die Uefa und die Fifa vertreten.
Im Wettskandal hat der Anwalt die Uefa und die Fifa vertreten. © Imago

Das hat mich selber überrascht. Ich habe keine Kontakt zum DFB, habe im Bereich Spielmanipulation ja nur länger für die Uefa und für die Fifa gearbeitet. Und man hat dann für diese Position beim DFB Leute gesucht, die dort eben nicht vernetzt sind. Aus diesem Grund hat man mich wohl angerufen.

Sind sie eigentlich gerne Anwalt?

Das war immer mein Traumberuf. Ich wusste schon mit 16, dass ich Strafverteidiger werden möchte. Das war damals wohl noch ganz naiv von Krimiserien beeinflusst. Mir macht das Menschliche darin sehr viel Spaß. Man hat als Strafverteidiger mit sehr vielen unterschiedlichen und auch anstrengenden Menschen zu tun, das wollen viele nicht. Für mich macht es das reizvoll. Das wird nicht langweilig.

Was machen Sie, um runterzukommen?

Ich habe eine Familie. Dann geht das automatisch. Zum Glück bin ich nicht mit einer Juristin verheiratet, dann muss man nicht abends noch alles im Detail besprechen, was man am Tag erlebt hat. Ansonsten reise ich gerne. Wir fahren gerne nach Asien. Ich lese gerne, gehe ins Theater. Ganz normal, wie jeder andere auch.

>>> Zur Person:

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Michael Emde in Bochum als Anwalt. Der gebürtige Blankensteiner lebt gemeinsam mit seiner Frau und der 16-jährigen Tochter in Bochum.

Der Strafverteidiger hat Jura an der Ruhr-Universität Bochum studiert. Seine Schwerpunkt sind Jugend-, Betäubungsmittel-, Kapital- und Wirtschaftsstrafsachen.