Heiligenhaus. Ob Poetry Slam in Heiligenhaus ankommt? Offenbar, denn vor ausverkauftem Haus dichteten hochkarätige Teilnehmer um die Wette. So lief es ab.

Einen richtigen Poetry Slam, wo die Zuhörerinnen und Zuhörer den Sieger eines Dichterwettstreits küren, gab es am Freitagabend zum ersten Mal im Club. Jan Schmidt, der bereits vor acht Jahren dieses Format in seiner Heimatstadt Wülfrath etablierte, erklärte als Moderator dem Publikum im – Achtung – ausverkauften Haus, wie es geht.

Es gebe vier Auftretende, die drei Regeln beachten müssten, so Schmidt: „Erstens: Die Texte müssen selbst geschrieben sein. Zweitens: Es gibt ein Zeitlimit, das liegt bei ungefähr sechs Minuten. Drittens: Es dürfen keine Requisiten und keine Kostüme verwendet werden.“ Eine vierte Regel richte sich an das Publikum: „Respect the poem – also quatscht nicht dazwischen, gerne aber Zwischenapplaus.“

Jan Schmidt aus Wülfrath präsentiert Poetry Slam erstmals in Heiligenhaus

Der gebürtige Wülfrather Jan Schmidt hat den ersten Poetry Slam in Heiligenhaus moderiert.
Der gebürtige Wülfrather Jan Schmidt hat den ersten Poetry Slam in Heiligenhaus moderiert. © Kulturlöwen

Der Slam-Poet aus der Nachbarstadt, der inzwischen in Bochum lebt, suchte fünf Leute aus dem Publikum, denen er als Jury die Wertungstafeln in die Hand drücken wollte. „Wer meldet sich? Wenn sich keiner meldet, nehme ich die, die am deutlichsten weggucken – wie früher in der Schule. Zehn Punkte gilt es zu verteilen, von katastrophal schlimm bis zu dem Besten, was ihr je gesehen habt´.“ Unterstützt werden die Juroren durch den Beifall im Saal.

Nachdem geklärt war, wie eine Eins und eine Zehn zu klingen haben, sprang Flemming Witt aus Bochum auf die Bühne: „Ich bin mit dem Auto gekommen, ich habe gehört, ihr habt keinen Bahnhof.“ Statt über mangelnde Infrastruktur zu reden, sprach er von einem Schulreferat, der ihm beim Aufräumen in die Hände fiel. Er beschrieb den „gemeinen rotschwänzigen Schluckwolf.“

Von Familiengeschichten über Herzschmerz bis zur Brustverkleinerung

Jan Schmidt notierte die ersten Punkte, dann trat Alina Schmolke ins Rampenlicht. Die Düsseldorferin kannte Heiligenhaus nicht und war erstaunt, das es laut Navigationsgerät nur 26 Minuten weit weg ist. Sie berichtete rund um die Operationserfahrungen bei ihrer Brustverkleinerung. Jann Wattjes präsentierte gleich ein eigenes Buch: „Da steht Spiegel-Bestseller drauf. Das Etikett habe ich in einer Buchhandlung abgeknibbelt und dran geklebt“, räumt er ein und beschrieb die Eigenheiten der deutschen Landsmannschaften.

Flemming Witt schaffte es auf den zweiten Platz, hier bei einem Auftritt in Mülheim.
Flemming Witt schaffte es auf den zweiten Platz, hier bei einem Auftritt in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Essenerin Sandra Da Vina nahm die Zuhörer mit zu ihren Eltern und schilderte, welch außergewöhnlichen Aktivitäten Kaffee bei ihrem Vater weckt. Nach der Pause ging es in umgekehrter Reihenfolge weiter: Sandra Da Vina blieb bei der Familie und deren Lieblingsgaststätte, wo so manche Feier abgehalten wurde. Jann Wattjes, der in Ostfriesland groß geworden war, beschrieb der Leben auf dem Land, wo man mit Tieren unter einem Dach lebte. An der Küste war das eben Fischzucht, da mussten schon mal die Aale auseinander geknotet werden. Mit einem lyrischen Text zu ihrem Leben bestritt Alina Schmolke ihren zweiten Auftritt, den Flemming Witt schnarchend begann, um sofort die Zuhörer aufzuwecken und in Selbstoptimierung einzuweihen.

Publikum beschenkt die Gewinnerin

Zwischen Münzen und Banknoten fischte die Siegerin eine besondere Tafel Schokolade hervor: „Ottifanten Vollmilch – Laff is in se är“.
Zwischen Münzen und Banknoten fischte die Siegerin eine besondere Tafel Schokolade hervor: „Ottifanten Vollmilch – Laff is in se är“. © FUNKE Foto Services | Ulrich Bangert

Nachdem die Jury ihre Entscheidung getroffen hat, kommt es zum Showdown zwischen Flemming Witt und Sandra Da Vina, die dafür plädiert, dass Jahre nach einer freien Trauung ebenso eine freie Scheidung zelebriert werden sollte, bis zum Abziehen der Ringe von den Fingern. „Mir wurde auch schon das Herz gebrochen“, räumte Flemmig Witt ein, der mit seiner tragischen Lovestory aus Kindergartentagen nicht restlos überzeugen konnte. Das Publikum schenkte Sandra Da Vina den „Zehner-Applaus“.

Auch interessant

Jan Schmidt überreichte ihr den Stoffbeutel, der zwischendurch vom Publikum mit allerlei Sachen gefüllt wurde. Zwischen Münzen und Banknoten fischte die Siegerin eine besondere Tafel Schokolade hervor: „Ottifanten Vollmilch – Laff is in se är“. „Wie schön! Wer hat die da rein getan? Da freue ich mich ganz besonders drüber“, blickte die strahlende Gewinnerin ins Publikum und hielt das Merchandisingprodukt von Otto Waalkes hoch.

>>> Antikes Vorbild

  • Beim Poetry-Slam treten Poeten einzeln oder im Team mit selbst verfassten Texten gegeneinander an. Es knüpft damit an die hohe Kunst der antiken und mittelalterlichen Tradition der Dichter- und Rednerwettstreite an. Das Publikum bildet die Jury und entscheidet beispielsweise via Applaus.
  • Die Poetry-Slam-Kultur wurde aus den USA nach Deutschland importiert und hat sich schnell in deutschen Großstädten etabliert.
  • Die deutschsprachige Poetry-Slam-Szene heute größer und vielfältiger als in den USA. Derzeit finden auch in ländlichen Regionen im gesamten deutschsprachigen Raum regelmäßig Poetry-Slam-Veranstaltungen statt.